: Der Buhmann
Atom-Minister, Umwelt-Rambo, GAU für Niedersachsen: Naturschützer, Grüne und SPD halten Hans-Heinrich Sander für den schlimmsten Umweltminister Deutschlands. Bei Bauern und Jägern dagegen ist er dagegen beliebt. Ortstermin in Ostfriesland
Hans-Heinrich Sander wurde am 18. April 1945 in Golmbach geboren, er ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt heute noch auf dem Hof seines Vaters, des FDP-Bundestagsabgeordneten Heinrich Sander (1910–1982). Manchmal steigt er noch vor Dienstbeginn auf den Trecker, auch Wahlplakate klebt er selbst. Eigentlich wollte Sander, seit 1968 FDP-Mitglied, Agrarminister werden, als die FDP 2003 wieder in den Landtag einzog. Zuvor war er Rektor einer Grund- und Hauptschule. Nach Mittlerer Reife, Lehre und dem Besuch der höheren Landbauschule hatte er zunächst den Abschluss als staatlich geprüfter Landwirt gemacht und nach einem Arbeitsunfall an der Pädagogischen Hochschule Göttingen studiert. Sander ist seit 1973 Ratsherr in Golmbach, seit 1981 Ratsherr der Samtgemeinde Bevern, von 2001 bis 2003 war er hier Bürgermeister, von 1981 bis 1986 sowie von 1996 bis 2004 stellvertretender Landrat in Holzminden. taz
VON KAI SCHÖNEBERG
Hans-Heinrich Sander legt die Hände auf den Tisch, mit dem rechten Daumen reibt er nervös am Rücken seiner linken Hand, einer Prothese. Der Umweltminister hat einen Teil seines Arms bei einem Unfall verloren. Mal reibt er heftiger, dann wieder berührt Sanders Daumen die Plastikhand versöhnlicher, je nachdem, ob er den Bitten der Deichgrafen zustimmt oder nicht. Wind hat die Gesichter der Männer von den ostfriesischen Siel- und Deichachten gegerbt, die meisten sind Landwirte. Sie reden von Wasserrahmenrichtlinie, Teekproblematik, Kleientnahme, FFH-Gebieten und Landgewinnung. Irgendwann ruht Sanders Daumen entspannt. Das ist der Zeitpunkt, als der Geschäftsführer der Deichacht Esens-Harlinger Land sagt, dass sich die Schwierigkeiten schon legen würden, „in den nächsten zwei, drei Jahren, wenn Sie weiterwirtschaften“, drechselt Meinhard Edzards etwas umständlich. „So, wie das ja vorgesehen ist.“
Dass an diesem Tag im Restaurant Poggenstool in Neuharlingersiel jede Menge Sander-Anhänger bei Eierstichsuppe, Hafenteller und Apfelschorle beisammensitzen, kann sich mancher kaum vorstellen. Viele halten den FDP-Mann für Deutschlands schlimmsten Umweltminister. Kettensägen-Sander, Umwelt-Rambo, GAU für Niedersachsen, Atom-Minister, Amigo-Minister: Für Umweltschützer, Grüne oder SPDler ist der Obstbauer und einstige Schuldirektor aus Golmbach im Landkreis Holzminden nur der „Umwelt-Plattmacher“. Sander ist nicht nur der einzige FDP-Umweltminister Deutschlands, er ist auch für Kernkraft. Viele Einschränkungen durch Naturschutz hält er für „Schickimicki“. Er will „Überregulierung“ abbauen und nennt das „Umweltpolitik mit den Menschen“. Sanders Patzer sind Legende: Im Schacht Konrad posierte er mit einem T-Shirt, auf dem das Warnzeichen für Radioaktivität samt dem Slogan „kerngesund“ prangte. Weil Sander im Biosphärenreservat Elbtalaue vor laufenden Kameras Weiden mit der Kettensäge fällte, überzog die EU-Kommission Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren – dem vierten in drei Jahren.
„Man kann nicht Politik für alle machen“, sagt Sander. „Wenn 20 Prozent meine Politik gut finden und zehn Prozent die FDP wählen, geht das für mich in Ordnung.“ Umweltpolitik boomt nicht nur. Sie ist für ihn die Baustelle, auf der die Liberalen richtig viel bewegen können. Reparieren, was die Trittins und die Künasts in Berlin, die Jüttners in Hannover ausgefressen haben.
Eine Ankündigung ist für viele seine bislang größte Drohung: Der 62-Jährige will nach der Landtagswahl am 27. Januar weitermachen. Sander-Stürzer leben gefährlich. Wenn jemand ihn verhindern wolle, „lasse ich die Deichverbände und Kreisjägerschaften anrücken“, sagt der Minister schmunzelnd.
Ortstermin in Dornumersiel, Wahlkreis von CDU-Fraktionsvize Herman Dinkla. Der Küstenstreifen ist eine schwarze Bastion. Dennoch umgarnt Dinkla den FDP-Mann wie einen alten Parteikumpel. Man kennt sich, die Rollen sind verteilt: „Ich gehe davon aus, dass er weitermacht“, sagt Dinkla. „Wär‘ auch gut so.“ Zwar sind auch beim Koalitionspartner CDU viele vom dauernden Remmidemmi um den FDP-Mann genervt. Andererseits wird durch Sanders Lust zur Provokation Ärger auf die Liberalen abgeleitet. Mehr noch: Seine Klientelpolitik hat ihn zum Prellbock der gesamten schwarz-gelben Landesregierung gemacht.
Die Dornumer Honoratioren tragen den Polit-Granden aus Hannover ihre Pläne für die neue Marina vor. „Dornum 2020“ soll sie heißen, 300 Sportboote und Fischerkähne sollen hier ankern können. Kosten: Fast 20 Millionen Euro. Sander raunt Dinkla zu, „sieht so aus, als ob man die nicht alleine lassen kann“. Natürlich so, dass die Dorfleute alles mitbekommen. Das „Treibselmanagement“, mit dem seine SPD-Vorgängerin Monika Griefahn in den 90er Jahren die Deiche von Schutz sauber halten wollte, nennt er „Tinnef“, in Dornumersiel nicken alle. „Danke für die hervorragende Unterstützung“, sagt Bürgermeister Michael Hook (parteilos), als sich der Ministertross in Gang setzt.
Sander findet sich „ehrlich, manchmal zu ehrlich“, die Ökopaxen finden ihn unerträglich. Viele können nicht verstehen, warum er überhaupt noch auf seinem Posten sitzt. Gleich nach Amtsantritt kürzte er Zuschüsse für Umweltverbände, das Landesamt für Ökologie zerschlug er komplett – „zu theorielastig“. In seinem Ministerium degradierte er Experten mit SPD-Parteibuch, holte FDP-Leute rein, Nationalparkverwaltungen besetzte er nach seinem Gusto. Der Berliner Sachverständigenrat für Umweltfragen verbannte Sanders abgespeckte Umweltverwaltung gerade im Bundesvergleich auf den letzten Platz. Die „Umweltweisen“ befanden, Umweltschutz in Niedersachsen sei „bewusst geschwächt“ worden.
Doch für die „Linken“ gibt Sander gern den Buhmann. Seine Leute stehen hinter ihm, über die Parteilager hinweg. Karl-Heinz Funke kommt fast ins Schwärmen. „Der ist kein Opportunist“, sagt Funke, der einst SPD-Landwirtschaftsminister unter Gerhard Schröder in Hannover und Berlin war, bei der Visite im Wasserwerk Harlingerland, heute Funkes Beritt als Vorsteher des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbands. „Und was er zur Jagd sagt“, sagt Funke, „das teile ich sowieso.“