: Die Angst der Gewählten vor den Wählern
DIALOG Die CDU-Ratsfraktion von Wiesbaden droht dem Portal Abgeordnetenwatch.de mit einer Klage. Die Stadtpolitiker wollen online nicht befragt werden. Sie fühlen sich überfordert
HANS-JOACHIM HASEMANN-TRUTZEL
BERLIN taz | Hans-Joachim Hasemann-Trutzel hat keine Lust auf öffentliche Fragen per Internet. Der Wiesbadener CDU-Stadtverordnete will verhindern, dass Wähler und andere Menschen ihm über das Portal abgeordnetenwatch.de Antworten abverlangen könnten. Zwar ist das zurzeit noch gar nicht möglich, denn für Wiesbadener Kommunapolitikerinnen und -politiker gibt es noch keine Abgeordnetenwatch-Seite. Doch droht Hasemann-Trutzel im Namen der 25-köpfigen CDU-Rathausfraktion dem Portal schon mal präventiv mit „einer formalen Klärung“ – die Macher der Website verstehen das als Klagedrohung.
Dass sich die CDU-Kommunalpolitiker mit abgeordnetenwatch.de beschäftigen, liegt an der Piratenpartei in Wiesbaden. Die hat im Spätsommer angekündigt, die Daten der Stadtparlamentarier bei dem Portal einzureichen. Sie beantragten anschließend, dass die Stadt abgeordnetenwatch.de darum bittet, einen Bereich für die Wiesbadener Kommunalpolitiker einzurichten. Der Antrag wurde allerdings abgelehnt. Und so haben die Piraten bisher keine Daten der Lokalpolitiker an das Politikportal geschickt. Dennoch sieht die CDU offenbar Gefahr im Verzug.
Und wenn die Wiesbadener CDU-Stadtverordneten ihre Drohung wahr machen, dann erlebt das Portal abgeordnetenwatch.de bald eine Premiere. Ein Gerichtsverfahren gab es noch nie – Drohungen allerdings einige. Am häufigsten gebe es Ärger mit Kandidaten von extremistischen Parteien, sagt Martin Reyher von abgeordnetenwatch.de. Die wollten nach einer Wahl oft wieder von der Plattform verschwinden. Neu ist im Fall der Wiesbadener Kommunalpolitiker, dass eine ganze Fraktion geschlossen droht – und das prophylaktisch.
Auf abgeordnetenwatch.de können die Nutzer seit 2004 Politikern Fragen stellen. Das Portal leitet die Fragen an die Betreffenden weiter und veröffentlicht sie – genauso wie die Antworten. Zunächst konnten nur die Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft befragt werden. Seit 2006 bietet die Website den Service für alle Bundestagsabgeordneten an – und inzwischen können die Menschen auch die deutschen Europaparlamentarier, die Abgeordneten aus acht Landtagen und die Mandatsträger in 20 kommunalen Gremien befragen. Ein weiteres Kommunalparlament wird hinzugefügt, wenn jemand die entsprechenden Daten auf einer Excel-Liste einreicht. Die Wiesbadener Piraten hatte angekündigt, das zu tun.
Doch warum gibt es die Aufregung bei den CDU-Kommunalpolitikern? „Die Stadtverordneten arbeiten ehrenamtlich und haben keinen Apparat hinter sich“, sagt Hasemann-Trutzel. Er ist Rechtsanwalt und vertritt sich und seine Kollegen auch als Justiziar. Manche seien einfach ausgestattet und hätte weder Internet noch Fax. Außerdem seien viele nicht in der Lage, sich gut auszudrücken, die Tragweite ihrer Formulierungen abzuschätzen und mit Empfindsamkeiten umzugehen. Das ist für ihn ein Problem, weil die Antworten auf die Fragen „auch in 10 Jahren noch online zu finden sind“.
Die Kommunalpolitiker fühlten sich überfordert, sagt Hasemann-Trutzel. „Mir haben Leute gesagt: Wenn das kommt, höre ich auf.“ Ihn und die anderen CDUler stört auch das Zählsystem von abgeordnetenwatch.de – dort kann jeder sehen, wie viele Fragen es an Politiker gab und wie viele Antworten er oder sie gegeben haben. Für den Kommunapolitiker ist das „stigmatisierend“. Rechtlich argumentiert er mit dem Persönlichkeitsrecht. In Deutschland gelte: „Du darfst nicht jeden anquatschen.“
Martin Reyher hält das Vorgehen von abgeordnetenwatch.de für rechtlich wasserdicht. Er habe ganz und gar nichts gegen eine rechtliche Klärung. Die Furcht vor zu vielen Anfragen hält er für unbegründet: Die Kommunalpolitiker, die bisher auf der Plattform vertreten sind, hätten nicht mehr als zwei Anfragen erhalten – über mehrere Monate.
Inzwischen sieht es so aus, als würden die 25 CDU-Stadtverordneten aus Wiesbaden das Gegenteil von dem erreichen, was sie wollen: Nachdem die Macher in ihrem Blog über den Briefwechsel mit den Stadtverordneten berichtet haben, fragten erste Leser an, was für Informationen die Website brauche, um die Profile einzurichten, erzählt Reyher.
Doch es gibt noch Hoffnung für die CDU-Stadtverordneten von Wiesbaden: Dieses Jahr wird es keine Seite für die Kommunalpolitik in der hessischen Landeshauptstadt geben. Die Mitarbeiter von abgeordnetenwatch.de haben gut zu tun: Es müssen vorher noch andere Städte bearbeitet werden. DANIEL KUMMETZ