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Archiv-Artikel

Nichts rollt mehr

S-BAHN Kein Schnee, kein Eis, nirgends. Trotzdem ist am Donnerstagmittag das komplette S-Bahn-Netz lahmgelegt. Eine Stunde lang ruht der Verkehr, Tausende sind betroffen

„Das wird ein Nachspiel haben“

STAATSSEKRETÄR CHRISTIAN GAEBLER (SPD)

VON KRISTINA PEZZEI, UWE RADA UND KAREN GRASS

Die S-Bahn schafft es auch ohne Wintereinbruch: Nichts geht mehr, hieß es am Donnerstagmittag. Auf einmal standen alle S-Bahnen und Züge des Regional- und Fernverkehrs still. Auch im Umland brach der Verkehr zusammen. Tausende Fahrgäste mussten auf die U-Bahn oder Busse umsteigen – wenn sie denn in einen Bahnhof kamen: Zahlreiche Berliner und Besucher saßen bis zu einer Stunde in Bahnen fest, die mitten auf der Strecke liegen geblieben waren. Ursache für das Chaos war ein Stromausfall im Stellwerk Halensee. Der Senat kritisierte die mangelnde Systemstabilität sowie das Informationsmanagement. „Das wird ein Nachspiel haben“, drohte Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD).

Das Stellwerk ist die zentrale Schaltstelle für den S-Bahn-Betrieb, von dort wird ein Großteil der Signalanlagen und der Weichen gesteuert. Die Bahn sprach am späten Nachmittag von einem Kurzschluss als Ursache. Spekulationen, wonach Bauarbeiter in Stellwerknähe den Stromausfall verursacht haben könnten, wies sie zurück. Unklar blieb auch, warum Notstromaggregate oder andere Sicherungssysteme nicht bereitstanden. „Wir schließen einen Anschlag aus“, sagte der Sprecher der S-Bahn-Mutter Deutsche Bahn AG, Burkhard Ahlert, lediglich. Er spielte damit auf das Zug- und Schienenchaos vor einem halben Jahr an, als Linksautonome den S-Bahn-Verkehr mit einem Brandanschlag lahmlegten. Im Osten Berlins brach die Stromversorgung zusammen, die Folgen waren tagelang zu spüren.

„Das ganze System an ein Stellwerk zu koppeln, ist ja nahezu eine Einladung an Anschlagswillige“, kritisierte Gaebler. Er war im Auftrag von Senator Michael Müller (SPD) am Banhhof Zoo und an Ringbahnhöfen unterwegs, um sich ein Bild der Lage zu machen.

Erbost zeigte sich der Verkehrspolitiker auch über die mangelnden Informationen für Reisende und Wartende. Am Bundesplatz etwa waren Anzeigetafeln und Durchsage offenbar an das zentrale Stromsystem gekoppelt – sie fielen folglich aus. Ähnliche Szenen wurden von weiteren Bahnhöfen gemeldet.

Die Betroffenen selbst nahmen Chaos und Krisenmanagement verhältnismäßig gelassen: Man kenne es ja nicht anders, so der Tenor in Blogs und bei Radiohörern. „Die Leute sind recht entspannt“, bestätigt ein Servicemitarbeiter am Hauptbahnhof. Obwohl er selbst nur unzureichend Informationen erhielt und vielen Fragenden kaum weiterhelfen konnte, sei niemand ausfällig geworden. Ein Tourist aus Russland, der zwischen den Ersatzbussen vergeblich die Linie in Richtung Warschauer Straße suchte, nahm die Situation mit Humor. „Wir haben Zeit“, sagt er. „Besser als bei uns in Russland, da fahren die Züge im Winter fast nie normal.“ Im Bahnhof Friedrichstraße verstopften Reisende, Pendler und Adventseinkäufer Rolltreppen und Flure – ein Bild, das sich an anderen Knotenpunkten wiederholte. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zählten 100.000 Fahrgäste mehr als an anderen Donnerstagen.

Im Laufe des Nachmittags rollte der Verkehr zögerlich wieder an. Allerdings mussten Bahnen anfangs immer wieder anhalten, weil Fahrgäste auf den Gleisen unterwegs waren. Sie hatten die Notverriegelung in den Zügen geöffnet. Bahn und BVG rechneten damit, dass sich der Verkehr am Abend normalisiert. Die Folgen könnten aber vor allem die verantwortlichen Manager bei S-Bahn und Deutscher Bahn noch empfindlich spüren: Der Senat diskutiert derzeit darüber, wer nach dem Auslaufen des Verkehrsvertrags 2017 die S-Bahn und das Schienennetz betreiben soll. Die Landesregierung könnte nun Tatsachen schaffen, anstatt es wie bisher bei Drohungen zu belassen. Die Chancen dafür, dass der Bahn ein Teil des Betriebs weggenommen wird, sind am Donnerstag jedenfalls deutlich gestiegen.