Techno für zu Hause

Seine Spezialität ist die Verbindung von minimaler Elektronik und Live-Musik, Orient und Okzident. Am Heiligabend stellt der Istanbuler DJ und Produzent Onur Özer sein Debüt-Album „Kashmir“ auf der Stubnitz vor

16 Millionen Einwohner – und kein einziger ordentlicher Plattenladen. Keine leichte Startposition für den Istanbuler Onur Özer, der 1999 beginnt, als DJ aktiv zu werden. Aber zum Glück hat das Internet nie geschlossen und so verbringt der Klangtüftler aus der einzigen Stadt auf zwei Kontinenten seine Tage auf den Seiten von Online-Mailorder-Shops und vor seinen komplex zusammengeschalteten Synthezisern und etlichen anderen Instrumenten – wenn er nicht gerade zwischen den Clubs Europas hin- und herjettet.

Und das Ergebnis macht klar, dass der Verzicht auf nachmittägliches Abhängen im Plattenladen und fachmännische Gespräche mit dort anwesenden Kollegen und Hipstern nicht nur Nachteile mit sich bringt. Denn das, was Onur Özer in Istanbul, Berlin oder Frankfurt auf die Plattenteller wirft, ist eine ungewöhnlich frische Mischung aus digitaler und analoger Musik, aus Okzident wie Orient, die dem mittlerweile ja auch schon ein wenig durchgefrühstückten Minimal durchaus den einen oder anderen neuen Spin versetzen kann. Vor allem aber ist Özers Sound persönlich.

Denn das, was einen Track für ihn spannend macht, ist der Mensch hinter dem Equipment. DJ-Hard- und -Software wie „Final Scratch“ kommen für ihn nicht in Frage. Echte DJs lieben eben Vinyl. Und so setzt Özer seine Marke mit einer geradezu spirituellen Verbindung von Live-Instrumenten und elektronischer Musik. Und verlässt sich auf die Datenverarbeitungskompetenzen seiner eigenen grauen Zellen. Denn im Grunde entsteht die Kombination aus all den orientalischen Melodien, die in der Stadt am Bosporus erklingen, und der seit jeher verspürten Liebe zu „Pink Floyd“, „Depeche Mode“ und „Kraftwerk“ im Kopf.

Was dann folgt, ist die Suche nach dem richtigen Klang. Bisweilen vergeht dabei schon mal eine Woche, bis der richtige Ton gefunden ist. Dann kommt der nächste. Und dann der nächste. Schicht für Schicht wächst der Track so gleichsam organisch und ist der richtige Anteil an Mysteriösem und Orientalischem gefunden, kommen die live eingespielten Instrumente dazu.

Vor kurzem hat Özer nach einigen EPs für das Jenaer Deephouse-Kollektiv „Freude am Tanzen“ und das Berliner „Vakant“-Label bei Letzterem nun sein atmosphärisches Debüt-Album „Kashmir“ veröffentlicht. Auf acht Tracks nimmt sich Özer alle erdenkliche Freiheit und entwickelt seinen bisweilen Richtung Techno-Jazz schielenden Ansatz noch einmal weiter. Musikalisch breiter angelegt als die vor allem auf Tanzbarkeit zielenden EPs ist es im besten Sinne eine Techno-Platte für Zuhause geworden – eine, die den Kopf genauso fordert und fördert wie die Beine. ROBERT MATTHIES

Mo, 24. 12., 24 Uhr, MS Stubnitz, Überseebrücke