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Archiv-Artikel

Müssen wir die Inflation fürchten?

KRISE Die Angst vor der Geldentwertung bestimmt die deutsche Finanzpolitik – auch bei der Euro-Rettung

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Ja

Hans-Olaf Henkel, 71, Berater der Bank of America und ehemaliger BDI-Präsident

Der Rettungswahn unserer Euromantiker hat dazu geführt, dass Deutschland laut Ifo-Institut nun schon mit fast 500 Milliarden Euro für Griechenland & Co mithaftet. Einiges davon kommt zu den 2.100 Milliarden Euro hinzu, die frühere Politikergenerationen in den letzten fünfzig Jahren schon angehäuft haben. Das macht pro Kopf inzwischen über 25.000 Euro! Und es kommen jedes Jahr neue Schulden hinzu. Da die Politiker aller Parteien trotz ihrer Sparrhetorik nicht mit dem Schuldenmachen aufhören, geschweige denn die alten abtragen, stellt sich die Frage, wie man den Schuldenberg wieder loswird. Dazu muss man nur zwei weitere Fragen beantworten – Erstens: Wer profitiert von der Inflation? Antwort: Vor allem der Schuldner, denn seine Schulden werden mit zunehmender Geldentwertung immer weniger wert. Harte Euros lassen sich viel leichter mit weichen Euros zurückzahlen. Zweitens: Wer ist der größte Schuldner? Antwort: Siehe oben, der Staat. Aus der Währungsunion wird über den Umweg einer Transferunion eine Inflationsunion.

Frank Schäffler, 42, ist Bundestagsabgeordneter und Finanzexperte der FDP

Die Schlagzeile der Woche betrifft die EZB. Sie hat es erstmals nicht vermocht, die inflationären Effekte ihrer Käufe von Staatsanleihen zu neutralisieren. Das ist gefährlich. Denn der Aufkauf von Staatsanleihen war stets der erste Schritt in Hyperinflation oder Währungsreform. Die Signale häufen sich, dass auch uns eine Inflation neuer Qualität bevorsteht. Man muss wissen: Inflationierte, zerrüttete Währungen haben immer vor allem den kleinen Mann betroffen. Die Reichen können Währungsverfall viel leichter ausweichen. Die Ursache aller Inflationen und Wirtschaftskrisen ist die Geldmengenausweitung durch die Zentralbanken. Der Staat und sein Banksystem mögen durch das neue Geld gerettet werden. Sie können dann weiter auf Kosten der Steuerzahler spekulieren und mit billigem Zentralbankgeld schwere Krisen verursachen. Die Vermögen der Bürger lösen sich dagegen in Luft auf. Die Bürger werden durch Inflation betrogen und enteignet. Daher: Ja, wir müssen Inflation fürchten, sogar sehr.

Lars Labryga, 44, ist Jurist und Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger

Es gibt viele gute Gründe, die Inflation zu fürchten. Aus Sicht der Kleinanleger droht eine Vernichtung des Wertes ihrer Ersparnisse durch die Hintertür. Inflation löst auch nicht die strukturellen Probleme der Staatshaushalte. Die Chance, dass sich die Politik hier zu einer tragfähigen Lösung zusammenrauft, gibt es so bald nicht mehr. Gerade für Aktienanleger kann die Inflation allerdings auch Chancen bieten, wenn sie etwa auf Aktien von Unternehmen setzen, die die Preissteigerungen weitergeben können. Das sollten sie am besten tun, bevor der „run“ auf Sachwerte einsetzt.

Uwe Buchholtz, 60, ist Software-Entwickler und hat auf taz.de kommentiert

Inflation ist immer Beschiss an den „kleinen Leuten“, die vielleicht ein paar hundert oder ein paar tausend Euro auf der hohen Kante haben. Dafür können die sich dann weniger kaufen. Wer ein größeres Vermögen hat, kann es streuen: Aktien, Immobilien, Gold – und so Werte erhalten. Wer meint, durch hohe Inflation seine Schulden schneller loszuwerden, soll sich nicht täuschen. Wenn die Inflation zu laufen anfängt, werden auch die Zinsen für Kredite und die Belastungen entsprechend steigen. Deswegen meine ich: Niedrige Inflationsraten und niedrige Zinsen sind gut für uns alle.

Nein

Sahra Wagenknecht, 42, Vizechefin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag

Nicht automatisch. Die Staaten müssen vom Terror der Ratingagenturen und Investmentbanker befreit werden. Sonst wird die Eurozone auseinanderbrechen. Der Eurorettungsschirm (EFSF: European Financial Stability Facility) sollte eine Banklizenz erhalten, um sich zu niedrigen Zinsen direkt bei der Europäischen Zentralbank zu refinanzieren. Dieses Geld sollte er allerdings nicht nutzen, um Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt zu kaufen und damit unkontrolliert Geld in den ohnehin schon überdimensionierten Finanzsektor zu pumpen. Vielmehr sollte er den Staaten zinsgünstige Kredite zur Finanzierung ihrer Neuverschuldung gewähren. Dadurch entstünde zugleich Luft für einen ernsthaften Schuldenschnitt. Während ein Totsparen der Wirtschaft wie in Griechenland das öffentliche Defizit infolge wegbrechender Einnahmen nur erhöht, würden niedrige Zinsen und eine Reduzierung der Altschulden den Kreditbedarf drastisch senken. Käme noch eine höhere Besteuerung von Konzernen und Reichen hinzu, wäre die Finanzierung der dann noch verbleibenden Defizite über die Notenbank inflationsneutral.

Werner Schneyder, 74, österreichischer Kabarettist, Regisseur und Schriftsteller

Nein, denn niemand zwingt uns, uns zu fürchten. Wir müssen nicht. Wir können, wenn wir wollen. Ob wir uns fürchten wollen sollen, hängt ganz davon ab, wer „wir“ sind. Gehören wir zu den Leuten, Gremien, Kasten, Institutionen und Ähnlichen, die die Inflation verschulden, ist die Furcht unangebracht. Denn wir verschulden die Inflation in dem festen Bestreben, als Reiche danach noch reicher übrig zu bleiben. Furcht wäre für die Profiteure der Inflation nur angebracht, wenn sie fürchten müssten, dass ihnen von den Bestohlenen Ungemach droht. So weit sind wir aber noch nicht. Wenn wir zu den durch eine Inflation Bestohlenen gehören, käme Furcht zu spät, wäre also unsinnig. Denn es ist müßig, sich vor einer Katastrophe zu fürchten, deren Entstehen man nahezu restlos mit angesehen hat. Fürchten müssten – Konjunktiv! – wir uns vor dem Faktum, dass die bestochenen Wirtschaftspolitiker nur Phrasen durch die Gegend furzen, was sich durch den Wortsinn des Begriffs „Inflation“ erklärt: Aufgeblähtheit. Fürchten sollten wir uns vor den neuen Nazis aller Herren Länder, die von einem globalen Gangstersyndikat (unfreiwillig) gezüchtet werden. Fürchten könnten wir uns um das Fortkommen derer, die das Wort „teilen“ in den Mund nehmen.

Dorothea Schäfer, 54, ist Forschungsdirektorin für Finanzmärkte beim DIW Berlin

Nein, in Europa wird sich keine Inflation im großen Stile entwickeln. Zwar erwirbt die EZB bis zur Einsatzfähigkeit des Europäischen Rettungsschirmes EFSF Anleihen von Krisenländern. Aber gekauft wird auf dem Markt für „gebrauchte“ Staatsanleihen. Das Geld der Europäischen Zentralbank bekommen also die Bond-Besitzer und nicht die Staaten direkt. Außerdem neutralisiert die Europäische Zentralbank die Wirkung ihrer Aufkäufe, indem sie das so ausgegebene Geld an anderer Stelle, zum Beispiel im Bankensektor, wieder einsammelt. Inflationsraten von knapp über drei Prozent könnten zwar auch im Euroraum für eine Weile zum Alltag gehören, fürchten müssen wir uns davor aber nicht. Preissteigerung in dieser Höhe ist beherrschbar, wie das Beispiel West-Deutschlands Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zeigt. Innerhalb von vier Jahren wurde die Inflationsrate von über sechs Prozent (1981) auf zwei Prozent (1985) gedrückt. Die Politiker sollten sich aber davor hüten, die Europäische Zentralbank zum „lender of last resort“ für Staaten zu machen, ob nun direkt oder indirekt über eine Banklizenz des EFSF. Die Europäische Zentralbank ist der Kreditgeber der letzten Instanz für Banken, das ist ihre ureigenste Aufgabe, und das sollte sie auch bleiben.