„Der Iran ist eine lebendige Gesellschaft“

Die grüne Europaabgeordnete Angelika Beer fordert einen Kurswechsel der EU gegenüber der Regierung in Teheran

ANGELIKA BEER ist Präsidentin der Irandelegation des Europäischen Parlaments. Vom 6. bis 10. 12. führte sie Gespräche in Teheran.

taz: Frau Beer, Sie waren mit einer EU-Delegation im Iran. Die Reise erfolgte kurz nach der Veröffentlichung des Berichts amerikanischer Geheimdienste, in dem Iran bescheinigt wurde, sein Atomwaffenprogramm 2003 eingestellt zu haben. Fühlt sich die Regierung in Teheran bestärkt? Mit wem konnten Sie sprechen?

Angelika Beer: Gesprächspartner waren in erster Linie unsere Parlamentskollegen. Wir haben mit dem Parlamentspräsidenten und dem Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses geredet, aber auch mit dem Außenminister, nicht nur über den Atomkonflikt, sondern auch über die Lage der Menschenrechte. Sowohl der Außenminister als auch die Parlamentarier waren der Meinung, dass der Bericht der Geheimdienste die iranische Position gestärkt und bestätigt habe, dass der Iran nicht an dem Bau von Nuklearwaffen arbeite. Falsch sei aber die Behauptung, Iran habe bis 2003 versucht, Atombomben herzustellen. Der Bericht bestätige auch, dass US-Präsident Bush aus ganz anderen Gründen den Atomkonflikt eskaliert habe. Der Außenminister erklärte, seine Regierung sei bereit, jederzeit ohne Vorbedingungen mit den USA und der EU zu verhandeln, mit der Internationalen Atombehörde vollständig zu kooperieren und den Vorschlag einer multinationalen Urananreicherung auf neutralem Boden zu prüfen.

Nun haben sich aber die Europäer für verschärfte Sanktionen ausgesprochen. Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana sagte, Europa werde die bisherige Politik fortsetzen.

Ich halte diese Position aus zwei Gründen für falsch. Erstens, weil sich mit den Sanktionen die Repression gegen die Zivilgesellschaft verstärkt hat. Zweitens ist mit der Feststellung, dass Iran seit 2003 sein Programm eingestellt hat, die Grundlage für Sanktionen entfallen. Die EU macht jetzt den Fehler, dass sie George Bush folgt. Dabei muss man unterstellen, dass es Bush gar nicht um das Atomprogramm geht, sondern um die Isolierung Irans.

Ihr zweites wichtiges Thema waren die Menschenrechte. Der Atomkonflikt hat dies in den Hintergrund gedrängt. Kann man jetzt einen Kurswechsel erwarten?

Mit unserer Reise hoffe ich erreicht zu haben, dass wir den Menschenrechtsdialog mit dem Iran wieder intensiv aufnehmen. Wir haben bei unseren Gesprächen die Verletzung der Menschenrechte erörtert, zum Beispiel das Verschwinden von aktiven Studenten im Vorfeld der geplanten Demonstration an der Teheraner Universität [am 9. Dezember, d. Red.]. Es gelang uns auch, Vertreter der Studenten, Frauenorganisationen, Gewerkschaften sowie ethnischen und religiösen Minderheiten zu treffen. Dabei haben wir festgestellt, dass eine große Sehnsucht nach Unterstützung aus dem Ausland besteht. Die Menschen sind enttäuscht von Europa. Meiner Meinung nach muss die EU jetzt einen radikalen Kurswechsel vornehmen und sich unabhängig machen von der amerikanischen Politik. Sie muss die Menschen in den Vordergrund stellen und eine friedliche Lösung des Atomkonflikts anstreben.

Während Sie in Teheran waren, haben dort rund 2.000 Studenten gegen die Regierung demonstriert. Haben Sie etwas davon gemerkt?

Angehörige der inhaftierten Studenten haben uns spontan im Hotel aufgesucht. Sie waren über das Schicksal der Inhaftierten höchst besorgt, denn sie hatten keinerlei Informationen über ihre Angehörigen erhalten. Ich habe den Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses kontaktiert und die feste Zusage erhalten, das Parlament werde intervenieren und sich um die Studenten kümmern. Das Spannende war, dass er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz öffentlich zu dem Fall Stellung genommen und gesagt hat, es könne nicht sein, dass Studenten im eigenen Land einfach verschwinden und Angehörige über ihr Schicksal nicht informiert werden. Wir haben auch die portugiesische EU-Präsidentschaft ebenso wie das EU-Parlament aufgefordert, zu intervenieren.

Russland hat mit der Lieferung von Nuklearbrennstäben für das erste iranische Atomkraftwerk bei der Stadt Buschehr begonnen. Die Nutzung der Brennstäbe im Iran werde von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) kontrolliert, teilte ein Sprecher des Außenministeriums am Montag in Moskau mit. Die russische Führung betonte, dass sich der Iran verpflichtet habe, die verbrauchten Brennelemente an Russland zurückzugeben. Am Vorabend hatte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad in Teheran verkündet, sein Land wolle an den Plänen zur Urananreicherung festhalten. DPA

Was wird Ihre Reise bewirken?

Wir können eindeutig nachweisen, das der Iran kein schwarzes Gebilde ist. Es ist eine höchst lebendige Gesellschaft, in der Frauen, Studenten, Arbeiter, Gewerkschaften, Künstler und Intellektuelle mutig ihre Rechte fordern und nach Freiheit streben. Diese breite Zivilgesellschaft braucht unsere Unterstützung. Wir wollen nicht, dass man die Frage der Menschenrechte missbraucht, um Iran zu isolieren. Wir werden unseren Dialog fortsetzen und uns vehement dafür einsetzen, dass Europa, unabhängig von den USA, einen Kurswechsel gegenüber Iran vornimmt.

INTERVIEW: BAHMAN NIRUMAND