: Verlorene Zuflucht
KUNST Cathy Wilkes’ Objekte und Gemälde sind erstmals außerhalb Großbritanniens zu sehen. Ihre Kunst ist vor allem biografisch geprägt, schaut aber künstlerisch nach vorn
Janneke de Vries
von Radek Krolczyk
Zwischen einem alten verrosteten Pflug und den Resten einer Zisterne spielen sich tragische Szenen ab. Eine Frau mit nacktem Oberkörper kniet auf dem Boden und reißt anklagend Arme und Kopf in Richtung Himmel, ein kleiner Junge mit Brandwunden an Armen und Oberkörper hockt in sich zusammengesunken daneben, eine weibliche Gestalt im gelben Kleid verrenkt Arme und Beine, würde sie einen Twist hinlegen – aber dafür scheint die Lage zu ernst.
Cathy Wilkes’ lebensgroße Installation erinnert an ein Dritte-Welt-Szenario. Hunger, Dürre, Elend und Verzweiflung schweben über dem Tableau. Die Figurengruppe ist Teil einer Ausstellung, die die Gesellschaft für aktuelle Kunst (GAK) dem Werk der nordirischen Künstlerin widmet. Wie in allen ihren Objektarbeiten, verwendet die 1966 in Belfast geborene Wilkes auch hier konkretes Material, alltägliche Gegenstände mit einer gewissen Symbolträchtigkeit. Zumeist stammen sie aus Wilkes’ eigenen Inventar, sind Reliquien ihrer Kindheit oder Hinterlassenschaften ihres vor wenigen Jahren verstorbenen Vaters. In Wilkes’ Arbeiten finden sich „persönliche Erfahrungen, die sie auf eine allgemeine Ebene bringt“, so GAK-Direktorin Janneke de Vries.
Gerade der Tod ihres Vaters spielt immer wieder eine Rolle in ihren Installationen. So stammt der erwähnte Rest einer Zisterne, ein massiver Betonblock mit aufgesetztem Wasserhahn, aus dem väterlichen Garten. Die Installation hat Wilkes eigens für die Bremer Ausstellung entwickelt. „Sie ist nicht daran interessiert, alte Arbeiten neu aufzubauen. Sie entsprechen nicht mehr ihrer Entwicklung“, erläutert de Vries die Arbeitsweise der Künstlerin. Deshalb sind ihre Ausstellungen auch äußerst kostspielig. Nur in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein München konnte die aktuelle Schau realisiert werden. Nach dem Transport schwerer Gegenstände wie Pflüge und Betonbrocken müssen die Objektensembles erst entwickelt werden.
Cathy Wilkes wuchs in einem streng katholischen Milieu auf. Auch dies findet Eingang in ihre Kunst: „All die katholischen Geschichten haben sich in ihren Kinderkopf eingebrannt. Vor allem die Geschichte von Babylon hat sie beeindruckt“, so de Vries. Babylon, der Ort, an dem die Menschen sich gegen die göttliche Autorität aufgelehnt und sich der Wollust und Völlerei hingegeben haben sollen. Häufig ist in diesem Zusammenhang in einer antimodernen Geste von der „Hure Babylon“ die Rede. Cathy Wilkes affirmiert dieses seltsame reaktionäre Bild: Ihr gilt Babylon als Synonym für emotionale Dürre. In diesem Sinne ist die Dürre ihrer Bremer Installation zu verstehen.
Zentrum einer zweiten Objektarbeit ist ein von Draht umgebenes Baby, dem eine riesengroße Zunge aus dem Mund hängt, überall klebt Porridge. Es handelt sich dabei ausnahmsweise um eine ältere Installation von 2010, die Künstlerin nahm sie auf Drängen der GAK-Direktorin in die Ausstellung auf.
In der GAK werden erstmalig in einer europäischen Ausstellung Wilkes’ Objektarbeiten zusammen mit ihren abstrakten Gemälden gezeigt. Während die Installationen äußerst raumgreifend sind und aus ganz konkreten, bekannten Dingen bestehen, sind die Bilder kleinformatig, ungegenständlich und damit deutlich offener als die symbolreichen Objektgruppen. Es irritiert, dass Wilkes sie bisweilen eher wie Objekte behandelt. In der Ausstellung liegen einige Gemälde auf einem Sockel zwischen allerlei Inventar mit biografischem Hintergrund: ihrer Kinderbibel, der Bibel ihres Vaters, der Keksdose ihrer Oma, Kinderzeichnungen und Schulheften ihres Bruders.
Selbst die Jahresgaben, drei Vorarbeiten zu ihrem bisher einzigen Druck, haben ihre Kindheit zum Thema: Grundlage ist eine Fotografie der Küche ihres verstorbenen Vaters. Diesen verloren gegangenen Zufluchtsort zeigt sie in der Spanne zwischen Erinnern und Vergessen.
■ „Cathy Wilkes“, bis 19. 2. 2012, GAK Bremen, Donnerstag, 19 Uhr, Führung durch die Ausstellung mit Janneke de Vries