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Archiv-Artikel

„Alles lief nur auf effizientes Töten raus“

Agustin Aguayo ist Deserteur des Irak-Krieges. Er kämpft um das Recht auf Gewissensfreiheit

Agustin Aguayo

Geboren: 17. Dezember 1971 in Mexico-Stadt. Beruf: Sanitäter, zur Zeit arbeitslos. Weg: Aguayo meldete sich 2002 zum US-Militär, 2004 wurde seine Einheit in den Irak verlegt. Er stellte Antrag auf Kriegsdienstverweigerung und wurde abgelehnt. Er verpasste am 1. September 2006 absichtlich eine erneute Verlegung in den Irak – und stellte sich am 2. September bei seiner Basis im fränkischen Schweinfurt der US-Militärpolizei. Als ihm angedroht wurde, mit Gewalt in den Irak verfrachtet zu werden, sprang er aus dem Fenster und tauchte für 24 Tage unter. Anschließend stellte er sich dem Militärgericht. Gegenwärtig kämpft er vor dem obersten US-Gerichtshof um seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Kurz vor Weihnachten erhielt Aguayo den Stuttgarter Friedenspreis. Zum taz-Gespräch traf sich Aguayo mit taz-Redakteur Arno Frank kurz vor Weihnachten in Berlin.

INTERVIEW ARNO FRANK - FOTO BERND HARTUNG

Agustin Aguayo war Sanitäter in der US-Army und bereits im Irak, als er von seinem Recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch machen wollte. Das war 2004. Zwei Jahre später entzog er sich der US-Militärpolizei durch einen Sprung aus dem Fenster. Wegen „Fahnenflucht und „unerlaubtem Entfernen von der Truppe“ drohten ihm sieben Jahre Haft, verurteilt wurde er zu acht Monaten, die er in Mannheim absaß.

taz: Herr Aguayo, Sie ziehen nächstes Jahr vor den Obersten Gerichtshof der USA, um sich als Kriegsdienstverweigerer anerkennen zu lassen. Sind Sie ein Feigling?

Agustin Aguayo: Ich glaube nicht. Ich fühle mich nicht so. Und meine Familie – ich habe zwei Töchter – gibt mir auch nicht das Gefühl, ein Verräter oder Feigling zu sein.

Sie lehnen sich auf gegen einen gewaltigen Apparat, die mächtigste Armee der Welt. Sind Sie ein Held?

Wissen Sie, ich komme aus Mexiko. Meine Familie lebte lange illegal in den Vereinigten Staaten. 1998 bekam ich die US-Staatsbürgerschaft und arbeitete für eine Weile in einer Bank. Ich sah die Armee, wie sie uns präsentiert wird: als weites Feld der unbegrenzten Möglichkeiten.

Sie haben sich in Deutschland der US-Militärpolizei gestellt, weil Sie eher in den Knast wollten als wieder zurück in den Irak. Als Ihnen angedroht wurde, zwangsweise versetzt zu werden, sind Sie aus dem Fenster gesprungen und geflohen. Im Affekt?

Ja. Ich wusste nicht genau, wie tief es dort runtergeht. Ich hatte Glück, rollte ab und rannte los.

Sie waren immer noch auf dem Gelände der Militärbasis?

Ja. Am Eingang dort gab es Wachen, von einer privaten Sicherheitsfirma namens Securitas. Aber die Wache schaute in die andere Richtung, also konnte ich hinausspazieren und mich in Luft auflösen.

Was war ihr erster Gedanke, als sie aufhörten zu rennen?

Es war ein Schock. Ich fragte mich: Was hast du da gerade getan? Ich hatte den Drang, sofort zurückzugehen, mich der Militärpolizei zu stellen und wie ein bockiges Kind zu erklären, dass ich mich hier einfach nicht mehr wegrühren werde. Zum Glück konnte ich diesem Drang widerstehen und blieb auf der Flucht.

Überdurchschnittlich viele US-Soldaten haben einen lateinamerikanischen Hintergrund. Wussten Sie denn nicht, worauf Sie sich da einlassen?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin katholisch erzogen und war lange Zeit sehr religiös. Ich habe jung geheiratet, mit 19, das ist bei uns Lateinamerikanern so Tradition. Nach der High School sah ich, wie viele Leute mit besserer Ausbildung vorankamen. Ich wollte mein Leben und das meiner Familie auch verbessern, also ging ich auf eine Abendschule, wo teilweise auch nachts unterrichtet wurde. Es stellte sich heraus, dass das ziemlich schwierig war. Was ich von der Armee wollte, war Unterstützung bei meiner Ausbildung.

Also Geld?

Ja, auch. Bei der Armee rücken alle Träume plötzlich in Reichweite. So wird es dargestellt. In der Wirklichkeit ist es ganz anders. Als ich rekrutiert wurde, hieß es, ich könne noch während meiner Zeit bei der Armee nebenbei College-Kurse belegen. In den USA können Universität oder College ganz schön ins Geld gehen. Also bieten sie dir in der Armee ein Programm an, bei dem du über das Internet Kurse belegen und online mit Professoren kommunizieren kannst.

Ein Fernstudium „im Felde“, sozusagen.

Genau. Sie stellen, hieß es, dir sogar einen Laptop hin, damit du das machen kannst. Und alles, was du machen musst, ist ein Semester hinter dich bringen – und der Computer gehört dir! Aber als ich nach Deutschland kam und damit anfangen wollte, hieß es plötzlich: Oh, das Programm bieten wir hier nicht an, das gilt nur für die Staaten!

Daher heißt es ja auch Armee, nicht Universität.

Und ich habe das akzeptiert! Klar, bei der Armee läuft es eben nicht immer so, wie du es dir wünscht. Damit konnte ich leben. Aber es kam etwas anderes hinzu, nämlich meine Abneigung gegen das Töten. Allein das Training zeigte mir schon, wie brutal es da zugeht – und dass ich Menschen töten muss.

Deshalb haben Sie sich entschieden, Sanitäter zu werden?

Ich wollte einen positiven Beitrag leisten. Ich wollte etwas lernen, von dem ich auch nach meiner Militärzeit etwas gehabt hätte. Aber alles lief nur auf das effiziente Töten hinaus. Das hatte ich nie im Sinn, und deswegen hatte ich mich immer geweigert, meine Waffe zu laden.

Bevor Sie in den Irak verlegt wurden?

Ja, und als ich da war, habe ich sofort den Papierkram erledigt, damit ich als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werde. Das war ein schwieriger und langer Prozess, vor allem, wenn man sich innerhalb des Apparats befinden. Mein Ersuchen wurde abgelehnt. Gleichzeitig lehrten mich meine Erfahrungen im Irak, dass ich nicht dorthin zurückkehren wollte.

Waren Sie auch im Kampfeinsatz?

Ich war auf Patrouille, draußen auf den Straßen, aber nie in einem Gefecht. Glücklicherweise.

Sie hätten auch Drogen nehmen oder sich betrunken beim Autofahren erwischen lassen können. Das tun die meisten Soldaten, wenn sie aus der Armee entlassen werden wollen. Wieso haben Sie sich entschieden, diese Sache aufrecht durchzufechten?

Viele meiner Kameraden im Irak waren depressiv, einige nahmen tatsächlich Drogen, ich sah das. Meine erste Begründung aber war, dass ich wegen meines Gewissens nicht mehr kämpfen will, dass ich ein moralischer Mensch bin.

Und?

Sie haben mir das nicht abgenommen. Aber da kann ich mich ja nicht umdrehen, mich mit Drogen erwischen lassen und mich so davonstehlen. Was wäre ich dann für ein Typ? Wie stünde ich denn dann vor meinen Töchtern da?

Haben Sie Bush gewählt? Warum lachen Sie jetzt?

Weil ich mich nie für politische Prozesse interessiert habe. Ich wollte nur meinem Land dienen, meine Ausbildung hinter mich bringen und weiter mein Leben leben. Gewählt habe ich erst, als ich beim Militär war.

Also, was war mit Bush? He, Sie lachen ja schon wieder! Warum weichen Sie der Frage aus?

Weil ich sehr vorsichtig sein muss. Da ist immerhin noch ein Verfahren anhängig, viele Leute unterstützen mich...

Hat der 11. September Sie denn beeindruckt?

Natürlich.

Viele zuvor unpolitische Amerikaner sind durch dieses Ereignis zu wehrhaften Patrioten geworden.

Ich war gerade im Auto unterwegs zum College und hörte Radio, irgendeinen spanischsprachigen Musiksender, und die Moderatorin sagte sinngemäß: Das war schrecklich, aber es wird nicht dadurch wieder gut, indem wir nun irgendwen angreifen. Am Tag der Attacke! Damit konnte ich mich identifizieren.

Inwiefern hat Sie Ihr Aufenthalt in Deutschland beeinflusst, einem Land, das den Krieg ablehnt?

Enorm! Logisch! In Deutschland erlebte ich zum ersten Mal, dass Medien neutral und gewissenhaft berichten. In den USA sorgen die Medien dafür, dass nichts Schlimmes oder Entscheidendes uns wirklich erreicht. Da war es zwar eine Meldung, dass al-Sarkawi erwischt wurde. Aber was täglich im Irak passiert, das ganze Gemetzel, das wird von uns ferngehalten. Statt dessen konzentriert sich dieser mächtige Medienapparat ausschließlich auf Triviales.

Darauf, was Britney Spears heute für ein Kleidchen trägt?

Oder nicht trägt, genau!

Sind Sie in den Medien angegriffen oder beschimpft worden?

Einmal, als C-Span einen Bericht über meinen Fall gebracht hat ...

Der öffentliche Sender, der ausschließlich über den Regierungsprozess berichtet.

... da bekam ich zwei Hass-Mails. Gewöhnlich sind die Leute nett zu mir. Auch die Soldaten, die ich kenne, respektieren mich. Ich kenne ja nun einige Leute, und niemand hält mich für einen Verräter. Aber ich kenne Leute, die einen ähnlichen Weg gegangen sind wie ich – und deren Familien jeden Kontakt abgebrochen haben. Ich bin in dieser Hinsicht gesegnet.

Ihr Fall wird 2008 vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt, und er könnte, wenn Sie gewinnen, von einiger politischer Tragweite sein.

Der Supreme Court verhandelt nur sehr wenige Fälle im Jahr. Ich glaube nicht, dass mein Fall in Amerika viel Aufmerksamkeit erregen wird. Einfach, weil sich die Medien so wenig darum scheren. Wenn ich gewinne, dann vielleicht.

Werden Sie gewinnen?

Ich weiß es nicht. Gewinnen, das wäre eine feine Sache. Ich glaube aber: Auch wenn ich nicht gewinne, werde ich gewonnen haben – in meinem Herzen. Weil ich getan habe, was richtig war. Als ich zur Armee gegangen bin, habe ich nicht gedacht, dass ich irgendwann in einer Zelle sitzen würde. Ich habe vielleicht wirklich nach einer Art Familie gesucht, nach einer Form von Akzeptanz. Das alles habe ich tatsächlich gefunden – außerhalb des Militärs, ironischerweise: bei all den Leuten, die mich und meine Entscheidung unterstützen.

Was werden Sie nach dem Urteil tun?

Ich möchte gerne Lehrer werden, im Januar beginne ich meine Ausbildung.

Gibt es etwas, das Sie bedauern?

Naja, es war schon seltsam: In der Armee ist man gefangen, alles ist rigide, streng und unter Kontrolle. Aber sobald man diese Welt hinter sich gelassen hat, steht man da und weiß nicht, was man mit all dieser Freiheit anfangen soll!

Werden die Präsidentschaftswahlen etwas ändern?

Wow, puh. Ich weiß es nicht. Ich glaube es nicht. Wir gehen in die falsche Richtung, seit Ewigkeiten. Wir müssen umkehren. Wir brauchen Veränderungen. Aber das ist sehr schwer, und ich weiß nicht, ob ein politischer Richtungswechsel ausreicht.

Worauf setzen Sie denn Ihre Hoffnungen für 2008?

Wir brauchen eine Veränderung auf ganz anderem Level.

Clinton? Obama? Kann ich Ihnen einen Namen entlocken?

Nein. Weil es keinen Namen gibt und niemandem hilft. Der Wechsel, den ich mir wünschen würde, ist nicht an einer Person festzumachen.

Sondern?

Sondern spiritueller Natur.