: Eine Frage der Reife
NACHWUCHS Die Geschwindigkeit, mit der Talente von der U21 in die A-Nationalmannschaft des DFB aufrücken, hat sich verlangsamt. Spieler wie Max Meyer, Johannes Geis oder Robin Knoche sollen sich erst mal bei der Europameisterschaft der Kleinen beweisen
VON DANIEL THEWELEIT
Die Rolle von Matthias Sammer als Funktionär beim Deutschen Fußball-Bund ist etwas in Vergessenheit geraten, seit Joachim Löw im vorigen Sommer mit seiner Mannschaft in Rio Weltmeister wurde. Der Bundestrainer und seine engsten Vertrauten, Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff und der heutige DFB-Sportdirektor Hansi Flick, gelten als Strategen hinter dem WM-Titel, die sich schätzen und vertrauen. Löw und Sammer, der bis 2012 als Sportdirektor beim Verband arbeitete, mochten sich hingegen nie besonders. Sie führten zuweilen störrische Kontroversen, bis Sammer schließlich entnervt zum FC Bayern wechselte. Wer in dieser Woche genau zuhörte, als Löw seine Personalstrategie für die kommenden Monate erläuterte, der konnte nun überrascht feststellen: Neuerdings propagiert der Bundestrainer grundlegende Ideen des Querdenkers Sammer.
Viele Spieler, die der Bundestrainer schon jetzt für den Neuaufbau seiner A-Nationalmannschaft gebrauchen könnte, sollen vorerst für die U21 spielen, die am heutigen Freitagabend in Paderborn mit einem Test gegen Italien ins EM-Jahr einsteigt. „Bevor einer bei uns auf der Bank sitzt und zwei, drei Trainingseinheiten mitmacht“, sagte Löw, sei es ihm lieber, die Talente „bleiben bei der U21“, um im Sommer bei der EM in Tschechien Erfahrungen zu sammeln. Genau diese Haltung hat Sammer schon immer vertreten, während Löw interessante Spieler gerne so früh wie möglich bei sich haben wollte.
Jetzt verzichtet Löw ganz bewusst auf Fußballer wie Max Meyer (FC Schalke), Emre Can (FC Liverpool), Bernd Leno (Bayer Leverkusen), Robin Knoche (VfL Wolfsburg), Kevin Volland (1899 Hoffenheim), Marc-André ter Stegen (FC Barcelona) oder Johannes Geis (Mainz 05), die im Sommer lernen sollen, wie große internationale Turniere funktionieren. Vorbild ist die Generation um Mats Hummels, Manuel Neuer, Sami Khedria, Mesut Özil, Benedikt Höwedes und Jérôme Boateng, die 2009 den Titel beim wichtigsten europäischen Nachwuchswettbewerb gewann.
Diese Spieler waren in Brasilien 2014 tragende Pfeiler der Weltmeistermannschaft, Sammer hat es schon immer gesagt. Neben technisch-taktischen Fähigkeiten sei es wichtig, schon in der Jugend eine „Siegermentalität“ entwickeln, und dazu müssen die besten Spieler in den U-Mannschaften spielen. Löw hat dem nie widersprochen, aber gefolgt ist er diesem Ansatz nie wirklich konsequent. In dieser Woche erklärte der Bundestrainer nun: „Ich glaube, dass ein Turnier auf hohem Niveau diese Spieler weiterbringt. In der neuen Saison werden die Karten dann für alle neu gemischt, und dann ist es schon das Ziel, Spieler, die dann bei der EM gute Leitungen gezeigt haben, in die A-Nationalmannschaft einzubauen.“
Für die Talente ergeben sich daraus verlockende Perspektiven. Ihnen wird konkret in Aussicht gestellt, noch vor der EM 2016 in den Kader für Frankreich aufzurücken. Und wer diesen Schritt nicht schafft, hat die ebenfalls interessante Option, 2016 mit der U21 nach Brasilien zu reisen, um dort um den Olympiasieg von Rio zu spielen. Aber nur, wenn das Team im Juni in Tschechien unter die ersten drei kommt.
Das findet auch Trainer Horst Hrubesch äußerst reizvoll, die Aussicht auf eine Olympiateilnahme sei für ihn 2013 „ein maßgeblicher Grund gewesen“, die U21 zum zweiten Mal nach 2009 zu übernehmen. Der mittlerweile 63-Jährige lebt die ehrgeizige Haltung beim DFB, die Sammer einst propagierte, schon immer recht leidenschaftlich vor. „Bei der Auslosung waren alle sehr eifrig darin, uns die Favoritenrolle zu geben, und ich habe sie gerne genommen“, hat Hrubesch vor einigen Wochen gesagt und ergänzt: „Wir werden kein anderes Ziel ausgeben als den Titel bei der Europameisterschaft. Dann wären wir auch qualifiziert für Rio. Und dann werden wir auch nicht zu den Olympischen Spielen fahren, um nur teilzunehmen.“