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Archiv-Artikel

Biafra reloaded

Vierzig Jahre nach dem Biafrakrieg erinnert eine neue Separatistenbewegung an das düstere Kapitel in der Geschichte Nigerias

VON MONA HOPE

Er war der große Hoffnungsträger in Nigeria 1999. Nach sechzehn Jahren Militärdiktatur wurde Olusegun Obasanjo zum Staatsoberhaupt gewählt. Auch das Volk der Igbo wusste er hinter sich, über seine Rolle als General im Biafrakrieg vor vierzig Jahren sahen sie galant hinweg. Doch nach der Kabinettsaufstellung war es vorbei mit der Harmonie. Als die Igbo mangelnde Berücksichtigung beklagten, soll er erwidert haben: Wenn Nigerias Regierung nicht so gnädig wäre, würden die im Krieg Besiegten noch zweihundert Jahre lang schweigen.

Das gab den Anstoß zur Gründung der Organisation Movement for the Actualisation of the Souvereign State of Biafra (Massob), sagt zumindest Ralph Uwazuruike, Anführer und Gründer der Separatistenbewegung. Ihr Ziel: die Anerkennung Biafras als unabhängiger Staat. Uwazuruike ist Igbo, wie die Mehrheit der Bewohner Ostnigerias. Nach den Haussa und Yoruba stellen sie die drittgrößte Ethnie im Vielvölkerstaat Nigeria. Nun, finden die Massob-Aktivisten, soll „ihr“ Gebiet im Osten und Südosten Nigerias wieder unabhängig werden – wie schon 1967.

Damals folgte ein Krieg, der die Weltöffentlichkeit schockierte. Weniger publik waren die Verluste, die viele Igbo nach Kriegsende hinnehmen mussten: Nigerias Banken hatten die Guthaben von Händlern aus Biafra eingezogen. Vormals wohlhabende Händler bekamen nach dem Krieg lächerliche zwanzig Pfund Entschädigung. Auch Land- und Fabrikbesitzer wurden enteignet und warten bis heute vergeblich auf eine Wiedergutmachung.

Einen zweiten Krieg will heute keiner. Auch nicht Uwazuruike, der den Biafrakrieg als Kind erlebte. Gewaltfrei soll der Unabhängigkeitskampf sein – „Non-violence, non-exodus!“, „Weder Gewalt noch Flucht“. Damit setzt sich die Massob bewusst von anderen militanten Untergrundbewegungen in Nigeria ab. Seine Verhandlungspartner sucht Uwazuruike bei der UNO. Sie soll die gewaltfreien Unabhängigkeitsbestrebungen eines diskriminierten Volkes mit der Anerkennung Biafras honorieren. Heute hat die Massob nach eigenen Angaben sechzigtausend feste Mitglieder, die sich regelmäßig treffen, um an der politischen Struktur des zukünftigen Biafra zu arbeiten.

Doch die UNO weiß nichts vom Anliegen der Massob, und die nigerianische Regierung hat die Organisation verboten. Kriminelle Trittbrettfahrer, militante Splittergruppen und Massob-interne Querelen spielen ihr dabei sicher in die Hände. Kundgebungen werden gewaltsam aufgelöst, und vor etwa zwei Jahren wurde Uwazuruike, wie die Führer der militanten Bewegungen, inhaftiert und wegen Hochverrats angeklagt. Auch die große Mehrheit der nigerianischen Bevölkerung ist gegen eine Spaltung – nicht zuletzt, weil die Massob ölreiche Gebiete im Süden für sich beansprucht. Die kleineren Völker der Region stehen einem Igbo-dominierten Biafra ohnehin skeptisch gegenüber, und selbst viele Igbo halten Uwazuruike für einen Spinner. Denn als Händler sind Igbo überall in Nigeria zu Hause. Im Fall der Unabhängigkeit Biafras wäre alles Eigentum außerhalb des neuen Staates verloren. Und mögen sie im Herzen noch so sehr Biafraner sein – schlechtere Geschäfte nehmen Igbohändler dafür ungern in Kauf. Ein von der Massob initiierter Generalstreik im Dezember 2005 mobilisierte noch mehrere Millionen. Als Massob-Mitglieder jedoch versuchten, im Igbogebiet eine eigene Währung einzuführen, scheiterten sie am Widerstand der Händler.

Doch den Vorwurf, die Igbo seien als Volk im eigenen Land diskriminiert, hört man überall im Osten Nigerias. Die Machthaber aus dem Norden, so die geläufige Meinung, sicherten sich den größten Teil des Kuchens, aber im Südosten holperten die Menschen noch immer über marode Straßen und plagten sich mit heruntergekommenen Krankenhäusern herum. Igbo würden bei der Vergabe von Jobs im öffentlichen Dienst und von Studienplätzen benachteiligt. Schulische Ambitionen hätten sich deshalb drastisch reduziert.

Ausschreitungen gegen christliche Igbo im Norden des Landes scheinen solchen Stimmen recht zu geben. Im Jahr 2000 starben bei Pogromen im nordnigerianischen Kaduna City tausende Menschen. Die meisten waren Igbo. Ähnliche Übergriffe gab es auch nach dem 11. September 2001, während des dänischen Karikaturenstreits oder wegen einer Wahl zur Miss World. Das ruft Erinnerungen an die Pogrome der Sechzigerjahre wach, denen weit über achttausend Igbo zum Opfer fielen und die einer der Gründe waren, warum der Staat Biafra ausgerufen wurde: Von der nigerianischen Regierung fühlte man sich nicht mehr geschützt.

So reell die Ausgrenzung der Igbo scheint – aus anderer Perspektive betrachtet, relativiert sich ihre Sicht: Klagen über das Fehlen einer Infrastruktur sind auch aus anderen Landesteilen zu hören. Und der Benachteiligung im Bildungsbereich etwa liegt eine Quotenregelung zur Bekämpfung der Bildungsarmut im Norden zugrunde. Auch die politischen Strukturen haben sich seit 1999 geändert. Der muslimische Norden hat an Einfluss verloren, die Zentralregierung ist schwächer, die Bundesstaaten sind mächtiger geworden. Eine systematische Diskriminierung der Igbo gibt es nach Meinung vieler Experten nicht mehr. Und selbst die Pogrome sind mehr religiöser als ethnischer Natur – abgesehen allerdings von den Rachepogromen der Igbo an den im Osten lebenden Haussa.

Selbst wenn vor diesem Hintergrund die gefühlte Marginalisierung der Igbo nicht der tatsächlichen entsprechen mag: Mit seiner Politik der harten Hand hatte Obasanjo ihrem Groll nichts entgegenzusetzen. Es wächst die Einsicht, dass nicht die Massob oder andere Rebellenbewegungen eine Gefahr sind, sondern eine Regierung, die unsensibel mit den unterschiedlichen Bedürfnissen der vielen Völker Nigerias umgeht. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre die Aufarbeitung der Verbrechen an den Igbo, die es vor, während und nach dem Biafrakrieg gab. Von den Militärregimes hatte das keiner erwartet, von der Regierung Obasanjo schon. Trotz einer Untersuchungskommission über Menschenrechtsverletzungen seit der Unabhängigkeit warten die Igbo aber bislang vergeblich auf Entschädigung oder eine öffentliche Entschuldigung.

So hat die Separatistenbewegung Massob eine wichtige Funktion übernommen: Über Biafra wird wieder geredet. Über ein künftiges zwar, aber in der breiten Öffentlichkeit vor allem wieder über das vergangene. Das könnte die neue Regierung aufgreifen, denn Obasanjo ist Vergangenheit. Seit den umstrittenen Wahlen im April regiert sein Parteifreund Umaru Yar’Adua das Land. Auch seine Kabinettsaufstellung wurde von den Igbo kritisiert. Doch verbale Ausrutscher wie den von Obasanjo hat er sich bislang nicht geleistet. Und noch etwas lässt viele Igbo hoffen: Im Oktober wurde Uwazuruike aus der Haft entlassen.

MONA HOPE, Jahrgang 1971, lebte von November 2006 bis April 2007 in Nigeria. Von dort berichtete sie unter anderem für die taz über die Wahlen in dem Land