GESCHICHTE ZUM ANZIEHEN : Dreiklang
Monatelang habe ich nach einem Schlafanzug gesucht. Es sollte kein neuer aus dem Kaufhaus sein, sondern ein alter Herrenpyjama, möglichst wenig getragen. Jetzt bin ich endlich fündig geworden. In dem Gebrauchtwarenladen in der Grünberger Straße in Friedrichshain, wo ich fast alle meine Kittelschürzen gefunden habe, hing ein halbes Dutzend Pyjamas aus den 70er, 80er Jahren. Es gab sogar einen mit einem Homer-Simpson-Aufnäher. Ich liebe die Simpsons. Aber der Schlafanzug gefiel mir leider gar nicht.
Die anderen Pyjamas hatten tolle Farben, violett, zartgrün, hellblau, aber die Hosen waren nicht so schön geschnitten. Bis auf eine. Die gehörte zu einem Schlafanzug Größe 48, mit Eingriff und verschieden breiten blauen, roten, gelben und eierschalenfarbenen Streifen. Er war herzallerliebst. In der Jacke war ein Schild eingenäht, „Dreiklang“. Die Baumwolle fühlte sich fein und ungewaschen an. Kein Mann dieser Welt hat auch nur eine Nacht in ihm geschlafen.
Ich bezahlte 13 Euro und trug den Pyjama nach Hause. Dort steckte ich ihn in die Waschmaschine und befragte das Internet. „Dreiklang“ war ein volkseigener Betrieb in Auerbach im Vogtland, der Nachtwäsche hergestellt hat. Ich wunderte mich, dass mir als Sächsin dieser Betrieb nichts sagte. Gab es die Schlafanzüge vor dem Mauerfall nur unter dem Ladentisch? Wurde die Nachtwäsche in den Westen exportiert? Andererseits habe ich mich als junges Ding nicht besonders für Schlafanzüge interessiert.
Die Ostnachtwäsche ist im Jahr 25 der Wiedervereinigung Geschichte zum Anziehen. In der ersten Nacht mit dem Dreiklang-Pyjama fiel mir kurz vor dem Einschlafen ein, dass die Treuhand die DDR im Dreiklang abgewickelt hat: „Schnell privatisieren, entschlossen sanieren, behutsam stilllegen.“ Schnell, entschlossen und behutsam schlief ich ein. BARBARA BOLLWAHN