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Archiv-Artikel

Neon nach Nordafrika

Unbedingt cool, unbedingt überspannt: „WWW – What a Wonderful World“ von Faouzi Bensaidi gelingt die Rolle rückwärts in das entfesselte und verschwenderische Kino der postmodernen Achtziger. Nur auf Marokkanisch

Lange Einstellungen, leer geräumte Bilder, knapp gehaltene Dialoge, wenig Raum für Erklärung – diese Merkmale zeichnen zurzeit viele Autorenfilme aus, die in Ländern ohne ausgeprägte Filmindustrie entstehen und deshalb auf international agierende Filmförderer angewiesen sind. Umso erstaunlicher, wenn ein Film aus Marokko genau diese Parameter über Bord wirft und sich stattdessen so entfesselt gibt, wie man es zuletzt im postmodernen Kino der Achtziger und Neunziger sah. „WWW – What a Wonderful World“ folgt einem Quentin Tarantino, Wong Kar-Wai oder Jean-Jacques Beineix im unbedingten Willen zum Cool ebenso wie in der ästhetischen Überspanntheit.

Faouzi Bensaidi ist Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in einem. Er spielt Kamel, einen Auftragskiller, der sich ungerührt durch Casablanca bewegt, oft in einen schwarzen Ledermantel gehüllt, der nach erledigter Arbeit effektvoll flattert. Nachts steht Kamel gerne gedankenverloren und rauchend auf seiner Terrasse. Hinter ihm ragt dann eine große Leuchtreklame in den schwarzen Himmel. Sie blinkt gelb und rot, Kamels Gesicht bleibt versteinert. Dass man ähnliche Farb- und Lichtspiele im Hongkong-Kino der Neunziger gesehen hat, stört nicht, im Gegenteil. Eher staunt man darüber, wie umstandslos sich der Neon-Look aus dem Kontext reißen und nach Nordafrika umsiedeln lässt.

Die Stadt ist dabei stets changierende Kulisse. Mal zeigt sie sich als Bretterverschlagsiedlung, aus der Not geboren und improvisiert, dann als Niemandsland am Fuß von heruntergekommenen Hochhäusern, ein staubiger Traum von Moderne. Szenenweise wird das Flair eines Pariser Straßencafés imitiert, dann wieder herrscht die Einheitsarchitektur der Shopping-Malls und Internetcafés vor. Die zweite Hauptfigur, Kenza (Nezha Rahil), ist Polizistin; sie regelt den Verkehr in der Mitte eines weitläufigen runden Platzes. Die von Gordon Spooner geführte Kamera mag es, von weit oben auf die Szene zu schauen, die Verkehrsinsel in der Mitte des Runds ist nur ein Punkt in der Ferne, Kenza eine Ameise irgendwo weit dort unten. Die Wagen folgen abstrusen Choreografien von Bewegung und Stillstand, von gegenseitiger Blockade und freiem Fluss. Auch sonst verpasst Spooner keine Gelegenheit zu spielen: Einmal etwa wird Kamel auf dem Weg zu seinem Apartment, das in der Nähe des Strandes liegt, von einem Surfer begleitet. Für die Dauer eines langen Travellings bleibt der Kopf des Protagonisten hinter dem Surfbrett verborgen. In einer anderen Szene wird eine Figur von einer Gruppe verprügelt. Ein Baumstamm im Bildvordergrund verhindert dabei, dass man das Opfer zu Gesicht bekommt. Sobald Spooner die Wahl zwischen einem ausgefallenen und einem gewöhnlichen Kamerastandpunkt hat, entscheidet er sich für die erste Option.

„WWW – What a Wonderful World“ pfeift auf jede Ökonomie der Mittel; er lässt seiner Lust am Verspielten und Künstlichen freien Lauf. So ist der Film wie eine Rolle rückwärts in der Zeit – unversehens meint man, sich einen verschwenderischen und zugleich albernen Mix aus „Days of Being Wild“, „Betty Blue“, „Subway“ und „Bullet in the Head“ anzuschauen. CRISTINA NORD

„WWW – What a Wonderful World“, Regie: Faouzi Bensaidi. Mit Nezha Rahil, Faouzi Bensaidi u. a. Frankreich/Marokko/Deutschland 2006, 99 Min.