: Hermann Hesse und der steppende Wolf
STEGREIFPOESIE Vor dem Stimmenimitator Peter Wawerzinek ist kein Gegenwartsautor sicher. Nun sind seine gesammelten Parodien erschienen
Wer Autoren nachmacht oder mit falscher Zunge wie jene spricht, wird nicht mit Zuchthaus bestraft. Der Aufenthalt hinter Gittern bleibt ertappten Geldfälschern vorbehalten. In der Literatur bekommt ein Nachahmer die ehrenvolle Bezeichnung Parodist. Peter Runkel ist so einer.
Unter dem Pseudonym Peter Wawerzinek ist er spätestens seit vergangenem Jahr bekannt; er gewann in Klagenfurt den Bachmannpreis. Dabei unternimmt Wawerzinek seine literarischen Raubzüge bereits seit drei Jahrzehnten. In den 90er Jahren avancierten seine Lesungen zu wahren Happenings. ScHappy – so wurde er damals genannt – war geschätzt als Stegreifpoet und Stimmenimitator. Von Dada über die Klassiker aus Ost und West bis hin zu Gegenwartsautoren – niemand ist vor ihm sicher. Jetzt hat der Galiani Verlag Wawerzineks gesammelte Parodien herausgebracht.
Oft kracht es gewaltig. Ernst Jandl beispielsweise widmet Wawerzinek das Gedicht „Letzter Gang“, das mit folgenden Zeilen beginnt: „Mein Maul ist faul / brech saure Happen / die Zunge / ein Abwaschlappen“. Mitunter herrscht reine Lakonie. Unter dem Namen Stefan Zweig stehen gerade mal zwei Worte „Das Ende“. Die zarten Töne, die Wawerzinek so schön kann, sucht man hier vergeblich.
Die Grundidee der Parodien ist bestechend einfach. Von A wie Achternbusch bis Z wie Zweig imitiert Wawerzinek im Stil des jeweiligen Autors eine Szene aus dem Märchen vom Rotkäppchen. Mitunter ist der Zusammenhang recht lose. Zu Hermann Hesse fällt ihm das Gedicht vom steppenden Wolf ein. Der kurze Text, den er Arthur Schnitzler widmet, trägt die Überschrift „Traumdelle“. Und Sigmund Freud findet mit einem Zweizeiler Eingang in die Sammlung: „Der Wolf hat nur zwei Feinde: / Den Heißhunger und den Jäger“.
Bis zur Entstehung dieses Buches beschritt Wawerzinek einen langen Weg. Bereits in der Schule machte er einen Lehrer nach, den alle doof fanden. „Im Tonfall, aber auch im Dialekt. Da habe ich das erste Mal Aufmerksamkeit erregen können, und darüber war ich so erfreut, dass ich über die Jahre durchweg Klassenclown und Lehrerparodist geblieben bin“, erzählt Wawerzinek auf dem beiliegenden Hörbuch.
Dieses sprach er selbst ein. Von schräg-disharmonisch bis nachdenklich-zart reicht sein stimmliches Repertoire. Und wie bei seinen besten Lesungen ist sich Wawerzinek nicht zu schade, manche Texte zu singen, obwohl die Töne oft nicht zueinander passen. Der Hörer erfährt auch, welche Schwierigkeiten der junge Wawerzinek in der sozialistischen DDR mit Bertolt Brechts Lehrgedichten hatte und wie ihm „Sascha Anderson Arschloch“ dazu verhalf, dass H. C. Artmann nach Angela Davis und Mikis Theodorakis der drittwichtigste Mensch wurde, dem er bei einer offiziellen Begrüßung die Hand reichte.
Aber warum immer wieder Rotkäppchen? „Es bietet alles, was ein Parodist braucht, um Parodien zu machen und keine Sonette“, sagt Wawerzinek. Rotwein und Sandkuchen, einen Wald samt Bäumen, eine einsame Großmutter in einer Waldhütte, einen lüsternen Wolf, ein tapsendes kleines Kind, das nichts durchschaut. Und dann kommt ein Jäger statt mit dem Schießgewehr mit einer Schere. Ein Aufschneider sozusagen.
In diesem Arrangement versucht Wawerzinek die Parodierten zu positionieren. Er will sie in Situationen treiben, die sie selbst niemals vorfinden würden. Oft ist ihm das gelungen. Ziemlich perfekt traf er den Tonfall von Wolfgang Hilbig in dem ebenso absurden wie lüsternen Text „Die real-existierende Muschi“.
Möge dem Wortfälscher Wawerzinek so schnell niemand ins Handwerk pfuschen. ULI MÜLLER
■ Peter Wawerzinek: „Parodien. Wawerzineks Raubzüge durch die deutsche Literatur“. Mit Hörbuch. Galiani, Berlin 2011, 240 Seiten, 24,99 Euro