: Ökoenergie für Hedonisten
Der Skiort St. Moritz wirbt mit einigen interessanten Projekten für die erneuerbaren Energien. Die Energiewende ist damit zwar noch lange nicht geschafft, aber der Ort soll als Vorbild dienen
VON BERNWARD JANZING
Der Feriengast kann die Schilder nicht übersehen. Kaum tritt er aus dem Bahnhof von St. Moritz auf den Vorplatz hinaus, weist schon das erste Schild den Weg der „Clean Energy Tour“ durch den Skiort: eine Windkraftanlage auf grünem Grund, die mit einem Edelweiß verschmilzt. Das Logo begleitet den Besucher durch den ganzen Ort. Denn in St. Moritz ist man mächtig stolz auf seine 15 Projekte rund um das Thema Energie.
An den zentralen Plätzen im Ort stehen Infotafeln zu Windkraft, Wasser und Sonnenenergie. Man wolle über „alle Formen der erneuerbaren Energien“ informieren, erklären die örtlichen Tourismusförderer. Dazu soll auch eine kleine Windkraftanlage im Skigebiet dienen. Und so ist Kurdirektor Hans Danuser denn auch davon überzeugt, dass „in dieser Penetranz nirgends sonst auf der Welt auf saubere Energie hingewiesen“ wird. An 322 Tagen im Jahr scheine die Sonne, ein Schweizer Rekord, lässt der Kur- und Verkehrsverein seine Gäste wissen.
Der größte Stolz der Gemeinde ist die Solaranlage an der Standseilbahn, die vom Dorfzentrum in 1.850 Meter Höhe auf fast 2.500 Meter Höhe führt – jede fünfte Bahn fahre so mit Solarstrom, rechnen die Solarfreunde vor. Eine zweite Photovoltaikanlage steht an der Fassade der Bergstation, und eine dritte befindet sich schließlich auf dem Piz Nair in 3.050 Meter Höhe. Sie ist die höchstgelegene ihrer Art in ganz Europa.
Vor allem wenn sich die internationale Skielite im Ort trifft, präsentiert die Gemeinde die Solartechnik gern: „Bei den Alpinen Ski-Weltmeisterschaften 2003 haben wir viel Werbung für Ökostrom gemacht“, sagt Kurdirektor Danuser. Und nicht nur Strom liefert die Engadiner Sonne: Eine thermische Solaranlage von 65 Quadratmetern auf dem Hotel Chantarella stellt bereits seit 28 Jahren Wärme für Heizung und Warmwasser bereit.
Doch obwohl man in St. Moritz über die Solarenergie viel und gern redet: Den größten Anteil an den erneuerbaren Energien hat im Ort noch immer die Wasserkraft: Eine Anlage aus dem Jahr 1932 erzeugt jährlich im Mittel 14 Millionen Kilowattstunden Strom und trägt damit zu 15 Prozent zum Strommix der Gemeinde bei, die in einem guten Jahr inzwischen 1,2 Millionen Übernachtungen zählt.
Die Wasserkraft hat in St. Moritz fast 130 Jahre Tradition. „Schon 1878 gab es eine kleines Kraftwerk im Dorf“, sagt Patrik Casagrande, Betriebsleiter des Elektrizitätswerks St. Moritz, „wir hatten hier das erste elektrische Licht in der Schweiz“. Und wenn man in St. Moritz heute über erneuerbare Energien redet, sieht man sich damit stets in dieser Tradition.
So findet man in dem Skiort auch heute immer wieder innovative Projekte, die noch längst nicht zum Standard gehören. Zum Beispiel werden die Bioabfälle der Gastronomie bereits energetisch verwertet. Zweimal in der Woche werden die Speisereste abgeholt und zu einer nahe gelegenen Biogasanlage gebracht, wo dann Strom draus wird.
Im Nachbardorf Bever gewinnt unterdessen Europas höchstgelegene Molkerei, die Lataria Engiadinaisa (Lesa), Energie aus ihrer Molke. „Früher haben wir die Molke per Lkw als Schweinefutter nach Appenzell gebracht“, sagt Hans Feller, Geschäftsführer der Lesa, „doch das war mit den gestiegenen Transpostkosten nicht mehr wirtschaftlich.“ Also legte die Molkerei eine 900 Meter lange Leitung zur örtlichen Kläranlage, wo die Molke seither mit dem Klärschlamm zu Methan vergoren und dann verstromt wird.
Das Kerngeschäft der Gemeinde St. Moritz bleibt freilich der Tourismus. Und Kurdirektor Danuser gesteht dann auch freimütig ein, dass der Tourismus immer vor allem anderen steht – Ökostrom hin oder her. Gleichwohl ist Tourismusmanager Danuser davon überzeugt, dass den erneuerbaren Energien die Zukunft gehört. Vor allem das Tourismusgewerbe sei gut beraten, die Nutzung der Ökoenergien auszubauen: „Ein Kurdirektor, der seinen Job ernst nimmt, ist immer ein Grüner“, sagt er. Denn das Kapital des Tourismus sei schließlich die Natur.
Viel zu tun gebe es also noch in St. Moritz. Denn abgesehen von der historischen Wasserkraft haben die erneuerbaren Energien im Ort noch keinen nennenswerten Anteil am Strommix. Danuser macht aus den Zahlen kein Hehl: „Der Beitrag der meisten Anlagen lässt sich in Prozenten nicht benennen.“ Und dennoch ist er davon überzeugt, inmitten des Edeltourismus einiges bewegen zu können.