: Grüne ohne „Brechstange“
In der Schulpolitik wollen die Grünen eine „Schule für alle“, aber nicht „mit der Brechstange“ die Gymnasien abschaffen. Anja Stahmann: Mit freiem Elternwillen ist keine gute Schulpolitik zu machen
Von KLAUS WOLSCHNER
Die Bremer Grünen fühlen sich durch die neuen Pisa-Ergebnisse in ihrer schulpolitischen Position bestärkt: Eine „Schule für alle“ ist das Ziel, und das wollen sie auch in dem „Fachausschuss für Schulentwicklung“ einbringen, der heute erstmals tagt. Bis zum kommenden Sommer soll dieser Ausschuss der Bürgerschaft Vorschläge zur Weiterentwicklung des bremischen Schulsystems vorlegen. Auf einer Pressekonferenz erläuterte gestern Anja Stahmann, die schulpolitische Sprecherin der Grünen, in welcher Richtung ihrer Ansicht nach die Reise gehen müsste.
Auf die Frage, ob sie die Gymnasien abschaffen will – das heimlich zu wollen wirft die CDU der rot-grünen Bildungspolitik vor – antwortete sie ausweichend, aber doch deutlich: „Es wäre schön, wenn die Gymnasien in Zukunft alle Abschlüsse anbieten würden.“ Also eben auch Hauptschulabschlüsse. Das Ziel einer „Schule für alle“ wolle man nicht „mit der Brechstange“ durchsetzen, heißt es in der Positionsbeschreibung der Grünen, „wir wollen für integrative Konzepte werben und andere überzeugen“. Um dem etwas nachzuhelfen, sollten an allen Schulformen „integrative Ansätze“ belohnt werden. Zum Beispiel sollte für die Sekundarschulen die Leistungsdifferenzierung für die Klassenstufen 9 und 10 überdacht werden, an Gesamtschulen würde die Aufteilungen in A- und B-Kurse nicht ins Bild passen.
Ein großes Problem der Schulplanung ist das freie Elternwahlrecht, mit dem insbesondere beim Übergang von Klasse 4 zu Klasse 5 schulpolitische Fakten geschaffen werden. Stahmann meinte, man müsse die Frage stellen: „Eignet sich der Elternwille zur Schulentwicklung?“ Sie kann sich vorstellen, dass die Wahlfreiheit zugunsten stärkerer regionaler Bindungen wieder eingeschränkt wird. Die SPD-Bildungspolitik hatte in früheren Jahrzehnten mit diesem Instrument versucht, die Abwanderung der Gymnasial-Schüler von den Gesamtschulen zu verhindern.
Alle Bildungsreform muss unten anfangen, das finden auch die Grünen. „Der frühe Vogel fängt den Wurm“, meinte Stahmann. Sprachstands-Tests sollten bei den Vierjährigen oder sogar bei Dreijährigen stattfinden. Angesichts der Tatsache, dass demnächst 50 Prozent der Grundschüler einen Migrationshintergrund hätten, könnten Förderprogramme nicht früh genug ansetzen. Stahmann kann sich auch eine Schulpflicht ab dem fünften Lebensjahr vorstellen – ob dieses „Vorschuljahr“ dann in den Räumen der Schule stattfindet oder in der Kita, das müsse man sehen. Wichtig sei aber die Kooperation zwischen Erzieherinnen und Lehrerinnen.Rund 500 Schüler, das sind etwa 10 Prozent, verlassen jedes Jahr Bremens Schulen ohne Abschluss – rund 50 Millionen Euro gibt das Land jedes Jahr aus für „Nachqualifikation“. Das ist vor allem das Problem der Haupt- bzw. inzwischen der Sekundarschulen, aber was da getan werden könnte, da hatte Stahmann keinen Vorschlag für den Schulausschuss. Außer dem, dass „Schule für alle“ natürlich bedeuten müsste, dass auch an Sekundarschulen ein gymnasialer Bildungsgang möglich sein sollte.
Im Unterschied zur SPD-Bildungssenatorin sieht Stahmann in der Stufen-Gliederung des bremischen Schulsystems, das die SPD vor Jahrzehnten eingeführt hatte, kein Problem. Für 16-Jährige sei es „nicht schlecht, an ein größeres Oberstufenzentrum zu wechseln“, wo es mehr Wahlmöglichkeiten für Leistungs-Schwerpunkte gebe. Und das sei am Ende auch preiswerter für die Bildungsbehörde. Die Bildungssenatorin unterstreicht demgegenüber die Bedeutung der Durchgängigkeit und will dies auch für Gesamtschulen, wo es eben geht, umsetzen.
Den CDU-Vorschlag eines zweigliedrigen Schulsystems lehnt Stahmann ab. „Das CDU-Modell zementiert die frühe Sortierung nach der vierten Klasse“, sagt Stahmann, „dahinter steckt der Gedanke, Kinder ließen sich in verschiedene Begabungsstufen einteilen.“
Auch die FDP plädierte gestern für ein zweigliedriges System aus Gymnasium und Stadtteilschule – das stand schon im Wahlprogramm, erinnert Magnus Buhlert und beglückwünschte die CDU: „Wir freuen uns, dass auch die Union im 21. Jahrhundert angekommen ist.“ Bedenklich findet die FDP derweil die Ankündigung der Grünen, die freie Schulwahl wieder einzuschränken zu wollen.