: Der Wolf ist tot
Die Geschichte vom Jäger und dem Wolf ging am Wochenende im Wendland mal wieder schlecht aus – für das Tier. Aber auch die Jäger könnten Ärger bekommen, im schlimmsten Fall droht ihnen eine Freiheitsstrafe. Der Vorfall zeigt, dass der Wolf-Komplex noch lange nicht abgearbeitet ist
VON DANIEL WIESE
Es geschah, das hat sich inzwischen herumgesprochen, bei einer Jagdgesellschaft, die am Samstag in den Wäldern bei Gedelitz im Kreis Lüchow-Dannenberg unterwegs war. Es sei eine Treibjagd gewesen, heißt es bei der Kripo Lüneburg, die die Ermittlungen übernommen hat. Auf der Internet-Seite des NABU finden sich bereits Fotos von dem toten Wolf, wahlweise von vorn mit blutiger Schnauze oder von oben mit Einschusslöchern an der Flanke. Vier Schüsse seien abgegeben worden, wird die Jägerschaft Uelzen auf der NABU-Seite zitiert, darunter ein „Einschuss in den Nasenrücken, von dem Geschossteile in den Rachenraum eindrangen und im Bereich der Vorderzähne austraten“. Der vierte Schuss sei „der Fangschuss in die Kammer“ gewesen, wie es in der Jägersprache heißt.
Die Schützen, zwei Männer im Alter von 46 und 51 Jahren, haben zu ihrer Verteidigung vorgebracht, dass der Wolf schon verletzt gewesen sie, als sie anlegten. Dennoch wäre es auch dann verboten gewesen, auf das Tier zu schießen, die Jäger hätten die Polizei rufen müssen oder den Veterinär, auf dessen Seziertisch der Wolf nun gelandet ist, bevor er gestern in einer „ganz normalen Kiste“, so das Veterinäramt Lüchow, zur Autopsie an die Tiermedizinische Hochschule Hannover verbracht wurde. Den Jägern droht im schlimmsten Falle eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Naturschutz- und das Artenschutzgesetz, erklärt die zuständige Staatsanwaltschaft in Lüneburg, der Strafrahmen reiche von einer Geld- bis zu einer fünfjährige Haftstrafe, wenn sie nicht vorbestraft seien, könnten die Täter allerdings auf Bewährung hoffen.
Zeitungsberichte, dass das Landeskriminalamt die Ermittlungen übernommen habe, erwiesen sich gestern zwar als Ente („Uns liegt kein Antrag vor“, so der Sprecher). Doch die Empörung bei den Jagdkollegen über die ruchlose Tat war einhellig. „Wir müssen gemeinsam lernen, mit Rückkehrern wie dem Wolf zu leben“, mahnte der Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen, Klaus Pohlmeyer. Sogar der Präsident des deutschen Jagdverbandes, Jochen Borchert, meldete sich zu Wort und erinnerte daran, dass Wölfe zu den „streng geschützten Arten“ gehören, die unter keinen Umständen geschossen werden dürfen.
Einer der Männer, die den toten Wolf als erstes gesehen haben, ist Theo Grüntjens. „Das war ein guter Rüde“, sagt Grüntjens traurig. „Er sah sehr vital und gesund aus.“ Grüntjens war mal Forstoberamtsrat bei der staatlichen Forstverwaltung, bevor er bei der Waffenfirma Rheinmetall anheuerte, als Leiter der Forstverwaltung auf dem 5.400 Hektar großem Rheinmetall-Schießplatz in der Lüneburger Heide. Dort wurde im November 2006 der erste niedersächsische Wolf seit mehr als 50 Jahren gesichtet. Grüntjens glaubt aber, dass es sich bei dem toten Wolf nicht um seinen Wolf handelt, sondern um ein Tier, dass „von Osten her“ kam, Genaueres möchte er nicht sagen, „wir wollen ja die Leute nicht scheu machen“. „Man hofft in solchen Fällen immer, dass es nur ein Schäferhund ist“, sagt Grüntjens. „Wenn man dann sieht, es ist ein Wolf, dreht sich der Magen um.“
Die Geschichte vom toten Wolf zeigt sich als das genaue Gegenteil der alten Wolfserzählungen, in denen der Jäger, der den Wolf schießt, der Held war, der Wolf aber das Böse verkörperte. In der Psychoanalyse existiert der „Wolfsmann“, ein Patient von Freud, der von seinen Wolfsträumen berichtete. „Plötzlich geht das Fenster von selbst auf, und ich sehe mit großem Schrecken, dass auf dem großen Nussbaum vor dem Fenster ein paar weiße Wölfe sitzen. Unter großer Angst, offenbar von den Wölfen aufgefressen zu werden, schrie ich auf und erwachte“, heißt es in Freuds Protokollen.
Der Traum von den Wölfen hat für den Psychoanalytiker Freud mit den dunklen, Angst besetzten Seiten der Sexualität zu tun, mit dem Gesetz des Vaters und dem Ödipuskomplex. Es sind Ängste, die sich nur noch schwer abrufen lassen, weil die Welt, in die sie gehören, vergangen ist wie die Grimmschen Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Nichts lauert mehr im Wald, Softpornos laufen auf allen Kanälen, und wenn es geheime Ängste gibt, müssten wir andere Wesen finden, Viren vielleicht oder sonstige unsichtbare Krankheitserreger, um sie zu benennen.
Insofern ist es durchaus passend, dass aus dem bösen Wolf der gute Wolf geworden ist, dessen Tod Betroffenheit auslöst. Die Gemeinde Unterflüss jedenfalls, in deren Gemarkung das Rheinmetall-Gelände liegt, wirbt mit dem dortigen Wolf unter dem Slogan: „Wo die Welt noch in Ordnung ist.“