: Der Schock am Herd
SELBSTVERSUCH Das Kochhaus ist ein begehbares Rezeptbuch, in dem die Waren nach Menüs sortiert sind. Unser Autor hat eines nachgekocht und sich dabei selbst überrascht. Sein Weihnachtsessen hat er danach umgeplant: Statt Gans gibt es jetzt Ente
Kochhaus-Erfinder Ramir Goo
VON E. F. KAEDING
Zwei nagelneue zwanzig Euro Scheine schiebt die junge Frau über die Theke, wirft einen beiläufigen Blick auf den Briefumschlag, den sie im Gegenzug erhält, und steckt diesen dann ebenso nebenbei in die Handtasche. Ganz so als würde sie seit Jahren schon Geschenkgutscheine im Kochhaus kaufen. Der war über ein 3-Gänge-Menu für zwei Personen inklusive Wein, flüstert Ramir Goo, dann überfällt ihn ein breites Lächeln.
Der 30-Jährige kann den Erfolg seines „begehbaren Rezeptbuches“ immer noch nicht ganz fassen. Das erste Geschäft in Berlin eröffneten er und vier seiner Freunde im Herbst 2010, keine sechs Monate später folgte eine zweite Filiale. Und vor drei Wochen strömten 2.000 Neugierige zur Eröffnung des Kochhauses-Hamburg in St. Georg. Preise bei Innovationswettbewerben, eine begeisterte Presse, 6.000 Facebook-Fans, und überzeugte Kunden wie die junge Dame an der Kasse – bei soviel Lob liegt ein Selbstversuch nahe.
Betritt man das Kochhaus in der Langen Reihe 60 fallen als erstes die Tische ins Auge. Neun an der Zahl, auf denen 18 Rezepte aufbereitet sind, sorgfältig nach Vorspeise, Hauptgericht, Nachtisch geordnet und jeweils bemessen für zwei bis vier Personen. Perlhuhnbrust in Madeirasoße, Avocadotatar auf Krabben oder Fusilli mit Ricotta und frischem Babyspinat – es ist für jeden etwas dabei. Die Zutaten liegen vorsortiert in kleinen Körben, auf Tellern, Gramm-genau abgepackt in Tütchen, oder –sofern verderblich wie Fleisch, Fisch und Molkereiprodukte – in Kühltruhen. Auf Schildern kleben Fotos, sie führen den Hobbykoch schrittweise durch die Zubereitung.
Für den taz-Test wählt der Kochhaus-Chef persönlich das Gericht aus: knusprige Entenbrust mit gebackenem Hokkaidokürbis und Ingwer-Orangen-Soße. Eine gute Fleischwahl findet der Autor. Vom Gemüse ist er weniger begeistert. Kürbis mag er nicht und Früchte am Fleisch müssen eigentlich auch nicht sein, ob als Soße oder im Originalformat. Doch die persönlichen Vorurteile müssen zurückstehen: Dienst ist Dienst!
Beim Einsammeln der Zutaten erkennt die Kundschaft den Vorzug des Konzeptes, nicht nach Warengruppen sondern Rezepten zu sortieren. Statt stundenlang durch Supermarktschluchten zu irren, füllt man sich an einem Tisch den Korb mit den Zutaten: zwei Entenbrüsten, 300 Gramm Hokkaidokürbis, sechs Grenaille-Kartoffeln, zwei Orangen, sechs Zuckerschoten, 25 Gramm Ingwer, drei Gramm Madras-Curry, 20 Gramm Butter, und einem Bund Petersilie, glatt, nicht gekräuselt. „Wir wollen bei der Qualität der Zutaten ein Level über Normal sein“, sagt Goo mit Blick auf die zum Teil exotischen Namen der Zutaten.
Die Kosten für zwei Personen: 15,60 Euro. Im Supermarkt käme man nur in wenigen Fällen günstiger weg. Die genaue Portionierung erlaubt es dem Kochhaus-Team, die Preise kundenfreundlich zu kalkulierten. Gleichzeitig bietet sie den Vorteil, dass am Ende nichts weggeschmissen werden muss. Alles werde verwendet, sagt Goo, „nichts bleibt übrig“.
Es geht also los. Zu Hause flankiert ein billiges Messer das verzogene Schneidebrett, im alten Gasofen züngelt mühsam die Flamme. Wer glaubt, für die Zubereitung eines hochkarätigen Gerichts benötige man eine ebenso gut ausgestattete Küche, der irrt. Wir achten beim Probekochen darauf, die Topf- und Gerätezahl so gering zu halten wie möglich, sagt Goo.
Nicht der Freitag- oder Samstagabend, an dem man Zeit und Muße hat, um ein gutes Essen zu kochen, stehen im Fokus des Kochhauses. Es ist die Tiefkühl-Pizza, das schnelle Abendessen in der Woche, Begleiterscheinungen eines auf Effizienz getrimmten Arbeitstages, die Goo aufwerten und anheben will zu etwas Besonderem. „Unsere Rezepte sollen am Dienstag nach der Arbeit funktionieren“, sagt er. Deshalb gilt die Regel: so wenig Geräte, so wenig Zeitaufwand wie möglich.
Auf dem Rezeptflyer steht 35 Minuten. Die Uhr tickt. Entenbrüste abwaschen, abtupfen. Es bleiben kleine Papierfetzen kleben. Ein Anfängerfehler, der Zeit kostet und dem Autor Schweiß auf die Stirn treibt. Als nächstes das Fett der Ente rautenförmig einschneiden, aber Vorsicht: dabei auf keinen Fall ins Fleisch sägen. Der zweite Fehler, die integrale Zutat bereits verhunzt!
Die Pfanne ist heiß, Zeit zum grübeln bleibt nicht. Fleisch rein, vier Minuten von jeder Seite scharf anbraten. Es zischt und brutzelt, die Küche erfüllt ein wunderbar weicher Duft, es werden Erinnerungen an Weihnachten wach.
Eine Minute vor Ablauf der angegebenen Zeit steigt von der Pfanne ein unangenehm scharfer Geruch auf. Man darf seine Sinne nie nur dem geschriebenen Wort unterwerfen, sagte einst ein weiser Mensch. Ich wende noch rechtzeitig; die vollen vier Minuten hätten wohl das vorzeitige Ende der Ente und den Abbruch des Tests bedeutet. Vielleicht lag es an der zu hohen Eingangshitze.
Danach geht’s ab in den Ofen in eine Glasform. In der warten auf die Entenstücke schon die von einer Hilfskraft geschnittenen Kürbisscheiben, Zuckerschoten und Kartoffeln, gewürzt mit Curry, abgeschmeckt mit Salz und Pfeffer. In die Pfanne kommt nun der klein geschnittene Ingwer und der Saft der ausgepressten Orangen.
Beim Aufkochen zerschneidet das kalte Fruchtaroma den warmen in der Luft hängenden Geruch von Weihnachtsbraten. Also doch. Der aggressive Orangensaft verseucht das Gericht. Lieblos wirft der Autor das Stück Butter in die Pfanne und schaut enttäuscht hinunter in die trübe Flüssigkeit, verärgert über die Fruchtsoße sowie die Unfähigkeit, eine Fotostory erfolgreich nachzukochen und gänzlich unwissend, dass dort, vor den eigenen Augen, in diesen Sekunden ein einzigartiges Geschmackserlebnis zusammenschmilzt.
Beim Speisen ist der Autor schwer beeindruckt: Wie kann ein Gericht, zubereitet in nur 35 Minuten von einem ignoranten Kochamateur, so gut schmecken? Ein Schock mit Nachwirkungen. Statt Gans mit dunkler Bratensoße gibt es jetzt Ente und Ingwer-Orangen-Soße zu Weihnachten. Nur der Kürbis bleibt nach wie vor außen vor. Kartoffeln saugen einfach besser die tolle Soße auf.