: „Ärzte ohne Grenzen“ stoßen an Grenzen
EBOLA Kritische Rückschau des größten in Westafrikas Seuchengebiet aktiven Hilfswerks macht deutlich, dass letztes Jahr viel zu spät auf das Virus reagiert wurde. „Niemand kennt die wahre Zahl der Toten“
VON DOMINIC JOHNSON
BERLIN taz | Die Ebola-Epidemie in Westafrika gilt als nahezu überwunden. Nur wenige Neuinfektionen werden noch aus Liberia, Sierra Leone und Guinea gemeldet; Liberia sah sich sogar bereits als fast ebolafrei, bis am Wochenende der erste neue Fall seit einem Monat die Hoffnungen zerstörte. Aber gemessen an den Zeiten vor einem halben Jahr, als täglich Hunderte neue Kranke entdeckt wurden und Experten den Seuchentod von Hunderttausenden prognostizierten, ist die Lage viel entspannter. Bis Ende vergangener Woche hatten sich in den drei Ländern nach Angaben der UN-Ebola-Mission 24.742 Menschen an Ebola angesteckt, von denen 10.216 gestorben waren.
Jetzt hat die aktivste Hilfsorganisation an der Ebola-Front, „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF), eine schonungslose Bilanz der Epidemie gezogen. Noch nie seit den frühen Tagen von Aids seien Mediziner einer Seuche so hilflos gegenübergestanden, und anders als bei Aids trete der Tod nicht nach zehn Jahren, sondern nach zehn Tagen ein, so das Hilfswerk in seinem neuen Papier „Bis an die Grenze und darüber hinaus“ (Pushed To The Limit and Beyond). „Mediziner sind nicht dafür ausgebildet, dass mindestens 50 Prozent ihrer Patienten an einer Krankheit sterben, für die es keine Heilung gibt“, so der Bericht. „Trotzdem ignorierte die Welt erst die Hilferufe und handelte dann verspätet. Dazwischen wurden Monate vergeudet und Leben verloren. Niemand kennt die wahre Zahl der Toten, die die Epidemie am Ende verursacht haben wird.“
MSF erinnert daran, dass sie bereits am 31. März 2014 von einem „beispiellosen“ Ebola-Ausbruch sprach – und die Weltgesundheitsorganisation WHO dem am nächsten Tag widersprach, ohne etwas zu unternehmen. Im Mai hätten sich die Ansteckungsraten in Guinea und Liberia verlangsamt, und die Seuche hätte unter Kontrolle gebracht werden können, wenn rechtzeitig auch in Sierra Leone gehandelt worden wäre. Aber MSF „fühlte sich alleingelassen“, so die Helfer. Das Virus war stärker. Am 21. Juni erklärte MSF, die Ebola-Epidemie in Westafrika sei nunmehr „außer Kontrolle“. Es dauerte aber bis zum 8. August, bis die WHO einen „internationalen Gesundheitsnotstand“ ausrief, was es Geberländern ermöglichte, mehr Finanzmittel und Personal bereitzustellen. Da waren schon über 1.000 Menschen gestorben. September war der Monat der Mobilisierung auf globaler Ebene, aber erst im Dezember waren die nötigen Hilfsoperationen vor Ort, mit Fachkräften und militärischer Logistik tatsächlich am Laufen.
Immerhin: Über 2.300 Ebola-Patienten sind aus den Ebola-Behandlungszentren von MSF geheilt entlassen worden. Man werde sich jetzt darauf konzentrieren, herauszufinden, welche Faktoren eine Genesung begünstigen, und die Ergebnisse der Forschung zur Verfügung stellen, schreiben die Ärzte. Man hoffe, dass auch die Pharmakonzerne, die nun an Ebola-Impfstoffen und -Medikamenten forschen, ihre Erkenntnisse teilen würden.