: „Berlin kam mir sowjetisch vor“
Zwischen Berlin und Südamerika pendelt der Chilene Andres Bucci. Anfang der Neunziger veranstaltete der Sohn eines italienischen Einwanderers die ersten Raves in Santiago. Heute tritt der elektronische Musiker zusammen mit Kate Simko beim Worldtronics Festival im Haus der Kulturen der Welt auf
Andres Bucci lebt in Santiago de Chile. Zusammen mit der US-Amerikanerin Kate Simko bildet er „Detalles“. Heute Abend treten sie im Haus der Kulturen der Welt auf, zusammen mit Pablo Mellado (aka Maco) und Original Hamster.
INTERVIEW EVA-CHRISTINA MEIER UND ANDREAS FANIZADEH
taz: Herr Bucci, wie kam die elektronische Musik nach Santiago de Chile?
Andres Bucci: Ungefähr 1990 habe ich das erste Mal elektronische Musik in Santiago gehört. Das war im Radio der Universidad de Chile, ein Programm von Guillermo Escudero.
Und das hat Sie so beeindruckt, dass Sie selbst begonnen haben, Musik zu machen?
Nein, das kam ein paar Jahre später, als ich in Deutschland gelebt habe, hier in Berlin. Viele meiner Freunde in Santiago waren allerdings Musiker. Anfang der Neunzigerjahre wohnte ich mit dem Schlagzeuger der Elektrodomesticos zusammen. In dieser Zeit waren die eine ziemlich bekannte Post-New-Wave-Band. Mit Freunden habe ich damals angefangen, kleinere Partys zu veranstalten. Vielleicht waren wir auch die Ersten, die eine Art Rave in Santiago veranstaltet haben.
Welche Musik hat Sie damals interessiert?
Alles, was aus England kam. Wir haben Magazine wie ID oder The Face gelesen. Das war ja alles noch vor der Zeit des Internets. Und ich habe mir Platten mitbringen lassen von Leuten, die ins europäische Ausland gereist sind. Die ganze Popmusik der1980er, 1990er in Chile kam aus USA und war absoluter Mainstream. Elektronische Musik gefiel mir, sie war anders.
Was haben Sie selbst zu der Zeit gemacht?
Ich war Maler. Mein Vater hatte eine Galerie im Zentrum von Santiago. Er selbst war in den Fünfzigerjahren allein aus Italien nach Chile ausgewandert. Und war fest davon überzeugt, dass man es überall schaffen kann bzw. muss. Mein erstes Flugticket nach Europa habe ich mir ermalt. 100 Leinwände. Als ich 100 Bilder gemalt hatte, bezahlte mir mein Vater im Tausch das Flugticket. Vielleicht hat er anschließend sogar ein paar der Bilder verkauft, ich weiß es nicht.
Warum kamen Sie nach Berlin?
Eine Freundin, die ich in Chile kennengelernt hatte, lud mich ein. Außerdem lebte einer meiner Brüder damals in Düsseldorf. Durch die Herkunft meines Vaters war es naheliegend, nach Europa zu gehen. Als ich ihm von meinem Plan, nach Berlin zu reisen, erzählte, kommentierte er das allerdings trocken: Das römische Imperium ist nur bis zur Porta Westfalica gekommen.
Und in Berlin haben Sie weiter gemalt oder haben Sie schon Musik gemacht?
In Berlin habe ich bald Paolo San Martin kennengelernt. Ein Chilene, der mit seinen Eltern nach dem Putsch 1973 in die DDR emigriert war und in Ostberlin aufgewachsen ist. Mit ihm habe ich mir 1994 zunächst ein Atelier im Tacheles geteilt. 1995 habe ich mir meinen ersten Computer gekauft. Das war der Punkt, wo ich mich entschied, selbst Musik zu machen, und habe mich von der Malerei für lange Zeit verabschiedet.
Wie nahmen Sie Berlin Mitte der Neunzigerjahre wahr?
Ich war vor allem auf sehr vielen Konzerten. Im Delicious Doughnuts, Eimer, Panasonic, E-Werk, Tresor. Die Stadt war natürlich interessant für mich. Sie kam mir „sowjetisch“ vor. Ich war verblüfft, Wohnungen ohne Badezimmer und mit Toilette auf dem Gang anzutreffen. Das kannte ich bis dahin nicht, und es entsprach auch nicht meinen Erwartungen von Europa. Berlin war anders als jede andere Stadt.
Wieso sind Sie dann zurück nach Chile gegangen?
Schon ab 1997 bin ich häufiger zwischen Santiago und Berlin hin- und hergereist. 1999 ergab sich mit Plan V – einem Projekt mit dem argentinischen Musiker Gustavo Cerrati und anderen Freunden – für mich die Möglichkeit, in Chile elektronische Musik zu machen. In Berlin hatte ich in Bars oder auf dem Bau gearbeitet, und auf einmal hatte ich die Chance, mit Musik mein Geld zu verdienen.
Was hatte sich verändert in Chile, zehn Jahre nach der Diktatur? Gab es wieder so etwas wie ein Nachtleben?
Die Leute waren inzwischen viel mehr mit der Welt verbunden. Globalisierung und Demokratie waren spürbar. Während der Diktatur war es schwierig, kulturelle Information aus dem Ausland zu beziehen. Nun gab es in Santiago viele neue Clubs und Galerien. Nach meiner Rückkehr Ende der Neunzigerjahre fiel mir auf, wie viele Leute aus dem Ausland zurückgekehrt waren. In dieser Zeit kam zum Beispiel auch der Musiker Martín Schopf zusammen mit Uwe Schmidt (aka Atom Head) nach Santiago und veranstalteten unter anderem das Konzert elektronischer Musik im Planetarium. Uwe Schmidt blieb in Santiago, wo er bis heute lebt und arbeitet.
Elektronische Musik in Chile scheint aber keine wirklich populäre, sondern eine ziemlich exklusive Angelegenheit zu sein?
Ein bisschen schon. Zum einen, weil die Ersten, die diese Musik hörten, es vor allem über ihre Reisen nach Europa mitbekommen haben. Zum anderen wurde elektronische Musik und deren Hörer von den Sponsoren und dem Marketing von Anfang an als Musik einer privilegierten sozialen Klasse eingeschätzt. Und die Veranstaltungen werden von den entsprechenden Firmen gesponsert. Die soziale Struktur sieht man auch an den Eintrittspreisen, die sind teilweise wie hier. Populäre Musik ist in Chile eher Reggaetón oder Cumbia.
Cumbia ist aus Kolumbien, Reggaetón ursprünglich aus Puerto Rico. Wie kommt diese Musik nach Chile?
Über die Medien, Internet, YouTube, Fernsehen, Radio.
Als „Detalles“ arbeiten Sie zusammen mit der US-Amerikanerin Kate Simko, wie haben Sie sich kennengelernt?
Kate studierte klassische Musik in Chicago und kam mit einem Austauschsemester 2003 nach Chile. Sie wollte von meinem Bruder irgendein Instrument kaufen, und so kam sie in unsere Wohnung. So habe ich sie kennengelernt.
Ihre erste gemeinsame Platte, „Shapes of Summer“, erschien 2003 bei dem Kölner Label Traum-Schallplatten. Wie kamen Sie dazu?
Wir hatten eine erste Platte in Santiago aufgenommen, Kate ging zurück nach Chicago und hat verschiedene Demo-Bänder verschickt. Die Leute von Traum waren interessiert. Die waren offen für Musik aus Südamerika, die hatten auch Musiker aus Mexiko und Argentinien im Programm. In Chile allerdings wurde die Platte kaum wahrgenommen. Wir sind dort auch nie gemeinsam aufgetreten. Dieses Jahr haben wir unsere zweite Platte auf einem US-amerikanischen Label veröffentlicht: „Micros Morning“.