Rustikaler Umgang mit dem Keeper

Hat Simon Jentzsch beim 2 : 2 gegen Frankfurt sein letztes Spiel für Wolfsburg gemacht? VfL-Trainer Felix Magath jedenfalls gibt mit seiner ungewöhnlichen Torwart-Auswechslung allerlei Spekulationen Futter

Hat Simon Jentzsch am vergangenen Samstag beim 2 : 2 gegen Eintracht Frankfurt sein letztes Spiel für den VfL Wolfsburg gemacht? Einerseits: Trainer Felix Magath hat dem langjährigen Stammkeeper eindeutig das Misstrauen ausgesprochen, indem er ihn in der Pause gegen Andre Lenz austauschte. Andererseits: Magath hat in seiner kurzen Zeit als Geschäftsführer, Sportdirektor und Trainer so viele überraschende Entscheidungen getroffen, dass man zum jetzigen Zeitpunkt auch eine Rückkehr nicht ausschließen kann. Immerhin hat Jentzsch, 31, eben noch seinen Vertrag bis 2011 verlängert.

Magath hat aber längst sehr deutlich gemacht, dass ihn nicht interessiert, was gestern oder was lange Jahre war. „Ich sah beim 1 : 1 auch den Torhüter in der Pflicht“, sagte er. „Ich hatte das Gefühl, dass Simon unsicher ist und habe ihn deshalb aus dem Spiel genommen.“ Überhaupt: Jentzsch habe „nicht die beste Vorrunde gespielt, „da braucht man nicht drum rumzureden“. Tatsächlich war der Keeper nach einem Eckball auf der Linie geblieben und hatte Chris aus ein paar Metern köpfen lassen (31.). Und ja, er hat bisher eine schwache Saison gespielt.

Magath nennt die Auswechslung „eine spontane Maßnahme“. Wenn man weiß, wie leise und kühl er in Pressekonferenzen redet und wie beherrscht er dem Spiel von seinem Trainersessel aus zusieht, dann war es tatsächlich außergewöhnlich rustikal, wie er nach dem 1 : 1 vibrierte und fluchte. Mag sein, dass er da dachte: Jetzt reicht’s.

Andre Lenz war selbstredend hocherfreut über seinen ersten Bundesligaeinsatz seit zweieinhalb Jahren. Wie das alles genau ablief, wollte man von ihm wissen. Magath habe „warm machen“ zu ihm gesagt. Tja, und das machte er dann. Lenz ist 35, sein Vertrag läuft am Saisonende aus. Es ist unwahrscheinlich, dass er neuer Stammkeeper wird. Der Ex-Cottbusser gibt seit Jahren eine unauffällige Nr. 2, die Jentzsch nicht gerade zu Topleistungen getrieben hat.

Simon Jentzsch war 2003 von 1860 München nach Wolfsburg gekommen, was als erste Botschaft an die Konkurrenz verstanden wurde, dass VW ernst macht mit dem Aufbau eines Spitzenklubs. Das zog sich dann bekanntlich noch hin, aber Jentzsch wurde Nachfolger des populären Claus Reitmaier und blieb – bis auf eine kurze Phase bei Jürgen Röber – Eckpfeiler des Versuchs, ein Team aufzubauen, dass um Uefa-Cup-Plätze mitspielen kann. Inzwischen hat er 241 Bundesligaspiele gemacht, aber keinerlei Titel aufzuweisen.

Magath hatte Jentzsch bereits vor der Saison kritisiert und ihm mit dem ehemaligen St. Pauli-Keeper Volker Ippig einen neuen Torwarttrainer verordnet, um einen „neuen Impuls“ zu setzen. Offenbart hat der Trainer generell den Eindruck gewonnen, dass kuschelige Gemütlichkeit ein Hauptgrund für stagnierende Leistungen in Wolfsburg ist. Die handelsübliche Fußballpsychologie, nach der man einen sensiblen Torhüter nicht ohne Verletzung austauscht, hat Magath ins Gegenteil gewendet: „Vielleicht hilft ihm das, zu alter Form zurückzufinden“, sagt er – und keiner weiß, ob das ehrlich gemeint ist oder zynisch.

Dass er im Winter eine neue Nr. 1 verpflichten könnte, wird seit längerem gemunkelt. Oder will er sich gar um Deutschland verdient machen, indem er Nationaltorwart Jens Lehmann jene Spielpraxis gibt, die dieser braucht, um das DFB-Team zum EM-Titel zu führen?

Letztlich hat Magath mit seinem Wechsel auch davon abgelenkt, dass der VfL am Samstag nicht in der Lage war, eine engagierte, aber fast schon absurd ersatzgeschwächte Eintracht zu dominieren und zumindest einen Arbeits-Heimsieg zu verbuchen. Die Treffer der beiden besten VfL-Spieler Gentner (6.) und Džeko (48.) glichen der starke Chris und Fink (52.) aus. Magath und sein mit 30 Millionen Euro aufgerüsteter VfL haben damit eine problematische Gesamtbilanz aufzuweisen: 17 Punkte und vier Siege aus 15 Spielen. Weniger hatte man in elf Jahren Bundesliga nicht. An Jentzsch allein kann das nicht liegen. PETER UNFRIED