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Archiv-Artikel

„Kinder brauchen Familie“

DISKUSSION Verfassungsrechtlerin hält die Forderung nach Kinderrechten im Grundgesetz für falsch

Von KAJ
Friederike Wapler

■ 44, Verfassungsrechtlerin, lehrt derzeit an der Frankfurter Goethe-Universität und hat selbst zwei Kinder.

taz: Frau Wapler, Sie streiten heute darum, ob Kinderrechte ins Grundgesetz gehören. Ja, sagt Ihr Mitreferent, Hamburgs früherer Jugendhilfe-Abteilungsleiter Wolfgang Hammer.

Friederike Wapler: Das ist eine Forderung, die schön klingt, aber keinem Kind was bringt. Kinder haben alle Grundrechte und die Rechte aus der UN-Kinderrechtskonvention. Es gibt also keinen Bedarf.

Aber es schadet doch nicht.

Doch. Entweder es ist nur symbolisch. Oder aber, und das ist die Richtung, die aus Hamburg kommt, es geht darum, die Elternrechte zu schmälern. Das finde ich verkehrt, weil es nicht die Kinder selbst stärkt, sondern dem Staat mehr Interventionsrechte in die Familien gibt.

Es gilt als Lehre aus dem Todesfall Yagmur, dass Elternrechte zu stark ausgeprägt sind.

Man wusste, dass das Kind misshandelt worden war und Schutz benötigte. Man hat aber falsch eingeschätzt, von wem die Misshandlungen stammten. Das war ein fachlicher Fehler. Das Elternrecht der Mutter war nicht das Problem.

Aber man hätte das Kind ihr nicht überlassen dürfen.

Wenn man gewusst hätte, dass sie das Kind misshandelt hatte, natürlich nicht. Grundsätzlich aber ist die Pflegefamilie nur als Übergang gedacht. Kinder haben ein Recht, in ihrer Herkunftsfamilie aufzuwachsen. Die starke Stellung der Eltern gegenüber der Pflegefamilie dient auch dem Schutz des Kindes. Es geht nicht darum, Familie als Raum zu sehen, in den niemand reinsehen darf. Gefährdete Kinder muss man schützen. Aber man kann Kinder auch nicht so behandeln, als bräuchten sie ihre Familie nicht.

Kann alles bleiben, wie es ist?

Was die gesetzlichen Regelungen für den Kinderschutz betrifft, wurde mehr als genug getan. Was fehlt, ist die Feinjustierung. Wir brauchen ausreichend qualifiziertes Personal in den Jugendämtern. Wir brauchen Fortbildung für Familienrichter und Qualitätsstandards für familienpsychologische Gutachten.

Hat der Staat zu viele Rechte? Es werden immer mehr Kinder in Obhut genommen.

Man müsste untersuchen, was der Grund dafür ist. Es kann sein, dass sich das Dunkelfeld aufhellt und man näher hinschaut. Es kann genauso gut sein, dass Jugendämter überreagieren. Denn wenn etwas passiert und ein Kind nicht geschützt wurde, stehen sie in den Medien am Pranger.  INTERVIEW: KAJ

„Kinderrechte? – Elternrechte? Diskussion über Grundrechte, Partizipation und staatlichen Eingriff“: 9.30 bis 13.30 Uhr, Haus des Sports, Schäferkampsallee 1