: Was nicht bleiben konnte
OLYMPIA-ERFAHRUNGEN II Für Barcelona waren die Spiele von 1992 der Startschuss für die Gentrifizierung
Dunkle Gassen, der Geruch nach verschmutztem Meerwasser und Dieselöl, Spelunken, Rotlicht, Lagerhallen am Ende der Ramblas – das war Barcelona vor den Olympischen Spielen 1992. Zumindest unten in der Altstadt. Olympia sollte alles ändern. Als an jenem 25. Juli 1992 bei der Eröffnungsfeier die Opernsängerin Montserrat Caballé, begleitet von der auf Band gebannten Stimme der kurz zuvor verstorbenen Rocklegende Freddie Mercury, „Barcelona“ in den Mittelmeerhimmel stieß, war dies der Abgesang auf jene ehrliche, raue Hafenstadt. Im Schatten des sportlichen Großevents hatte eine Stadtreform begonnen, wie sie Spanien nie zuvor gesehen hatte.
Sportstätten entstanden. Ein ganzes Industriegebiet, Icària, musste dem Olympischen Dorf weichen, ohne Rücksicht auf wertvolle Backsteinarchitektur. Nur der Schornstein der Mehlfabrik Folch erinnert seither noch an das, was einst das wirtschaftliche Herz der Stadt war. Neue U-Bahn-Linien erschlossen neue Gebiete für den kommenden Bauboom. Eine Ringstraße machte die Stadt für den Privatverkehr durchlässiger. Barcelona wurde nach und nach zum Meer hin geöffnet. „Waterfront“ wurde das Projekt getauft.
Unerbittlich fraßen sich dabei die Baumaschinen durch die alte Substanz. Sieben Kilometer Stadtstrand gibt es heute dort, wo einst die Industrie den Ton angab. Teuere Wohnungen entstanden. So manche Lagerhalle unten am Hafen wich einem modernen Konsumtempel mit Einkaufszentrum, Großkinos und Restaurants auf einem ausgedienten Kai. Kleine Kneipen am Ufer in der Barceloneta wurden platt gemacht. Jetzt stehen dort moderne Strandbars wie an 90 Prozent der spanischen Strände auch.
Einmal angeworfen, durfte die Maschinerie auf gar keinen Fall zum Stillstand kommen. Denn sie schwemmte viel Geld in die Portemonnaies weniger. Trotz Bürgerprotesten wurden ganze Häuserblocks in der Altstadt abgerissen, um dort seelenlose Plätze mit modernem urbanem Mobiliar entstehen zu lassen. „Auflockerung des Baugewebes“, „Mensch und Sonne den Zugang zur Altstadt erleichtern“, „Licht, ein Teil der Grundausstattung“, lauteten die Werbesprüche, mit der die Altstadtreform verkauft wurde. Doch eigentlich ging es darum, ein undurchdringliches, soziales Gefüge, wie es überall auf der Welt rund um die Häfen seine eigene Dynamik entwickelt, aufzubrechen, die Wohnungen denen für teueres Geld zu verkaufen, die auf der Suche nach dem vermeintlich romantischen Altstadtleben sind, und dieses genau damit aber zerstören.
Olympia sicherte Barcelona einen festen Platz auf der Weltkarte für Wochenendtouristen. Die Zahl der Besucher ist seit 1992 um ein Fünffaches gestiegen. Die Stadt im spanischen Nordosten steht wie keine zweite auf der iberischen Halbinsel für eigene Identität, Geschichte und Moderne. Museen, Konzerte, Sportveranstaltungen … – die katalanische Regierung und die Stadtverwaltung in Barcelona tun alles, damit das Geschäft mit dem Tourismus funktioniert.
Heute, aus gebührlicher Distanz betrachtet, sind diejenigen, die den Prozess mit der olympischen Reform eingeleitet haben, kritischer geworden. So gestand der ehemalige stellvertretende Bürgermeister Jordi Borja am 20. Jahrestag der Spiele gegenüber der Zeitung La Vanguardia, dass das Herzstück des neue Barcelonas, der Umbau des alten Hafens „nicht ganz geglückt“ sei. „Zu viel Beton, ein kommerzielles Produkt, das nicht so richtig erfolgreich war“, urteilte er.
Seine Nachfolger im Rathaus sehen das auch so und wollen die Reform reformieren. Doch statt die Bürger anzuziehen, träumen sie von einem luxuriösen Yachthafen „mit sieben Sternen“. Dieser soll alles bieten, was das Herz der Superreichen dieser Welt begehrt: vom privaten Chauffeur, über Nobelrestaurants bis hin zu Wellnessoasen. Der Duft teuren Parfüms hat endgültig über den Geruch von verschmutztem Meerwasser und Dieselöl gesiegt. REINER WANDLER