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Archiv-Artikel

Das, was richtig war

AFROBEAT VON DOMINIC JOHNSON Afrikas „Terroristen“ wandeln sich, die Methoden ihrer Bekämpfung bleiben

Dominic Johnson

■ ist seit 1990 Afrikaredakteur der taz und leitet das taz-Auslandsressort. In der Kolumne „Afrobeat“ beleuchtet er in der Regel alle sechs Wochen montags politische und gesellschaftliche Phänomene Afrikas. Zuletzt erschien am 9. 2. „Das nigerianische Paradox“.

Am 20. November 1987 druckte die Zeitung The Namibian auf ihrer Titelseite das Schwarz-Weiß-Foto eines weißen Polizisten. Sergeant Leon Lotz von der Polizei im damaligen Südwestafrika, wie Namibia unter südafrikanischer Besatzung vor der Unabhängigkeit hieß, war gemeinsam mit einem Kollegen von einem Amtsrichter für schuldig befunden worden, im Juli 1985 den Tod zweier Zivilisten verursacht zu haben.

Die Geschichte war so bizarr wie banal: Zwei Schwarze, die sich nach der nächsten Polizeiwache erkundigt hatten, wurden als mutmaßliche „Terroristen“ festgenommen und mit verbundenen Augen und gefesselten Händen zur Polizeisondereinheit „Koevoet“ gebracht, die auf die Jagd nach Kämpfern der namibischen Befreiungsbewegung Swapo spezialisiert war. Nach kurzer Befragung, so gab der Zeitungsbericht die Aussage der Polizisten wieder, hätten die zwei Gefangenen „problemlos“ eingewilligt, die Koevoet-Beamten zu Waffenverstecken zu führen, wo einer von ihnen dann das Feuer eröffnet und der andere einen Fluchtversuch unternommen habe. Beide habe man sofort in Notwehr erschossen.

Dass ein unbewaffneter gefesselter Häftling auf Polizisten geschossen haben soll, war die absurdeste Ungereimtheit in der Schilderung des 30-jährigen Leon Lotz und seines Kollegen Daniel Bouwer gegenüber dem Amtsrichter. Deswegen machte die einzige damalige Oppositionszeitung Namibias daraus eine Titelgeschichte. Aber der Vorfall war für den Kampf des Apartheidregimes gegen „Terroristen“ eher typisch.

Kampf gegen Boko Haram

Am 9. März 2015 ist Leon Lotz gestorben. In Nigeria eröffnete ein Panzerfahrer der Armee auf ihn das Feuer an einer Straßensperre. Der mittlerweile 59-jährige Südafrikaner hatte im Auftrag der privaten Sicherheitsfirma „Pilgrim Africa“ nigerianische Soldaten an der Front gegen Boko Haram darin ausgebildet, neu aus Südafrika gelieferte Panzerfahrzeuge zu bedienen und zu warten. Wie genau es zu seinem Tod kam, bleibt unklar. Seine Nichte trauerte um ihn auf Facebook mit den Worten: „Du hast für das gekämpft, was richtig war.“

Südafrikas Apartheid ist Geschichte, die „Terroristen“ von damals wurden im gesamten südlichen Afrika die Befreiungsbewegungen von heute, wenngleich manche von ihnen mit Freiheit nicht mehr viel am Hut haben. Im Afrika des 21. Jahrhunderts sind „Terroristen“ andere: die bewaffneten Islamisten, die von Libyen bis Nigeria, von Mali bis Somalia den halben Kontinent unsicher machen. Seit dem Ende von Kolonialismus und Apartheid sind die afrikanischen Islamisten die erste Bewegung des Kontinents, die ähnlich panafrikanisch vernetzt auftritt und ähnlich fundamentale Veränderungen anstrebt. Aber sie kämpfen nicht für die Emanzipation der Afrikaner im Namen der Freiheit, sondern für ihre Versklavung im Namen Gottes. Die betroffenen Regierungen sehen sich demgegenüber in einem Abwehrkampf, der dem von früher stärker ähnelt, als es ihnen lieb sein dürfte. Das weiße Südafrika sah sich einst als Bollwerk gegen den Kommunismus; die von Terror gebeutelten Länder heute wie Nigeria oder Kenia sehen sich nicht viel anders. In Nigeria beginnt eine beispiellose konzertierte Offensive der Armeen Tschads, Nigerias, Kameruns und Nigers im Nordosten Nigerias und den angrenzenden Gebieten Kameruns allmählich, die Herrschaft Boko Harams zu brechen. Aber dieser Krieg geht einher mit unzähligen Verbrechen.

Da sterben in einem überfüllten Gefängnis in Kamerun 25 mutmaßliche „Terroristen“, nachdem bei Razzien 50 von ihnen über Nacht in ein Verlies gesperrt wurden und an nächsten Morgen die Hälfte erstickt war. Da finden Soldaten mehrere Tage nach ihrer Rückeroberung des Orts Damasak in Nigeria plötzlich rund 100 Leichen unter einer Brücke an einer Hauptstraße, die sie schon hundertmal entlanggefahren sind, und ob das wirklich Boko-Haram-Opfer sind, traut sich niemand zu hinterfragen. Nach mehreren Wochen Dauersieg gegen Boko Haram fragen sich Nigerias Medien immerhin allmählich, warum man ihnen nie Gefangene präsentiert. Vielleicht werden die Islamisten ja auch alle in „Notwehr“ erschossen?

Apartheidkrieger, unbesiegt

Südafrikas weiße Elitesoldaten, die in den 1980er Jahren an der Front in Namibia und Angola und zuweilen auch in Südafrikas Townships kämpften, haben sich nie als Besiegte empfunden. Dass in ihrem Rücken die Apartheid zusammenbrach, empfanden viele als Verrat. Militärisch, das betonten sie damals, haben sie nie einen Krieg verloren. Die Niederlage gab es nur in der Politik.

Nach den Dauersiegen gegen Boko Haram fragen sich Nigerias Medien , warum man ihnen nie Gefangene präsentiert

Die Veteranen gerade der schlimmsten Eliteeinheiten wurden zu privaten Kriegern. Aus ihren Reihen entstand die berüchtigte Söldnerfirma „Executive Outcomes“, die im Handumdrehen ihre Expertise dem ehemaligen Feind anbot. Executive Outcomes half Angola, die bis dahin vom weißen Südafrika unterstützte Unita-Rebellenbewegung von Angolas Ölfeldern fernzuhalten, und kämpfte danach in Sierra Leone erfolgreich gegen die terroristische Rebellenbewegung RUF (Revolutionary United Front).

Südafrikas neue ANC-Regierung erzwang schließlich das Ende der Executive-Outcomes-Aktivitäten. Für die weißen Kriegsprofis machte dies keinen Sinn: Nelson Mandelas ANC-Regierung hatte der weißen Unternehmerelite den Fortbestand garantiert, um Südafrikas Wirtschaft zu stützen – warum also nicht auch die der weißen Militärelite, um in ganz Afrika für Ordnung zu sorgen? Dass der ANC ihr Wirken anders in Erinnerung hatte und ihnen nicht traute, verstanden und verstehen sie nicht.

Es bedurfte wohl dem Machtantritt einer unbekümmerteren Generation unter dem ehemaligen ANC-Geheimdienstchef Jacob Zuma, um solche Skrupel zu überwinden: Südafrika exportiert heute Kriegsmaterial nach ganz Afrika und liefert die Experten und Berater gleich mit – Leute wie Leon Lutz, die dann an der Front gegen Boko Haram landen. Man darf davon ausgehen, dass sie ihre Methoden von früher nicht verlernt haben.