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Archiv-Artikel

Topadresse für weltsüchtige Volunteers

GHANA Accra ist eine Stadt, in der man flanieren kann, an den Stränden gibt es auch tagsüber Disco-Feeling

Am Strand bekommt man vor lauter Vergnügungshungrigen keinen Platz

VON DOROTHEE WENNER

Überall in Jamestown hängen handgemalte Plakate, die zu einem Konzert der Band Wulomei im Club Papillon einladen. Ein Taxi, dessen Aktionsradius wohl nicht weit über die Altstadt von Accra hinausreicht, setzt uns abends vor dem unscheinbaren Hinterhof ab, auf ein Konzert deutet wenig hin. Vielleicht sind wir zu spät? Auf dem, was die Bühne sein könnte, spielen zwei Drummer, es scheint sehr voll zu sein – aber man sieht nicht viel, weil gerade Stromausfall ist.

Die Gäste plaudern, trinken Club-Bier und beleuchten mit ihren Mobiltelefonen die Teller, wenn das Essen kommt. Kurz nach Mitternacht geht das Licht wieder an – und die knapp dreißig Bandmitglieder, deren gelbe Hochmützen spektakulär abgefahren aussehen, setzen ihr Konzert fort. Ein fantastisch eingespieltes Ensemble, das unter Beweis stellt, dass die „Highlife“-Musik entweder in ihrer Heimat Ghana gerade eine Renaissance erlebt – oder nie wirklich aufgehört hat, en vogue zu sein. Immer mehr Leute kommen, die Mehrzahl scheint aus der Nachbarschaft, man kennt sich. Einige Herren in coolen Anzügen mit Hut bemühen sich stilvoll um die hübschesten Damen als Tanzpartnerinnen. Es swingt im Papillon“ in einer undefinierbaren Mischung aus afrikanischem Retro und urbaner Gegenwart.

Accra ist eine Stadt, in der man tatsächlich wunderbar flanieren kann. Während diese doch sehr europäische Urlaubsbeschäftigung in anderen afrikanischen Metropolen als leichtsinniges oder äußerst wagemutiges Unterfangen gilt, kann man sich in Ghanas Hauptstadt tagelang auf Märkten verlieren, über nichtige und wichtige, glitzernde und nützliche Waren staunen oder sich durch die Haupt- und Nebenstraßen einfach treiben lassen. So man will, findet sich allenthalben eine Gelegenheit zum Gespräch oder zum Verweilen. Hier eine Bar, dort ein Plätzchen im Schatten, vor allem entlang der Küste, wo sich trefflich das Wochenende verbringen lässt.

Am Stadtstrand Labadi ist es jedoch oft so voll, dass man vor lauter vergnügungshungrigen Menschen gar keinen „Liegeplatz“ mehr bekommt. Nun ist das Strandleben hier auch weniger auf Schwimmen und Lesen ausgerichtet als darauf, wie in der Disco zu tanzen, ein Bierchen zu zwitschern und neue Leute kennenzulernen. Touristen gehören ausdrücklich dazu. Und an Touristen gibt es in Ghana inzwischen mehr, als man aus der Ferne erwarten würde.

Ghana ist in letzten Jahren zu einer „Topdestination“ für „Volunteers“ geworden: für all jene Menschen also, die aus persönlicher oder politischer Motivation ein paar Wochen, Monate oder gar Jahre zumeist ohne Gehälter für Hilfsorganisationen oder NGOs arbeiten – für Kost und Logis, mit ein wenig vertraglich zugesicherter „Auszeit“ zum Herumreisen.

Ob diese freiwilligen Arbeitsdienste in Afrika dann eher den jungen Damen und Herren aus Europa und den USA bei der Persönlichkeitsbildung nützen – oder den ghanesischen Schulkindern, Kranken oder verwaisten Babys zugutekommen, darüber kann man unterwegs viele Meinungen hören. Die meisten Ghanesen jedenfalls begegnen dieser neuen Form des Bildungsurlaubs mit Toleranz und sind sich der Ursachen für die Attraktivität ihrer Heimat sehr wohl bewusst.

Anders als in den meisten Nachbarländern ist die politische Lage in Ghana relativ stabil, die Kriminalitätsrate vergleichsweise niedrig, das Klima ist angenehm und Englisch Verkehrssprache – all das macht das Fehlen von spektakulären touristischen Attraktionen, wie sie etwa Kenia oder das südliche Afrika zu bieten hat, mehr als wett. Unkompliziert und sogar mit relativ knappem Budget kann man in ganz Ghana umherreisen, es gibt einen leicht durchschaubaren und recht gut funktionierenden öffentlichen Nah-und Fernverkehr und zudem eine erstaunliche Anzahl bezahlbarer Hotels, Pensionen, Unterkünfte, in manchen bekommen Volunteers Vergünstigungen.

Eine der beliebtesten Routen führt von Accra aus entlang der „Gold Coast“ Richtung Westen, bis zur Grenze zur Elfenbeinküste. Die Region ist für ihre Bilderbuchstrände – und für ihre dramatische Geschichte bekannt: Bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kamen Europäer hierher, um in den vielen natürlichen Häfen erst mit Gold und Elfenbein, später mit Sklaven zu handeln. Für die weißen Sklavenhändler, die ab dem 15. Jahrhundert bis in das 19. Jahrhundert Sklaven aus Afrika bezogen, um diese in ihren Kolonien in Amerika einzusetzen, war die Existenz des innerafrikanischen Sklavenhandels eine Voraussetzung. Sie konnten die Menschenware bei afrikanischen (und arabischen) Sklavenhändlern und Herrschern einkaufen. Diese erhielten im Gegenzug „Luxusgüter“ wie Textilien und Nahrungsmittel aus Europa, Alkohol und Feuerwaffen.

Europäer handelten an der Küste erst mit Gold und Elfenbein, später mit Sklaven

Alle paar Kilometer zeugen massive Festungen von dieser brutalen Geschichte, mehr als dreißig Forts sind hier von der Unesco als „Weltkulturerbe“ restauriert worden. Elmina, die älteste und größte Anlage, diente als Kulisse für mehrere Spielfilme und wird entsprechend oft besucht.

Am Eingang zum Innenhof werden wir gebeten, die Besichtigung als Gruppe zu machen. Unser Guide stellt sich als Kofi vor und zeigt uns, wo die Frauen, wo die Männer gefangen gehalten wurden. Er erklärt, wie viele der Menschen noch in Gefangenschaft starben, wie sich der Gouverneur von seiner Wohnung im oberen Stockwerk im Hof Frauen aussuchen konnte, deren Kinder – so sie schwanger wurden – aus der Sklaverei entlassen wurden, wie die Sklaven durch die „Tür ohne Wiederkehr“ auf die Schiffe verladen wurden. Es ist eine merkwürdige Erfahrung, diese Stätten des Grauens zu besichtigen. Es kämen fast nur Europäer, sagt Kofi bedauernd am Ende der Tour zu uns, den Europäern.

Im Butre, einem Dorf eine gute Tagesreise westlich von Elmina, wird derzeit eine kleine Festung auf dem Berg restauriert – mit italienischen Geldern. Der örtliche Touristenverband hofft mit der Fertigstellung auf mehr Gäste. Denn bislang kommen nur so viele, dass man sie sehr persönlich betreuen kann. Wer Zeit hat, ein paar Tage zu bleiben, dem werden die Sehenswürdigkeiten mit einem dramaturgisch brillanten Konzept enthüllt: heute die Kanufahrt im Morgengrauen, morgen die Besichtigung der Schule, das Kiffer-Café, die Schnapsbrennerei, die Nachtwanderung zu den Nestern, wo man mit etwas Glück frisch geschlüpfte Schildkröten sehen kann. Erst ganz am Schluss, als Höhepunkt, zeigt uns Toni dann das völlig verwilderte Fort Dorothea.

Obwohl direkt in Dorfnähe, hätten wir dieses Zeugnis des kläglich gescheiterten Versuchs einiger Brandenburger, in den Sklavenhandel einzusteigen, niemals gefunden. Toni lächelt wissend beim Abschiedsbier im Sonnenuntergang und sagt, er hätte gewusst, dass uns das Fort gefällt. Toni ist ein kluger Mann, sehr erfahren im Umgang mit Europäern. Wahrscheinlich ist ihm klar, dass es sich für Deutsche gut anfühlt, einmal nicht zu den Nachfahren der allerschlimmsten Verbrecher zu gehören.