Kerzen, Kunsthandwerker und Chaoten

Zehn der größten, interessantesten und schönsten Weihnachtsmärkte:

Historischer Weihnachtsmarkt auf dem Hamburger Rathausmarkt

Von Roncalli-Direktor Bernhard Paul konzipierter Markt vor dem Hamburger Rathaus mit Kunsthandwerkern, Spielzeuggasse und historischen Raritäten aus Bernhard Pauls privater Sammlung. 26. 11.–23. 12., täglich 11–21 Uhr, Fr. + Sa. 11–22 Uhr www.hamburg-tourism.de

Weihnachtsmarkt am Kölner Dom

Laut Umfrage der schönste Weihnachtsmarkt Deutschlands mit täglichem Musik- und Bühnenprogramm auf der Domplatte. 26. 11.–23. 12., täglich 11–21 Uhrwww.koelnerweihnachtsmarkt.de

Dresdner Striezelmarkt

Der älteste deutsche Weihnachtsmarkt (seit 1434), benannt nach dem Vorläufer des Dresdner Stollens. 28. 11.–24. 12., So.–Do. 10–20, Fr. + Sa. 10–21 Uhr, www.dresden.de

Nürnberger Christkindlesmarkt

Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt, ein „Städtlein aus Holz und Tuch“ mit rotweißen Stoffdächern auf dem Nürnberger Hauptmarkt, zu Füßen der Frauenkirche. 30. 11.–24. 12., Mo.–Do. 9.30–20 Uhr, Fr. + Sa. 9.30–23 Uhr, So. 10.30–20 Uhr www.christkindlesmarkt.de

Reiterlesmarkt in Rothenburg

Seit 500 Jahren im mittelalterlichen Rothenburg ob der Tauber. Das „Reiterle“ geht auf den Gott Wotan zurück, der laut Sage im Winter als Reiter Gaben an die Armen verteilte. 30. 11.–23. 12., Mo.–Do. 11–19, Fr. + Sa. 10.30–20, So. 10.30–19 Uhrwww.rothenburg.de

Markt der Ideen in München

Alternativer Weihnachtsmarkt von den Machern des Tollwoodfestivals auf der Münchner Theresienwiese, mit Bio- und Fairtrade-Produkten, Kunsthandwerk und Infoständen. 28. 11.–23. 12., Mo.–Fr. 14–24 Uhr, Sa. + So. 11–24 Uhrwww.tollwood.de

Stuttgarter Weihnachtsmarkt

Einer der größten Weihnachtsmärkte Europas zwischen Schiller- und Schlossplatz. Nichts für Klaustrophobiker, aber Millionen von Besuchern können wohl nicht irren. 28. 11.–23. 12., Mo.–Sa. 10–21 Uhr, So. 11–21 Uhr, www.stuttgarter-weihnachtsmarkt.de

Christkindelsmärik in Straßburg (Frankreich/Elsass)

Ebenfalls riesiger Weihnachtsmarkt vor dem Straßburger Münster und in den Gassen der Altstadt. 24. 11.–31. 12, täglich 10–20 Uhrwww.ot-strasbourg.fr

Ludwigsburger Barock-Weihnachtsmarkt

Die Symmetrie der Barockstadt Ludwigsburg erlaubt ein entspanntes Bummeln durch die großzügigen Gassen Ludwigsburg. Mekka schwäbischer Spezialitäten. 27. 11.–23. 12., täglich 11–21 Uhr www.ludwigsburg.de

Der Leipziger Weihnachtsmarkt

lockt seine Besucher mit dem weltgrößten, freistehenden Adventskalender. 26. 11.–23. 12., Mo.–Do. + So. 10–20 Uhr, Fr. + Sa. 10–21 Uhr www.leipzig.de

Das anonyme Bekenntnis eines Standbesitzers. Die Weihnachtsmarktpolemik

PROTOKOLL BERND HETTLAGE

Unsere besonderen Freunde auf dem Weihnachtsmarkt sind die Glühweintrinker. Seit Jahren stehen wir schräg gegenüber dieses großen Glühweinstands. Wenn es dort abends voll wird, stellen sich die Leute nicht etwa einen Meter weiter ins Dunkle. Nein, sie kommen in Gruppen zu uns herüber, anscheinend magisch angezogen vom heimeligen Schein unserer Hütte. Unsere Ware interessiert sie allerdings überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie drehen uns den Rücken zu, sodass wir auf einmal auf eine Phalanx bunter Outdoorjacken schauen. Offensichtlich zog sie nur das Licht an. Archaische, unterbewusste Reize?

Dass wir hier zum Verkaufen stehen und die Kunden jetzt nicht mehr an den Stand können, weil sie selbst ihn komplett versperren, bemerken die Glühweintrinker nicht. Stattdessen werden sie, je nach Alkoholspiegel, sogar richtig aggressiv, wenn man sie darauf anspricht und freundlich zum Weiterziehen auffordert. Ganz beliebt ist es auch, mit vollem Becher in der ausgestreckten Hand in die Auslagen zu deuten: „Guck mal, hier!“ Ein Schubs von hinten im Gedränge, und die ganze Sauerei spritzt über die Ware. Das Zeug kann man dann wegschmeißen, den klebrigen Saft mit unbestimmten Inhaltsstoffen bekommt man nie wieder weg.

Früher, als der Weihnachtsmarkt seinen Zauber noch nicht verloren hatte, war es natürlich viel schöner. Bevor der Kommerz mit Billigschrott aus China anrückte. Warum sollte auch ausgerechnet der Weihnachtsmarkt von gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Entwicklungen verschont bleiben? Eine heile Oase inmitten der hektischen Vorweihnachtszeit bleiben? In den Buden preiswertes Kunsthandwerk aus aller Welt. Oder naturbelassenes Holzspielzeug, vom freundlichen Bartträger hinter dem Tresen in seiner kleinen, idyllisch auf dem Land gelegenen Werkstatt während der langen Sommermonate liebevoll handgedrechselt.

Selbst wenn es mal so gewesen sein sollte – und viele der Händler haben tatsächlich so ähnlich angefangen –, es ist längst vorbei. Ich kenne die Entwicklung. Seit 1989 stehe ich hier. Wir haben einen guten Platz mitten auf einem traditionellen, gut besuchten Markt in einer Stadt im reichen Südwesten Deutschlands. An unserem Stand gibt es Kerzen, Duftöle, Keramikhäuschen und Räucherstäbchen. Zu Fünfundneunzig Prozent überflüssiges Zeug. Pure Luxusartikel, nur verkäuflich, weil vor Weihnachten Menschen Listen aufstellen mit den Namen von Verwandten, Freunden oder Kollegen, die Geschenke bekommen sollen – und deshalb irgendetwas kaufen müssen, völlig egal, was. Eine Kerze geht da immer. Kerzen sind neben Schmuck der lukrativste Artikel auf dem Weihnachtsmarkt.

Bis vor zwölf Jahren haben wir unsere Kerzen noch selbst am Stand gezogen. Deswegen haben wir den Platz auf diesem begehrten Markt ja auch mal bekommen. Als Kunsthandwerker, denen die Leute bei der Herstellung ihrer Waren zuschauen können. Wie gesagt, längst vorbei. Es lohnt sich nicht. Bevor die Leute eine selbst hergestellte Kerze für zehn Euro kaufen, stecken sie lieber zehn aus Taiwan für zwei Euro das Stück ein. An diese Entwicklung haben wir alle unser Sortiment angepasst. Der Anteil der China-, Taiwan- und Indienartikel steigt unablässig. Das meiste ist billige Massenware von zweifelhafter Qualität, die nur so tut, als sei sie deutsches Kunsthandwerk. Auch der Goldschmied kauft längst Fertigprodukte in Bangkok oder Delhi, und die Töpfer geben ihre Stände gleich ganz auf.

Wirkliche Kunsthandwerker wollen die Leute nur noch als heimeliges Ambiente für den Glühwein- und Bratwurstgenuss. Als kostenlose Kulisse. Zum Kaufen ist ihnen das viel zu teuer. Deshalb sind nicht einmal auf Edelmärkten wie dem von Roncalli in Hamburg alle Räuchermännchen aus dem Erzgebirge. Die aus Taiwan sind zwar eigentlich Schrott und gehen mir gegen die Händlerehre, aber bevor ich mich wegen hoher Preise beschimpfen lasse, gebe ich den Kunden, was sie wollen. Das ist beim Glühwein doch genauso: Die Leute wollen nicht Qualität in kleinen Schlückchen, die wollen billiges Zeug in Massen saufen. Und da sollen wir ausgerechnet auf dem Weihnachtsmarkt heile Welt spielen? Wer echte Kunsthandwerker als Statisten auf seinen Märkten will, muss sie künftig eben bezahlen, statt Standgebühr von ihnen zu verlangen. Doch so weit sind die Städte noch nicht. Für die Töpfer, Seidenmaler und Glasbläser rücken Schausteller mit Socken, Tischdecken und Süßwaren nach.

Schausteller und Kunsthandwerker pflegen von jeher ein schwieriges Verhältnis zueinander. Sie sind sich gegenseitig suspekt. Die Kunsthandwerker sind oft ehemalige Hippies, die zum Teil immer noch lange Haare und selbst gestrickte oder zumindest selbst gestrickt aussehende Wollpullover tragen und den Winterurlaub gerne in Asien oder Südamerika verbringen. Manche haben sich über die Jahrzehnte einen gewissen Wohlstand erworben, mit Eigenheim und schwerem Allradjeep, vor allem wenn sie mehrere Stände in verschiedenen Städten unterhalten. Viele haben mal Abitur gemacht oder sogar studiert, wie ich übrigens auch. Sie kommen aus der Mittelschicht und zählen sich zur Alternativszene. Sie gucken im Grunde, auch wenn sie es nie zugeben würden, auf die in ihren Augen ungebildeten, etwas derben Schausteller mit ihren lauten Stimmen und oft rüden Umgangsformen herab.

Die Schausteller jedenfalls glauben das, und so ganz falsch liegen sie damit nicht. Obwohl sie oft selbst einen neuen Daimler und einen hunderttausend Euro schweren Wohnwagen ihr Eigen nennen, fühlen sie sich von den „Freaks“ missachtet, auf die sie ihrerseits genauso herabschauen. In den letzten Jahren ist das Verhältnis zwischen beiden Gruppen allerdings besser geworden, weil die Zeiten eben härter und die Umsätze kleiner geworden sind. Das stärkt das Gefühl, im selben Boot zu sitzen.

Für uns Verkäufer und Verkäuferinnen an den Ständen der Kunsthandwerker haben die meisten Kunden keine Augen. Wir sind praktisch nicht vorhanden, sitzen, eingerahmt von Kitsch, in unseren Holzhütten, als wären wir selbst Dekoration. Da werden Ehestreite vor dem Tresen ausgetragen, Kinder rüde zurechtgewiesen, Beziehungsgespräche lautstark per Handy geführt, alles mit uns als Ohren- und Augenzeugen. Manchmal schrecken die Leute dann doch hoch, wenn sie in solch einer Situation zufällig mal den Blick heben und mit Erstaunen wahrnehmen, dass dort, nur einen Meter entfernt, ein Mensch steht. Ansonsten gilt der Satz eines Vaters zu seinem Sohn, mit Blick auf den Verkäufer, in diesem Fall mich: „Siehst du, du musst immer schön lernen, sonst endest du mal wie der.“

Dabei ist, Entschuldigung, das Niveau der Verkäufer und Verkäuferinnen im Schnitt weitaus höher als das der Kundschaft, und zwar in jeder Beziehung. Was die Kundschaft betrifft, sieht man alle Arten von Leuten auf dem Weihnachtsmarkt. Man vergisst ja sonst leicht, was für Menschen es noch alles gibt, man denkt, die meisten sind mehr oder weniger so wie das eigene Umfeld. Viele männliche Jugendliche oder junge Männer sind sehr aggressiv unterwegs.

Auch ihr sprachliches Niveau sinkt von Jahr zu Jahr. „Guck mal, das Dingsda …“ Immer mehr wissen einfachste Gegenstände nicht zu benennen. Wachs, Glas, Ton, Metall scheinen ihnen fremde Elemente zu sein. Ein Kerzenständer wird da schon mal wahlweise als „Kamin“ oder „Pyramide“ bezeichnet – ungelogen! Eine Duftlampe wird zum „Teelicht“ oder zur „Duftkerze“. Auch Geschmacks- und Geruchsempfinden scheinen verwirrt zu sein, beziehungsweise Geschmäcke und Gerüche werden schlicht nicht mehr erkannt. Da wird Zimt für Vanille gehalten oder behauptet, dass die echte – und teure – Vanille, die wir als reines ätherisches Öl verkaufen, ja gar nicht nach Vanille rieche. Die künstliche, die wir auch im Angebot haben, rieche dagegen viel besser. Die Leute wissen bei all den designten Industrie-„Lebensmitteln“ einfach gar nicht mehr, wie die Sachen in natura schmecken, riechen und aussehen. Harmlos noch die Frau, die an den Stand kommt, am echten Lavendelöl riecht und ruft: „Pfui, das riecht ja nach Klo!“

Dann gibt es noch das bestgehütete Geheimnis der Branche: Umsätze und Verdienstmöglichkeiten. In der Regel stehen Studenten, brotlose Künstler, Kunsthandwerker und alle möglichen sonstigen Menschen in prekären Lebensverhältnissen in den Buden. Ich kenne auch eine Stewardess, die das jahrelang gemacht hat. Sie verdiente auf dem Weihnachtsmarkt mehr als in ihrem Beruf. Natürlich sind die Umsätze nicht mehr so exorbitant wie in den goldenen Zeiten Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre. Seit 1993 geht es stetig bergab damit, bis heute hat sich bei vielen der Umsatz pro Quadratmeter im Vergleich zu damals halbiert. Trotzdem wird noch verdient. Es gibt Kerzenhändler, die fünfzehn oder zwanzig Stände in ganz Deutschland besitzen. Das sind kleine, saisonal arbeitende Firmen mit vielen, langjährigen und gut bezahlten Helfern und ausgeklügelter Logistik. Ein paar sind wohl Millionäre geworden darüber, andere besitzen zumindest Eigenheime und vielleicht noch ein Zweithaus auf La Palma oder in Goa. Dort sitzen sie dann im Warmen und erholen sich vom vorweihnachtlichen Bibbern.

Morgens um zehn, gleich nach dem Aufsperren, kommen zuerst die Leute mit den Spezialproblemen. Meist sind sie im Rentenalter. Während man selbst noch verschlafen ist und in Ruhe eine Tasse heißen Kaffee trinken will, heißt es jetzt Geduld zeigen. Umständlich wird ein Kerzenständer aus Einkaufstasche, dann Plastiktüte und schließlich Papier genestelt, was schon einmal ein paar Minuten dauern kann, dann wird er über den Tresen gereicht: „Haben Sie dafür eine Kerze?“ Oder jemand bringt einen zerbrochenen Duftlampenaufsatz, „garantiert“ vor fünf Jahren hier am Stand und nirgendwo anders gekauft. Jetzt will er Ersatz. Entweder ist das Teil nicht von uns, was er aber rundweg abstreitet, oder es ist der Aufsatz einer billigen Lampe, für den er nun Ersatz will. Lange Diskussionen folgen. Nicht selten geht der Kunde in der Überzeugung, wieder einmal von der bösen Welt in Gestalt dieses raffgierigen Weihnachtsmarkthändlers übers Ohr gehauen worden zu sein.

Über die Jahre sieht man immer wieder die gleichen Gesichter. Die Leute werden älter, bekommen graue Haare, wechseln die Partner. Kinder werden Teenager, dann Erwachsene. So eine Hütte ist wie ein Guckkasten, die Jahre draußen scheinen in der Rückschau wie im Zeitraffer vergangen zu sein. Man selber wird ja auch älter.

Manchen sieht man auch beim Verfall zu. Da gibt es den Alkoholiker, der seit Jahren über den Markt läuft, in Selbstgespräche versunken. Letztes Jahr sah er besonders derangiert aus. Sein Hosenladen stand offen, die Socken in den ausgelatschten Sandalen waren voller Löcher, im Gesicht hatte er eine blutige Schramme. Mit einem Glühwein in der Hand kam er an unseren Stand: „Bist du Fußballfan?“ Ich nickte nur unbestimmt, weil ich mich auf kein Gespräch mit ihm einlassen wollte. Der örtliche Verein hatte tags zuvor verloren, zu Hause gegen den Tabellenführer. „Kein Beinbruch“, meinte er und fügte hinzu, er sei seit seinem zehnten Lebensjahr Fan des Vereins und werde das auch bleiben. „Solange ich noch lebe.“ Es klang, als rechnete er nicht unbedingt damit, dass noch viele Jahre folgen würden. Ein paar Tage später kam er noch mal wieder, kaufte eine Kerze und bezahlte mehr, als sie kostete. Als ich ihm das überzählige Geld zurückgeben wollte, winkte er ab: „Ich leb sowieso nicht mehr lange, ich hab Leberzirrhose.“

Man ist den Leuten den ganzen Tag ausgesetzt, man kann ja nicht weglaufen. Einige kommen jeden Tag und wollen sich unterhalten, als hätten sie sonst niemanden. Auch Bekannte kommen gerne zum Plaudern, und es ist praktisch unmöglich, ihnen klarzumachen, dass man hier nicht nur so locker herumsteht, sondern tatsächlich arbeitet. Wenn man den ganzen Tag Verkaufsgespräche führt, sinkt die Lust auf Privatgespräche sowieso merklich. Das wirkt sich auch auf die Abende aus. Zwei Gläser Rotwein und drei Stunden Fernsehen oder umgekehrt, um irgendwie abzuschalten und runterzukommen, den Lärm und die Stimmen aus dem Kopf zu bekommen, das findet auch die Freundin bald nicht mehr so gut. Nach zwei Wochen tanzen vor dem Einschlafen die Kerzen und Duftöle vor den Augen, und beim Aufwachen sind sie auch schon wieder da. Und man weiß dann genau, dass man noch zwei Wochen vor sich hat.

Mein Respekt vor Kaufhausverkäuferinnen ist extrem gestiegen, seit ich den Markt mache. Was für ein harter Job, den ganzen Tag unter Neonlicht zu stehen und die Launen der Kunden zu ertragen! Und das für wenig Geld, als wäre es ein Privileg, diese Arbeit zu machen. Ein Privileg ist es wirklich nicht, mit diesen Glühweintrinkern auf dem Markt zu arbeiten. Ich erzähle mal so ein typisches Erlebnis: Es ist Samstagabend, neunzehn Uhr. Auf einmal stehen drei Männer im Gang vor unserer Hütte, Glühweinbecher in der Hand, schon angetrunken, aber bester Laune. Sie unterhalten sich im Brüllton, sodass ich mich kaum noch mit den Kunden verständigen kann. Der Unterhaltung im breitesten hiesigen Dialekt entnehme ich nur Satzfetzen wie „Kiesgrube“, „mit achtzig Sachen“, „schlammverspritzt“ und so weiter. Es scheint höchst unterhaltsam zu sein, denn immer wieder bricht einer von ihnen in ohrenbetäubendes Gelächter aus, während die anderen sich auf der Stelle schaukelnd nach rechts und links drehen, eine Art Schenkelklopfen im Stehen, weil sie mit Zigarette und Becher nun mal beide Hände voll haben.

So beschallen sie eine gute Viertelstunde selbstvergessen ihre Umgebung. Während ich gerade darüber nachdenke, sie doch mal freundlich, aber bestimmt zum Weitergehen aufzufordern – mit so was muss man allerdings vorsichtig sein –, ist einer von ihnen verschwunden. Die beiden anderen sind auf einmal merkwürdig still. Ich fürchte schon, er ist Drogennachschub besorgen: noch mehr Glühwein. Stattdessen höre ich meine Nachbarin, die Wollsockenverkäuferin von gegenüber, wütend zetern: „Du Dreckschwein!“ Inzwischen steht er wieder bei seinen Kumpels, leicht debil grinsend. Während die drei sich endlich entfernen, schimpft die Nachbarin hinter ihm her: „Wie kannst du zwischen unsere Hütten pissen, du Sau!“ Er hat sich tatsächlich in der schmalen Lücke zwischen ihrer und der Nachbarbude erleichtert, direkt vor ihrer Tür, wo jetzt eine dampfende Pfütze in den Rillen zwischen den Pflastersteinen versickert. Die öffentliche Toilette ist übrigens keine fünfzig Meter entfernt.

Ob ich noch Lust habe, Weihnachten zu feiern? (lautes Gelächter)

BERND HETTLAGE, Jahrgang 1960, arbeitet als Journalist und Autor in Berlin. Er kann auf jahrelange Erfahrung als Weihnachtsmarktverkäufer zurückblicken