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Archiv-Artikel

Subversive Kindermusik

PERFORMANCE Felix Kubin erzählt von damals. Das machen viele andere auch. Aber die haben nicht mit 13 Jahren vor grölenden Punks destruktiv verspielte Musik gespielt

„Mit aufgerichteten blondierten Haaren und Lederjacke betritt er die Bühne und trägt seine geschraubten Gedichte vor. Den Punks ist das eine Nummer zu lyrisch, und sie beschütten ihn mit großen Mengen Bier“

Felix Kubin

von Radek Krolczyk

Mit dem Erscheinen von Jürgen Teipels Buch „Verschwende deine Jugend“ 2001 begann die Historisierung von Punk und Neuer Deutscher Welle in großem Stil. Teipels viel beachteter Bericht aus der Düsseldorfer Szene der frühen 80er-Jahre zog einen ganzen Haufen an Publikationen, Filmen und Ausstellungen, in denen alle nur erdenklichen Spielarten und regionalen Eigenheiten von Punk und NDW thematisiert wurden, nach sich.

Es folgte ein gigantischer Schwall an autobiografischer Selbstfindungsliteratur mit der dazugehörenden Legendenbildung und edlen Neueditionen längst vergriffener Schriften und Platten, Bildbänden in Metallcases und 180-Gramm-Pressungen in handsiebbedruckten Hüllen. Historisierung bedeutet Banalisierung, historisiert zu werden, heißt sterben. Mehr noch als die bei „C & A“ erhältlichen Nietengürtel bezeugen diese Publikationen den Abschluss einer Entwicklung, das Ende von Punk. Wer zu Beginn der 80er-Jahre in einer Punk- oder NDW-Band, die Übergänge waren zunächst fließend, gespielt hatte, ist heute bereits sehr alt. Auf Felix Kubin trifft dies nicht zu. Denn als Felix Kubin zusammen mit seinem Freund Stephan Mohr unter dem Namen „Die Egozentrischen 2“ auf kleinen Festivals vor grölendem Punkerpublikum auftrat, war er gerade einmal dreizehn Jahre alt. Der Bandname ist seiner eigenen Aussage nach eher zufällig entstanden: „Wir wollten uns ursprünglich ,Die Exzentrischen 2‘ nennen, haben uns dann aber nach Konsultation des Lexikons für Egozentrik entschieden.“

Die Familien von Felix Kubin und Stephan Mohr wohnten zu dieser Zeit im Hamburger Stadtteil Bergedorf. Im dortigen Jugendzentrum war eine große Szene an Kinderbands entstanden. „Die Egozentrischen 2“ begreift Kubin als „Anführer von Bergedorfs subversiver Kinderbandszene“. Ihre Instrumentierung bestand zunächst aus selbst gebastelten Schlagwerkzeugen aus allerlei Plastikabfällen und einem Casio-Keyboard, später aus Synthesizern, Drumcomputern und Bandaufnahmegeräten. Einer ihrer Songs trägt den Titel „Der Aufstand der Chemiker“. Und so heißt auch das Programm, mit dem Felix Kubin am Sonntag in Bremen gastiert. Kubin, der heute für experimentelle elektronische Musik bekannt ist und das Label „Gagarin Records“ betreibt, widmet sich hierin in Form eines Sound- und Bild-Vortrags seinen musikalischen Anfängen in Bergedorf.

Obwohl auch er dabei munter von früher erzählt und nicht ohne Legendenbildung auskommt, ist es nicht banal, nicht tot. Das mag daran liegen, dass Felix Kubin seine Geschichte auf eine fast wissenschaftlich-distanzierte Weise erzählt.

Darüber hinaus erscheint seine Entwicklung keineswegs abgeschlossen: Die destruktive Verspieltheit der „Egozentrischen 2“, deren Aufnahmen vor einigen Jahren zu der Kompilation „The Tetchy Teenage Tapes of Felix Kubin“ zusammengestellt wurden, findet sich auch in seinem aktuellen Werk, etwa den diskoiden Platten, die er mit Pia Burnette eingespielt hat.

Aus dem Jugendzentrum in die Clubs hatte die „Egozentrischen 2“ damals Alfred Hilsberg geholt, der Betreiber des Labels „ZickZack Records“. Hilsberg brachte viele der interessantesten Bands dieser Periode heraus, darunter die Einstürzenden Neubauten, Abwärts und „Die tödliche Doris“. In seinem Vortrag berichtet Felix Kubin von einem 1985 von Hilsberg initiierten Konzert in der Hamburger Markthalle, die er als „muffigen, schwarz gestrichenen Indierockladen, der immer nach abgestandenem Bier und Tontechnikersalbe riecht“, erinnert.

Seine Beobachtungen heutiger Größen der etablierten Kulturszene, die er dort zum ersten Mal traf, sind respektlos und amüsant. So begegnete er etwa der Künstlerin Michaela Meliàn, die in den letzten Jahren wiederholt für ihre Soundcollagen ausgezeichnet wurde und die Kubin furchtbar arrogant fand: „Den ganzen Abend habe ich sie immer nur von hinten gesehen. Hager, zickig und hakennasig kam sie mir vor, wobei das mit der Nase nur Vermutung sein kann, da ich sie ja nie von vorne zu sehen bekam.“ Über Rainald Goetz heißt es: „Mit aufgerichteten blondierten Haaren und Lederjacke betritt er die Bühne und trägt seine geschraubten Gedichte vor. Den Punks ist das eine Nummer zu lyrisch, und sie beschütten ihn mit großen Mengen Bier.“ So machen alle weiter wie bisher.

■ Sonntag, 21 Uhr, Friese