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Archiv-Artikel

Hartz IV bleibt öfter unter sich

Obwohl die Zahl der Hartz-IV-EmpfängerInnen leicht sinkt, verschärft sich die „soziale Spaltung der Stadt“, so die Arbeitnehmerkammer. Sie fordert deshalb mehr soziales Quartiersmanagement

Von Christian Jakob

Die positive Konjunkturentwicklung kommt bei den Armen im Land Bremen kaum an. Das ist das Ergebnis des sechsten Armutsberichts der Arbeitnehmerkammer Bremen. Während die deutsche Wirtschaft letztes Jahr um knapp drei Prozent wuchs, ging die Zahl der SozialleistungsempfängerInnen in Bremen dem Bericht zufolge nur um etwas mehr als ein Prozent zurück.

„Längst nicht jeder hat etwas vom Aufschwung,“ sagte der Geschäftsführer der Kammer, Hans Endl, gestern bei der Vorstellung der Studie. „Die Zahl der Hilfsbedürftigen ist weiterhin Besorgnis erregend hoch.“ Konkret heißt das: Im März dieses Jahres bekam ziemlich genau jedeR siebte EinwohnerIn der Stadt Bremen – insgesamt 77.545 Menschen – Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Diese umfassen die als Hartz IV bekannten Zahlungen an Erwerbsfähige und das an Nicht-Erwerbsfähige gezahlte Sozialgeld. In Bremerhaven waren es sogar 23.825 Personen – das ist etwas mehr als jedeR fünfte BewohnerIn der Stadt.

Was die Kammer für ganz Bremen als „Besorgnis erregend“ einstuft, wird in einzelnen Quartieren durch die ungleichen Verteilung der sozialen Merkmale verschärft. Ihre Studie überschrieb die Arbeitnehmerkammer mit „Die soziale Spaltung der Stadt“. Der Befund: Abhängigkeit von staatlichen Hilfen setzt sowohl bei den EmpfängerInnen als auch in den Vierteln, die sie bewohnen, eine Abwärtsspirale in Gang. „Dass Menschen in bestimmten Quartieren benachteiligt sind“, so die Studie, sorge dafür, „dass sich dort weitere Nachteile einstellen“. So habe beispielsweise ein Kind aus Borgfeld eine viermal höhere Chance, eine weiterführende Schule zu besuchen, als ein Kind aus Tenever. „Das dürfte kaum daran liegen, dass die Kinder aus Tenever alle zu blöd sind“, sagte Kammersprecherin Elke Heyduck. Mit der Bildungsarmut einher gehe in den Arbeitervierteln ein erhöhtes Risiko für eine Vielzahl anderer Probleme. Während in Horn weniger als jeder 20. Haushalt „überschuldet“ ist, kann in Gröpelingen jeder fünfte seine Verbindlichkeiten nicht erfüllen. Und während in Tenever fast zwei Drittel aller Kinder von Hartz IV leben, sind es in Borgfeld gerade einmal zwei Prozent.

„Wohlhabende Haushalte ziehen aus den innerstädtischen Altbauvierteln und den sozialen Großwohnanlagen aus“, sagt Andreas Farwick, Geograf an der Universität Bremen. „Zurück bleiben Arbeitslose, Arme, Alte und Ausländer.“ Dieser Trend verschärfe sich: „Die schon immer bestehenden Armutsinseln verbinden sich zu Armutsflächen.“ Weil aber soziale Segregation nicht nur Ergebnis, sondern zugleich Ursache von Benachteiligung sei, „müsse alles getan werden“, diese abzuschwächen, so Farwick.

Hierfür seien weder bauliche Maßnahmen allein noch ein bloßes Anheben der Sozialleistungssätze ausreichend. Gefragt seien „quartiersbezogene Ansätze, die die Wechselwirkung zwischen sozialen und baulichen Problemen berücksichtigen“. Wichtig sei beispielsweise die Förderung von Schulen in problematischen Quartieren: „Kurzfristig steigert das die Attraktivität und hilft, die stabilisierend wirkende Mittelschicht zu halten“, so Farwick. Langfristig werde das Bildungsniveau der Quartiersbevölkerung verbessert und das Armutsrisiko gesenkt.

Vor diesem Hintergrund fordert die Kammer vom Land Bremen eine deutliche Aufstockung der Mittel für die Stadterneuerungsprogramme „Wohnen in Nachbarschaft“ und „Soziale Stadt“. „Es macht überhaupt keinen Sinn, dass die Quartiersmanager nun in einigen Stadtteilen abgezogen werden sollen, weil sich dort die Lage wegen ihrer Arbeit leicht entschärft hat. Bleibt man nicht am Ball, muss man in fünf Jahren einen neuen Quartiersmanager schicken – der dann wieder von vorne anfangen kann,“ so Heyduck. Zudem sprach sich die Kammer für eine Festlegung der Ressortplanungen auf die Aufgaben der sozialen Stadtentwicklung aus. „Die Überwindung der sozialen Polarisierung kann nur gelingen, wenn das Thema nicht wieder allein beim Sozialressort abgeladen wird“, so Kammer-Geschäftsführer Endl.

Die Deputationen für Bau und Soziales stimmte gestern den Empfehlungen der Sozialsenatorin zu, die Stadtteile Lüssum, Tenever, Gröpelingen, Huchting und Kattenturm bis 2010 im selben Maße wie bisher zu fördern. Hemelingen, die Neue Vahr und die Grohner Düne bekommen Geld bis Ende 2008. Blockdiek und Marßel hingegen sollen nichts mehr bekommen, weil „eine vergleichsweise stabile soziale und bauliche Situation erreicht wurde“, heißt es in einer Mitteilung des Senats.