: Nur noch zwei Tage …Befehlston des milden Großvaters
Wer noch Weihnachtsgeschenke sucht, kann auf dieser Seite ein paar Anregungen finden. taz-KollegInnen empfehlen aktuelle und lesenswerte Bücher
Michael Saur und Karl-Otto Saur junior: „Er stand in Hitlers Testament“. Econ Verlag, Düsseldorf 2007, 240 Seiten, 19,90 Euro
Doch, auch 2007 können noch Erinnerungen an den Nationalsozialismus aufgeschrieben werden, die das Nachdenken über das eigentlich längst Vergangene voranbringen. Zumindest Michael Saur und Karl-Otto Saur junior ist das gelungen mit einem gemeinsam geschriebenen Buch, das den sperrigen Titel „Er stand in Hitlers Testament“ trägt. Er, das ist die distanzierte Variante von Großvater und Vater. Er, das ist Karl-Otto Saur, zwischen 1941 und 1945 technischer Hauptamtsleiter im Rüstungsministerium und einer der engsten Vertrauten Hitlers. Zum Rüstungsminister sollte Karl-Otto Saur aufsteigen und damit Albert Speer nachfolgen, so hatte es Hitler am 29. April 1945 in seinem Testament verfügt, per Unterschrift bezeugt von Martin Bormann und Joseph Goebbels.
Sohn Karl-Otto Saur junior und Enkel Michael Saur, Jahrgang 1967, haben sich Jahrzehnte später gemeinsam aufgemacht, um zu beschreiben, wie dieses Erbe sie geprägt hat. Gegeneinandergeschnitten arbeiten die beiden Journalisten ihre Kindheit und ihr Leben auf und suchen Indizien und Wesenszüge, in denen der herrische, später aber auch milde Großvater sichtbar wird. Entstanden ist eine ehrliche und genaue, aber doch ganz menschliche Analyse – auch und vor allem gegenüber sich selbst. „Manchmal beobachte ich meinen Vater und frage mich trotzdem, ob ich in ihm den unbekannten Großvater erkennen kann“, schreibt Michael Saur. „Ein nett gemeinter Befehlston, mit dem er seinen Enkelsohn zu sich bestellt, mag das auslösen, ein Ton, den ich selber erkenne, den ich manchmal in mir selbst zu entdecken glaube.“
MAX HÄGLER
Die Stadt als Brücke
Geert Mak: „Die Brücke von Istanbul. Eine Reise zwischen Orient und Okzident“. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Pantheon Verlag, München 2007, 128 Seiten, 9,95 Euro
Wenn von Istanbul die Rede ist, dann fällt oft die abgegriffene Metapher von der „Brücke zwischen Orient und Okzident“. Der niederländische Historiker Geert Mak meint damit aber ein ganz konkretes Bauwerk: die Galatabrücke, die sich, mehrfach zerstört und neu aufgebaut, seit 160 Jahren über das Goldene Horn spannt und das alte Stambul mit dem Hafenviertel Galata verbindet. Geografisch gesehen liegen beide Stadtteile auf europäischem Boden. Dennoch liegen bis heute Welten zwischen dem alten Regierungssitz Stambul mit seinem Sultanspalast und den Moscheen auf der einen, und dem bürgerlich-europäischen Stadtteil Pera (heute Beyoglu) auf der anderen Seite mit seinen Kirchen, Synagogen und europäischen Botschaften.
Geert Mak bringt sie uns näher, indem er mit wenigen Pinselstrichen das Panorama einer schon immer multikulturellen Stadt zeichnet – von der Zeit, als der Fährverkehr am Goldenen Horn noch über Ruderboote geregelt wurde, bis zur jüngsten Geschichte. Anders als viele andere Historiker besitzt Geert Mal einen klaren Blick auch für die Gegenwart. So lebt sein schmales Büchlein vor allem von seinen Begegnungen mit jenen Tagelöhnern, Anglern und Händlern, die er auf der Brücke über mehrere Wochen hinweg getroffen hat. In seinen Schilderungen verbinden sich die Vergangenheit, die radikale Modernisierung der Türkei und die Armenierpogrome mit den Problemen von heute, der massenhaften Landflucht, dem Tourismus und dem Autoverkehr. In seinen Gesprächen mit Losverkäufern, Teebrühern und Buchhändlern geht es um Ehre, Religion und Politik, gestreift werden der Karikaturenstreit wie die Emanzipation der Frau. Das wirft auch ein Licht auf das komplexe Wechselverhältnis zum Westen, das bei all diesen Themen eine Rolle spielt.
Für alle, die Istanbul kennen, ist Maks Büchlein eine vertiefende und erhellende Lektüre. Für alle, die nach Istanbul fahren, der ideale Reisebegleiter. Und für alle, die noch nie dort waren, eine Einladung. DANIEL BAX
Vernetzte Faulpelze
Miriam Meckel: „Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle“. Murmann Verlag, Hamburg 2007, 272 Seiten, 18 Euro
Handy, BlackBerry und Laptop sind beides: digitale Wunderwerke der Vernetzung und gnadenlose Zeitfresser, die sich – wenn man sie lässt! – in tyrannische Kommunikationskeulen verwandeln können. Miriam Meckel umgeht die herablassende Ratgeberattitüde und entzaubert die Statuskämpfe der ewig und überall zu Erreichenden mit charmant eingestreuten Geschichten aus ihrem eigenen Leben auf der Überholspur.
Ihre zentrale Frage heißt: Wie können Führungskräfte und Wissensarbeiter die ständige Erreichbarkeit als Farce entlarven, bei der letztlich nicht nur die Produktivität, sondern auch die eigene Gesundheit auf der Strecke bleibt? „Mehr Information heißt nicht mehr Wissen.“ Ein vergnüglich recherchiertes Buch, als Geschenk empfohlen für alle Workaholics und diejenigen unter den ständig vernetzten Faulpelzen des Denkens, die man gern wieder im analog konzentrierten Leben hätte. Ohne Pieps-, Klick- und Klingeltöne.
GABY SOHL
Leben und Sterben im Zweiten Reich
Volker Ullrich: „Die nervöse Großmacht 1871–1918 – Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs“. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2007, 752 Seiten, 14,95 Euro
Ausgerechnet in der symbolischen Herzkammer des soeben besiegten Frankreich, im Spiegelsaal von Versailles, proklamierten preußische Militärs am 18. Januar 1871 die Gründung des deutschen Kaiserreichs. Dem proletarischen Dichter Georg Herwegh schwante schon damals Übles beim Anblick der neuen Fahne: „Schwarz, weiß und rot! Um ein Panier / Vereinigt stehen Süd und Norden / Du bist im ruhmgekrönten Morden / Das erste Land der Welt geworden: / Germania, mir graut vor dir!“
Programmatischen Zeilen, die Volker Ullrich, Redakteur für „Politisches Buch“ bei der Zeit, seiner umfassenden Geschichte einer „nervösen Großmacht“ vorangestellt hat. In lakonischen, bisweilen trockenen Worten erzählt er von den Dämonen, mit denen dieser zutiefst zerrissene Staat zu kämpfen hatte – und denen er am Ende erlag, erliegen musste. Geschildert wird die Zweckehe zwischen rheinischem Kapitalismus und ostelbischem Junkertum, gestiftet vom Eisernen Kanzler und hineingestellt in ein überrumpeltes Europa wie ein erratischer, bedrohlicher Machtblock. So leuchtet von Anfang an ein, weshalb Otto von Bismarcks Bündnispolitik so fieberhaft um Gleichgewicht bemüht, weshalb Innen- wie Außenpolitik so perfekt auf seine Figur zugeschnitten sein mussten.
Die Abwehrschlachten der Ständegesellschaft gegen die Sozialdemokratie, der Einfluss des Militarismus auf den Alltag auch der „kleinen Leute“, der Gründerboom und der Gründerkrach mit ihren soziopsychologischen Folgen, der aufkeimende Antisemitismus und die Behandlung Polens als innere Kolonie, der titanische Flottenbau von Admiral Tirpitz und das patriotische Gepolter von Wilhelm II., Krieg und Kriegsschuldfrage – all dies entrollt sich mal panoramisch, mal anekdotisch zu einer spannenden Darstellung einer versunkenen Zeit zwischen kolonialem Größenwahn („Ein Platz an der Sonne!“) und politischer Paranoia („Wir haben rings um uns Feinde!“). Besonders erhellend an diesem Buch sind die Kontinuitäten – unauffällige Konstruktionsfehler des Wilhelminischen Nationalstaates, in dem nicht nur der klägliche Erstickungstod der Weimarer Republik schon angelegt war, sondern auch das infernalische Furioso der deutschen Geschichte ab 1933. ARNO FRANK
Fast schon ein Nachruf in Bildern
„Fidel Castro. Ein Bildporträt des Máximo Líder“. Text von Luciano Garibaldi. Übersetzung von Inge Uffelmann. White Star Verlag, Wiesbaden 2007, 272 Seiten, Großformat, 29,95 Euro
Stolz und amüsiert hält Fidel Castro die Schlagzeile einer amerikanischen Zeitung in die Kameras: „All Police on Alert: Plot to Kill Castro!“ (Die gesamte Polizei in Alarmzustand: Plan zur Ermordung Castros!). In der Tat hat der kubanische Revolutionär jeden Grund, gelassen zu sein, denn in diesem Moment, im März 1958, sitzt er im luxuriösen Statler Hilton Hotel in Washington und präsentiert sich den US-amerikanischen Medien.
Weitere Bilder dieser USA-Reise zeigen ihn in New York, mal Eis essend mit bärtigen Begleitern in der Bronx, mal umringt von schönen jungen Frauen im „Fotoreporter’s Club“. Zu dieser Zeit war die Revolution noch in vollem Gange, und kein Mensch ahnte, welche Karriere „Fidel el libertador“ (Fidel der Befreier) noch vor sich haben würde. Ein gutes Jahr später ist Castro schon wieder in den USA zu Gast, diesmal offiziell. Der neue kubanische Führer wird nun sogar von Vizepräsident Richard Nixon empfangen und legt einen Kranz vor der monumentalen Statue Abraham Lincolns nieder. Auch hier sind natürlich Fotografen dabei, um diesen womöglich historischen Augenblick zu dokumentieren.
Wahrscheinlich gibt es kein Politikerleben, das so ausgiebig fotografiert und gefilmt worden ist wie das des (emeritierten) kubanischen Diktators. Ob in Schüleruniform oder Jägertracht, in Badehose oder Uniform, ob mit Bart oder ohne, jubelnd, nachdenklich, redend und immer wieder redend – all das haben mehr oder wenige bekannte Fotografen für die Zeitgenossen und die Nachwelt festgehalten. In „Fidel Castro. Ein Bildporträt des Máximo Líder“ ist eine schöne Auswahl dieser Bilder versammelt. Zwar wird meist das politische Leben Castros gezeigt, aber auch einige überraschende private Aufnahmen finden sich in diesem prächtigen Bildband. Im Grunde ist er ein vorweggenommener Nachruf in Bildern.
DANIEL HAUFLER
Ein nützliches Utensil für Frauen
Mirja Stöcker (Hg.): „Das F-Wort. Feminismus ist sexy“. Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2007, 150 Seiten, 12,90 Euro
Nicht vom Untertitel abschrecken lassen! Obwohl da behauptet wird, Feminismus sei sexy, geht es nicht um Girlies und andere Oberflächenphänomene. Vielmehr untersucht dieser Sammelband, was der berühmte „neue Feminismus“, nach dem allenthalben gerufen wird, denn sein könnte.
Die Beiträge sind erholsam weit entfernt von jungfeministischen Polemiken gegen die Frauenbewegung der Siebzigerjahre. Im Gegenteil, AutorInnen wie Jenny Warnecke zeigen, wie man feministische Freiheit deuten kann, wenn man ohne den emphatischen Autonomiebegriff der Siebziger auskommen will oder muss. Das umfasst etwa Kritik am Biologismus: Die „Natur der Frau“ wurde laut Eva Maria Schnurr erst während der Französischen Revolution erfunden. Solche Stereotype steuern die Selbstwahrnehmung junger Frauen bis heute: Werden sie in Filmen mit weiblichen Klischeebildern überhäuft, so können sie danach schlechter Mathematikaufgaben lösen als zuvor, referiert Schnurr. Ideologiekritik, so beweisen die AutorInnen, kann man auch situativ und selektiv üben: „Der Netzwerkgeneration läuft die Identitätspolitik gegen den Strich“, heißt es bei Warnecke, aber „feministisches Know-how ist durchaus Netzwerk-kompatibel“. Und dieses Know-how wird mittlerweile auch von Männern eingesetzt, wie Daniel Haas’ Analyse autoritärer und pornografischer Strukturen in TV-Castingshows zeigt.
Wenn man nicht unter der rhetorischen Knute einer totalitären Patriarchatskritik agiert, ist Feminismus keineswegs spaßbremsend, sondern eher eine Art nützliches Utensil, das im Necessaire junger Damen von Welt nicht fehlen sollte. So sieht die Ankunft der berühmten „Third Wave“ des Feminismus, die es in den angelsächsischen Ländern schon einige Jahre gibt, in Deutschland aus. HEIDE OESTREICH
Stählerner Kaukase
Simon Sebag Montefiore: „Der junge Stalin“. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 544 Seiten, 24,90 Euro
Simon Sebag Montefiore vereint sich scheinbar ausschließende Rollen: Er ist Erfolgsschriftsteller und zugleich ernsthafter Historiker. Nun hat er ein neues Werk herausgebracht: „Der Junge Stalin“. Die Arbeit ist das Ergebnis einer mehrjährigen Recherche nicht nur in den Moskauer Archiven, sondern auch denen der transkaukasischen Republiken, mithin dem hauptsächlichen Wirkungsfeld von Josef Dschugaschwili, dem Revolutionär mit den vielen Decknamen, der sich schließlich „der Stählerne“ nannte. Diese Lebensperiode ist zwar von zahlreichen Biografen behandelt worden, aber nirgendwo ist die Prägung Stalins durch die von Gewalttätigkeit durchzogene Kultur des Kaukasus so detail- und nuancenreich nachgezeichnet worden wie bei Montefiore. Unter den Bedingungen des illegalen Kampfs in jenem entlegenen Teil des russischen Zarenreichs haben sich, folgt man Montefiore, jene charakterlichen Merkmale herausgebildet, die Stalin später kennzeichneten: sein stetes Misstrauen, sein Verdacht, überall seien Verschwörer am Werk, andererseits die Lust an geheimen Machinationen und völlige Skrupellosigkeit.
Montefiore stellt klar, dass Stalin für Lenin ein überaus wertvoller Verbündeter gewesen sein muss. Nicht nur hielt er in Zeiten des Niedergangs und der Verworrenheit an den bolschewistischen Organisationsprinzipien Lenins fest. Er war auch einer der wichtigsten Geldbeschaffer des in ewiger Geldnot lebenden Parteichefs. Deshalb wendet sich Montefiore auch entschieden gegen das Bild Stalins als einer vor der Oktoberrevolution mediokren und einflusslosen Figur. Montefiore widmet Stalins Banküberfällen viel Aufmerksamkeit, stießen sie doch damals bei der gesitteten Führung der europäischen Sozialdemokratie auf schärfste Kritik. Andererseits bewirkte diese frühe Bankräuberkarriere, dass das Bild des jungen Stalin in der deutschen Studentenbewegung der Sechzigerjahre so manche Wand in Wohngemeinschaften zierte.
Stalins Verachtung der gängigen Moral zeigte sich zudem im Umgang mit seinen sehr verschiedenen Lebensgefährtinnen. Die Schilderung dieses turbulenten Aspekts der Stalin’schen Biografie lässt sich Montefiore natürlich nicht entgehen. Dahinter muss die Erörterung des intellektuellen Werdegangs von Stalin ebenso zurücktreten wie die seiner theoretischen Positionen. Aber das kann man ja leicht in den Standardwerken bei Leo Trotzki oder Isaac Deutscher nachlesen.
CHRISTIAN SEMLER
Noch kurz empfohlen
Bücher von taz-Autoren:
Jörg Magenau: „Die taz. Eine Zeitung als Lebensform“. Hanser Verlag, München 2007, 280 Seiten, fester Einband, 21,50 Euro Renée Zucker, Ingke Brodersen: „Werden Sie wesentlich! Die Frau um 50“. Piper Verlag, München 2007, 224 Seiten, 16,90 Euro Robert Misik: „Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kommerzkultur“. Aufbau Verlag, Berlin 2007, 199 Seiten, 19,95 Euro Hannes Koch: „Soziale Kapitalisten. Vorbilder für eine gerechte Wirtschaft“. Rotbuch Verlag, Berlin 2007, 192 Seiten, 19,90 Euro