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Archiv-Artikel

Ostern vor 18 Jahren war auch Sturm Das Mittelalter hört um 18 Uhr auf

VON LEA STREISAND

Der Wind pfeift durch alle Löcher. Die Entlüftungsklappe in der Küche tut, als wär sie eine Kastagnette. Vor meinem Fenster fliegt ein Ei vorbei.

Ostern vor 18 Jahren war auch Sturm. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich da zum ersten Mal auf einem Mittelaltermarkt gearbeitet habe. Ich war 17 und half an einem Stand mit Krimskrams, zusammen mit meiner Freundin Frieda. Der Sturm kam in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag. Sämtliche Verkaufsstände des Marktes klappten zusammen wie Streichholzhäuschen. Ein Baum stürzte auf die Bühne und zerstörte die halbe Technik. Zwei Dixieklos wurden vom Wind einfach umgepustet und ergossen ihren Inhalt über die halbe Festwiese. In der Nähe des Metstandes roch es danach vier Tage lang irritierend nach Chemikalien der Geschmacksrichtung Meeresfrische.

Den halben Karfreitag waren wir mit Trümmerbeseitigung beschäftigt. Dabei mussten wir unsere Kostüme tragen, es sollte ja authentisch sein. Dafür zahlten die Besucher schließlich Eintritt. Hat jemand schon mal versucht, Baumstämme durch Modder zu schleppen? Habt ihr dabei dreilagige bodenlange Baumwollkleider getragen?

Es war die Hölle

Der Modder kriecht in dem Stoff die Beine hoch. Wenn er zu einer Lehmkruste getrocknet ist, gibt es bei jeder Bewegung ein leises Rieseln. Es war die Hölle.

Und es war wunderbar. Der Stand neben uns wurde nämlich von zwei jungen Männern betrieben. Die verkauften gebrannte Mandeln. Ich habe seit Ostern 1997 nie wieder gebrannte Mandeln gegessen. Aber damals schmeckten sie mir noch. „Die sind aber süß!“, sagte ich. „Die Mandeln?“, sagte Frieda. „Die auch“, sagte ich. Der Romeo-und-Julia-Film mit Claire Danes und Leonardo DiCaprio war gerade ins Kino gekommen.

Abends, wenn die Marktbesucher gegangen waren, saßen wir am Lagerfeuer und sangen „Kanonen“, wie Frieda es nannte. Die Mehrzahl von Kanon. Dazu tranken wir Met, der war noch süßer als die Mandeln und zudem mit Alkohol.

„Guck mal, der Komet!“, sagte Frieda. „Guck mal, jetzt sind es zwei Kometen!“, sagte ich. Es war nämlich auch das Jahr, als ein schmutziger Schneeball namens Hale/Bob an der Erde vorbeiflog und wochenlang aussah wie eine bekiffte Riesensternschnuppe, die einfach nicht von der Stelle kam. Was wir uns alles gewünscht haben!

„Frauen, geht mal Holz holen!“, sagte einer von denen, die schon ein paar Tage zu viel auf solchen Märkten verbracht hatten. Ein Tempelritter. Für alle anderen hörte das Mittelalter um 18 Uhr auf.

Die dicksten Eier

Nur die Tempelritter baggerten auch nach Dienstschluss noch jede Frau als „holde Jungfer“ an und hielten das für Flirten. Sie hatten sowieso die dicksten Eier von allen, sie waren die Sheriffs des Marktes. „Am Arsch!“, sagte Frieda. Sie kam kurz danach mit einem der Mandelmänner zusammen. Ich verliebte mich eine Woche später in einen Jungen aus der Parallelklasse. Er hieß Klaus und konnte gut küssen.

Warum ich das erzähle? Keine Ahnung. Es ist zwei Uhr morgens und der Wind rüttelt an den Fensterläden wie ein ausgesperrter Liebhaber. Wahrscheinlich bin ich froh, dass ich heute nicht im Zelt schlafen muss.