: „Vorteil vor Konkurrenz“
Arbeitsrechtler kritisiert illegale Praktiken
PETER HOPPENSTAEDT ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Frankfurter Kanzlei Kliemt & Vollstädt. Die Kanzlei wurde 2007 als „Arbeitsrechtskanzlei des Jahres“ ausgezeichnet.
taz: Herr Hoppenstaedt, verstoßen die Arbeitsbedingungen für Ryanair-Flugbegleiter gegen deutsches Recht?
Peter Hoppenstaedt: Die Verträge des Personaldienstleisters Crewlink enthalten viele Bestimmungen, die mit dem deutschen Arbeitsrecht unvereinbar und deshalb unwirksam sind.
Welche sind das?
Um nur einige zu nennen: Die Verweigerung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das Kündigungsrecht bei Streiks und die viel zu geringe Vergütung von Stand-by- und Urlaubstagen. Außerdem werden die Mitarbeiter offensichtlich nicht für ihre gesamte Arbeitszeit bezahlt. Ryanair spart so massiv Geld und verschafft sich einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten, die nach Tarif zahlen.
Crewlink führt an, dass der Vertrag unter irisches Recht fällt. Dort sollen die Klauseln zulässig sein.
Es ist grundsätzlich möglich, festzulegen, dass für einen Arbeitsvertrag das Recht eines anderen Landes gelten soll. Wenn das Arbeitsverhältnis aber insgesamt eine enge Verbindung zu einem anderen Staat hat, dann gelten die Regeln dieses Staates, sofern sie für den Arbeitnehmer günstiger sind. Im Fall von Crewlink trifft dies auf sehr viele Regelungen des Vertrages zu.
Liegt denn hier eine solche „enge Verbindung“ zu Deutschland vor?
Ja. Die Beschäftigten sind verpflichtet, ihren Wohnsitz maximal eine Stunde entfernt vom Flughafen zu nehmen. Wesentliche Teile der Leistungen werden in Deutschland erbracht. Die Beschäftigten kehren jeden Tag an die deutsche Basis zurück. Daher kann sich der Mitarbeiter auf die Bestimmungen des deutschen Arbeitsrechts berufen. Zudem gilt das sogenannte Territorialitätsprinzip. Dieses legt fest, dass zwingend deutsche arbeitsrechtliche Mindeststandards wie Lohnfortzahlung, das Betriebsverfassungsgesetz, das Arbeitszeitgesetz und andere nicht per Vertrag suspendierbar sind.
Kann Crewlink nicht die EU-Entsenderichtlinie für Arbeitnehmer geltend machen?
Nein. Die Entsenderichtlinie ist für Mitarbeiter, die bei einem Unternehmen beschäftigt sind und vorübergehend in ein anderes Land entsandt werden. Das ist hier nicht der Fall. Zudem bestimmt auch die Entsenderichtlinie, dass die Mindeststandards des Beschäftigungsorts einzuhalten sind.
Ryanair weist die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen seiner Flugbegleiter zurück, da diese offiziell bei Crewlink eingestellt seien. Zu Recht?
Vieles spricht dafür, dass es sich hier um Arbeitnehmerüberlassung handelt. Dies bedarf in Deutschland einer Erlaubnis durch die Bundesagentur für Arbeit – es sei denn, die Überlassung erfolgt innerhalb eines Konzerns. Handelt es sich nicht um miteinander verbundene Unternehmen, dann könnte Crewlink rechtlich als Leiharbeitsfirma gelten, die eine Genehmigung durch die Arbeitsagentur benötigt. Besteht keine solche Erlaubnis, dann werden die entliehenen Arbeitnehmer automatisch zu Ryanair-Beschäftigten, obwohl sie auf der Payroll von Crewlink stehen. INTERVIEW: CHRISTIAN JAKOB