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Archiv-Artikel

„Das System verteilt sich auf 90 Schränke“

Er rechnet in einer Sekunde soviel, wie 7 Millionen Menschen in ihrem ganzen Leben: Die norddeutschen Länder haben den derzeit zweitschnellsten Computer der Welt bestellt. Ab 2008 soll er in Hannover und Berlin an neuen Klimamodellen rechnen

GABRIELE VON VOIGT, 48, leitet das Regionale Rechenzentrum Niedersachsen. Dort wird im kommenden Jahr eine Hälfte des neuen norddeutschen Supercomputers installiert.

taz: Frau von Voigt, wofür braucht man den zweitschnellsten Rechner der Welt?

Gabriele von Voigt: Mit dem System lassen sich beispielsweise dreidimensionale Modelle von Gasplaneten mit großer Genauigkeit berechnen. Die dabei entwickelten Methoden sind anwendbar für bessere terrestrische Klimamodelle. Andere Simulationen dienen der Entwicklung von Fusionsreaktoren, Raketenantrieben oder dem Strahlenschutz. Ein aktuelles Projekt beschäftigt sich mit der Reduzierung von Lärm und Abstrahlung bei Verkehrsflugzeugen.

Ihr Rechner hat 25.000 Prozessorkerne. Heißt das, er ist so schnell wie 25.000 handelsübliche PCs?

So ungefähr: ja. Die einzelnen Chips sind ein bisschen schneller und etwas anders zusammengesetzt, aber gängigen PC-Prozessoren ähnlich.

Wie muss man sich die Rechenleistung vorstellen?

In der zweiten Ausbaustufe kommt unser Rechner auf 312 so genannte Teraflops. Zum Vergleich: Wenn ein durchschnittlich begabter Mensch ununterbrochen rechnen würde, könnte er in seinem Leben rund 45 Millionen Additionen von mehrstelligen Zahlen schaffen. Unser Rechner schafft in jeder Sekunde soviel wie 7 Millionen solcher Menschen in ihrem ganzen Leben.

Darf jeder so einen Rechner kaufen?

Er unterliegt keiner Exportkontrolle, fiel aber unter das „Abkommen für öffentliches Beschaffungswesen“, das für Transparenz sorgen soll.

Die Exportkontrolle findet vermutlich über den Preis statt?

Der „Norddeutsche Verbund für Höchstleistungsrechner“, an dem Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein beteiligt sind, teilen sich den Rechner. Für eines alleine wären die Anschaffungskosten von 30 Millionen Euro zu teuer gewesen. Der Bund hat 15 Millionen beigesteuert.

Wie sieht so eine Anlage aus?

Die Chips werden zwar immer kleiner, trotzdem verteilt sich das System auf 90 Schränke, 45 in Hannover, 45 in Berlin. Das sind je etwa 100 Quadratmeter Stellfläche. Die beiden Standorte sind über eine Datenleitung miteinander verbunden. Der mit Wasser gekühlte Rechner wird insgesamt 650 Kilowatt in der Stunde verbrauchen. In fünf Stunden kommt so der Jahresverbrauch einer Familie zusammen.

Gibt es in Deutschland etwas Vergleichbares?

Ja, aber nicht in Norddeutschland. Auch in Jülich, Stuttgart und Garching stehen Hochleistungsrechner. Der leistungsfähigste von ihnen ist etwa halb so schnell wie unser neues System.

Und weltweit?

Hätten wir schon jetzt die zweite Ausbaustufe, die erst 2009 ausgeliefert wird, wäre er der zweitschnellste Rechner der Welt. Der schnellste steht in den USA und ist etwa 50 Prozent schneller als der, den wir geordert haben. Bis 2009 werden andere Einrichtungen nachgezogen haben, mit Glück landen wir noch unter den ersten zehn.

Wer entscheidet darüber, wer den Rechner benutzen darf?

Es gibt ein wissenschaftliches Gremium mit Mitgliedern aus allen Fachbereichen. Bei dem muss man die gewünschte Rechenzeit beantragen. Die Vergaberegeln wurden in Anlehnung an die Regularien der Deutschen Forschungsgemeinschaft festgelegt.

Müssen die Institute für die Rechenzeit bezahlen?

Der Preis ist virtuell. Wir haben eine eigene Verrechnungseinheit: die „Norddeutsche Parallelrechner-Leistungseinheit“, kurz NPL. Das wissenschaftliche Auswahlgremium teilt jedem Projekt eine bestimmte Zahl an NPLs zu.

Und dann?

Die beteiligten Institute können sich selbst einloggen. Sobald einem Projekt NPLs bewilligt wurden, können die Forscher ihre Anfragen starten. Die werden dann der Reihe nach abgearbeitet. Manchmal kann es aber einige Tage dauern, bis mit der Berechnung begonnen wird.

Der Rechner läuft rund um die Uhr?

Mit Ausnahme von Ausfallzeiten ja.

Wie lange beschäftigt eine Anfrage so ein System?

In der Regel nicht sehr lange. Es gibt aber einige meteorologische Projekte, die schon einmal sämtliche Knoten des Computers mehrere Wochenenden lang alleine in Anspruch nehmen.

Wie lange bleibt so ein Supercomputer in Betrieb?

Die Entwicklung macht in dem Bereich enorme Sprünge. Unser jetziger Rechner ist sechs Jahre alt und schafft knapp sechs Teraflops. Damit kommt man heute nicht mehr weit. Wir haben den Rechner in zwei Ausbaustufen bestellt, um die technologische Entwicklung bis 2009 mitnehmen zu können. Der Bedarf für die Rechenleistung der zweiten Ausbaustufe ist jetzt auch noch gar nicht gegeben. Allerdings wächst die Nachfrage nach Rechenzeit sehr schnell. Grundsätzlich bleibt so ein Rechner nur einige Jahre aktuell.

Und was kaufen Sie sich dann?

Es wird damit gerechnet, das in ein paar Jahren Rechner im Petaflop-Bereich üblich werden. Das wären dann mehrere Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde. INTERVIEW: CHRISTIAN JAKOB