IN DER AMBULANZ
: Angekotzt

Man zeigt die Doku „Sex, Drogen und Wodka – heiße Nächte in Moskau“

Die Tür zur Ambulanz geht immer wieder automatisch auf und zu, wenn sich jemand nähert. Vom Warteraum aus hört man das Geräusch, ein langgezogenes Summen. Zwei Security-Leute patrouillieren im Flur. Rettungsstelle, Urbankrankenhaus, kurz nach zwei samstagmorgens.

M. hatte angerufen, als ich in der Kneipe saß. „Ich hab ’nen Fahrradunfall gehabt, kannst du vielleicht zum Krankenhaus kommen?“ Sie klang etwas aufgelöst. Als ich nun eine halbe Stunde später ankomme, ist M. in Behandlung. Ich ziehe mir einen Kaffee im Wartebereich. Etwa 20 Leute sitzen hier. Verletzte, wartende Angehörige.

Neben mir sitzt ein dicker Mann, schwarze Haare, schwarzer Bart. Daneben seine dicke Freundin. Der Mann hält sich einen mit Blut vollgesogenen Tupfer an die Stirn. Seine Wange ist geschwollen. Er nickt immer wieder weg.

Wenige Meter weiter sitzt eine Gang von Jugendlichen. Drei Jungs, ein Mädchen. „Scheiße, dreckig die Hose“, sagt das magere, schwarz gekleidete Mädchen mit Blick auf ihre löchrige Stoffhose. „Das ist deine Kotze“, sagt sie zu dem Jungen, der neben ihr sitzt. „Du hast mich angekotzt!“

Es vergeht eine Stunde, es vergehen zwei. Über dem Kaffeeautomaten ist ein Bildschirm angebracht, auf dem N24 läuft. Dort zeigt man die Doku „Sex, Drogen und Wodka – heiße Nächte in Moskau“. Ich starre auf den Fernseher. Sehe Aufreißertypen, Motorradgangs, Stangentänzerinnen. „Hast du eine Schlägerei gehabt?“, frage ich irgendwann den Dicken. „Nein, mich hat einer mit dem Fahrrad umgefahren.“ Er gestikuliert wild: „So ist der angerast gekommen, hat mich voll erwischt.“ Er lacht. Seine Freundin auch.

Die Tür geht wieder auf. Diesmal kommt M. raus. Sie hat Blut auf der Nase, humpelt auf mich zu. Auch sie lacht. „Es ist nicht so schlimm“, sagt sie. „Gehen wir gleich noch einen Schnaps trinken?“ Ich nicke. JENS UTHOFF