: Dicht besiedelte Kulturlandschaft
NORD-FESTIVAL Zum ersten Mal präsentiert das Festival Nordwind auch in Hamburg die ganze Vielfalt der Kultur- und Kunstszene der nordischen und baltischen Länder
VON ROBERT MATTHIES
Ungewöhnlich dünn besiedelt ist Finnland schon seit Jahrtausenden: gerade mal knapp fünfeinhalb Millionen Menschen teilen sich 340.000 Quadratkilometer. Ungewöhnlich dicht besiedelt aber ist die dortige Theaterlandschaft: Vier Millionen Karten kaufen die Finnen jährlich, um Theater, Oper oder Tanz zu erleben, fünfzehn Theater bietet die Hauptstadt und selbst eine verhältnismäßig kleine Stadt wie Turku kann immerhin noch fünf Bühnen vorweisen.
Kein Wunder, dass einer der derzeit sowohl umjubeltsten wie auch umstrittensten Theaterregisseure der Welt aus Finnland kommt. Im Frühjahr hat Kristian Smeds als erster Skandinavier den Europäischen Theaterpreis für „Neue Realitäten im Theater“ gewonnen: Wild, energetisch und voller markanter Stimmen seien die Stücke des 41-Jährigen, interpretierbar auf zahllose Weisen, mit einer ebenso reichen und schillernden wie natürlichen Sprache und einer großen Vielseitigkeit der auf die Bühne gebrachten theatralen Techniken, war die Jury begeistert.
Die Kraft des Finnen erkannt hat auch Ricarda Ciontos schon vor Jahren. Und als Künstlerische Leiterin des Berliner Nordkunst-Festivals Nordwind vor zwei Jahren gleich fünf seiner Arbeiten für eine Werkschau eingeladen. Auch in diesem Jahr ist ein gewaltiges Projekt des Regie-Künstlers, der mit eigenem Ensemble längst auch in Belgien, Frankreich, Deutschland oder den baltischen Ländern inszeniert, einer der Höhepunkte von Ciontos’ Festival, das sich in Berlin seit 2006 mit beständig wachsendem Erfolg den Performance-Künsten und der Musik aus den skandinavischen und baltischen Ländern widmet und nun erstmals auch einen Teil seines Programms auf Kampnagel präsentiert.
Mit zwölf estnischen Nachwuchsschauspielern hat Smeds an seiner groß angelegten De- und Rekonstruktion von Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ gearbeitet und treibt in einer über vierstündigen szenischen Rockoper gleich „12Karamasows“ weit über die Grenzen Dostojewskis hinaus auf die Suche nach der russischen Seele und der Essenz des menschlichen Wesens.
Preisgekrönt worden sind dieses Jahr auch die zweiten finnischen Stars des Festivals. Für seine gemeinsam mit der skandinavischen Gruppe Institutet inszenierte theatrale Liebesgeschichten-Untersuchung „Conte d’Amour“ hat das Off-Ensemble Nya Rampen den Impulse-Preis gewonnen, im nächsten Jahr sind die Wahl-Berliner damit zum dortigen Theatertreffen eingeladen. Auf Kampnagel ist am Dienstag und Mittwoch ihre neue Arbeit „Worship!“ zu sehen, die fragt mit Bezug auf Shakespeare-Tragödien fragt, warum dessen „großen Erzählungen“ auch in der ihrer so überdrüssigen Postmoderne noch so verlockend und kraftvoll sein können.
Insgesamt ist die dicht besiedelte Kunst- und Kulturlandschaft des Nordens in den nächsten zwei Wochen in zwei Theaterproduktionen, drei Tanzstücken, einer Installation, Workshops und Diskussionen, drei Konzerten und einem Film zu entdecken.
■ Di, 6. 12. bis So, 11. 12. und Do, 15. 12. bis Fr, 16. 12., Kampnagel, Jarrestraße 20; www.nordwind-festival.de