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Archiv-Artikel

Die heilige Familie von Ikea

Der israelische Künstler Guy Ben-Ner hat seine Familie in Ikea-Filialen gefilmt. Dort wird übers Privateigentum philosophiert. Seine Sitcom „Stealing Beauty“ ist in der DAAD-Galerie zu sehen

VON GLORIA ZEIN

Irgendwo in einem Einrichtungshaus: Menschen jeden Alters spazieren mit gelben Taschen durch Wohnlandschaften, nehmen Preisschilder und Exponate in Augenschein. Dazwischen steht ein Mann in Bademantel und Gummilatschen und verhängt mit herrischer Geste Stubenarrest über seine Tochter. In verschiedenen Ikea-Niederlassungen weltweit hat Guy Ben-Ner mit seiner Familie ein freches Experiment der Überwindung des Privateigentums inszeniert.

Der 1969 geborene Künstler ist bekannt geworden mit humorvollen, poetischen Fluchtfantasien: Weil er kein Atelier hat, filmt er seit Ende der Neunzigerjahre sich selbst, eingekeilt zwischen Haushalt, Vaterrolle und dem Verlangen, künstlerisch zu arbeiten. In der Familienküche projizierte er sich auf eine einsame Insel oder spielte mit seiner Tochter Moby Dick. Später setzte er, wiederum in der Küche, die Erziehung seines zweijährigen Sohnes als Bezwingung der natürlich1en Kreatur durch die Kultur in Szene. Dabei wurden einfallsreich missbrauchte Alltagsgegenstände zu Protagonisten im Werk Ben-Ners. Auf der Kunstbiennale von Venedig 2005 vertrat er Israel mit einer sperrigen Baumskulptur, die sich im begleitenden Video dem erneut auf einer Insel gestrandeten Künstler als akribisches Arrangement aus Ikea- und anderen Do-it-yourself-Möbeln entpuppte.

In dem Video „Stealing Beauty“, das zurzeit in der Berliner DAAD-Galerie zu sehen ist, dreht er dieses Spiel mit Realität und Fiktion um: Statt in der Fantasie aus der familiären Enge zu entfliehen, tragen die Ben-Ners ihre eigene Realität in die Außenwelt, indem sie Ikea-Filialen als neues Heim annektieren. Die Familie benutzt deren Wohnecken, Küchenzeilen und Werbejingles, um über die feilgebotenen Objekte als Repräsentanten kapitalistischen Privateigentums zu debattieren.

Ben-Ners frühere Arbeiten versprühen die konzentrierte, kreative Stille eines Sonntagnachmittags. Sie leben von dem Unausgesprochenen. Ihr zum Teil schwarzer Humor erinnert an Charles Chaplins filmisches Werk; stilistisch verweisen sie explizit auf Buster Keaton. In „Stealing Beauty“ dagegen performt der vormals verspielte Vater von zwei Kleinkindern den gereiften Erzieher mit Sendungsbewusstsein.

Ben-Ner selber lokalisiert seine neue Arbeit zwischen Sitcom und Jean-Luc Godard. Zwar eröffnen die einzelnen Szenen mit den für das Fernsehformat üblichen Familienproblemchen. Diese werden aber bald von politischen Diskussionen verdrängt. Philosophische Betrachtungen werden auch mit Hilfe der Tontechnik vollzogen: Bei der Nachvertonung hat der Künstler pantomimische Handlungen mit realistischen Geräuschen unterlegt. Dem in der Pantomime abwaschenden Sohn erklärt er, in welchem Verhältnis Geräusche zum Wert des Gegenstandes stehen, von dem sie erzeugt werden.

Der Versuch, mit Hilfe der Sprache Kontrolle über die Bilder zu gewinnen, erinnert tatsächlich an die gesellschaftskritischen Filme Jean-Luc Godards. Auch flicht Ben-Ner, wie jener, dokumentarische Aspekte ein, die seine Aufnahmemechanismen offenbaren. Organisatorische Zwänge, wie der durch Hausverweis bedingte, häufige Filialenwechsel, werden so zum stilistischen Mittel umfunktioniert: Ein kurzer Wortwechsel der Eltern wird in zehn verschiedenen Betten geführt! Einmal springt Mutter Nava auch aus der Handlung, um die offenbar versteckte Kamera vor Übergriffen zu retten.

Es lohnt, sich in die zuweil reizenden Dialoge einzuhören. In ihnen müht sich der Vater, seinen Kindern in einfachen Worten die von Friedrich Engels formulierte „historische“ Parallele von monogamer Familienstruktur und Privatbesitz, angeblich belegt im schriftlich fixierten Erbrecht, zu erklären. Am Ende lässt er seine Teenage-Tochter ein Manifest gegen dieses kapitalistische Ideal verlesen: „Kinder der Welt, vereinigt euch! Verweigert euer Erbe, stehlt es von euren Eltern!“

Durch die Wahl des Settings wirkt der Aufruf in doppelter Hinsicht skurril: Zum einen werden soziale Festschreibungen bei Ikea werbewirksam umschifft. Der Katalog legt jede Form moderner Gemeinschaftlichkeit nahe: Familien finden Platz neben homosexuellen Paaren, Singles und Wohngemeinschaften, ob in Küche oder Schlafzimmer. Zum anderen beruht der Erfolg von Möbelkonzernen dieser Art gerade auf der relativen Erschwinglichkeit von Waren, die durch deren Kurzlebigkeit erkauft wird beziehungsweise diese unterstützt. Möbel von Ikea müssen noch nicht einmal ein Menschenleben halten. Hochfrequente Neuerwerbungen von Wegwerfartikeln sind die Folge; der Mittelstand verprasst sein Erbe.

So wirkt die Aktion der Ben-Ners wie eine doppelte Brechung: Der ironischen Rückeroberung einer an Einfluss verlierenden Familienidylle folgt der emphatische Aufruf zu deren Überwindung durch die nomadisierende Künstlerfamilie.

„Stealing Beauty“: bis 31. Januar 2008, DAAD-Galerie, Zimmerstr. 90–91, 10117 Berlin. Öffnungszeiten: täglich außer sonntags 11–18 Uhr