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Archiv-Artikel

Zweihundertfünfzig Milliliter Heimeligkeit

BIO Der kleine Kreuzberger Betrieb Proviant Smoothies verkauft püriertes Bioobst in kleinen Flaschen. Das Geschäft mit den bunten Smoothies läuft hervorragend. Es ist auch ein Geschäft mit der Sehnsucht der Kunden nach etwas Handgemachtem

„Wir kennen alle Betriebe, die für unsere Zulieferer arbeiten“

Paul Löhndorf, Geschäftsführer

VON ANNA KLÖPPER

Die Geschichte, die Paul Löhndorf erzählt, klingt ein bisschen wie ein Märchen: 2008 beschließen drei junge Männer, ein Café aufzumachen. Ein Sozialarbeiter mit wenig Geld, aber dem Wunsch, sich finanziell zu verbessern, ein ausgebrannter Unternehmensberater und ein gelernter Koch, den es nach ein paar Jahren in Australien wieder in die Heimat zieht. Das mit dem Café geht schief, doch Rettung naht in Gestalt von püriertem Obst. „Smoothie“ nennt sich das Obst in Flaschen. Was man in Großbritannien und den USA schon länger kennt, verkaufen die drei Studienfreunde im Sommer 2008 mit einigem Erfolg auf dem Karneval der Kulturen und beim Bergmannstraßenfest. „Dann haben wir uns gesagt: Lassen wir das mit dem Café und machen eben nur noch Smoothies“, erzählt Löhndorf, heute einer der drei Geschäftsführer des kleinen Kreuzberger Betriebs Proviant Smoothies.

Mit kleinem Startkapital fangen die drei in einer spartanischen Versuchsküche am Paul-Lincke-Ufer an. Man entscheidet, ausschließlich Bioprodukte zu verarbeiten. Natürlich und authentisch will Löhndorf das Produkt vom Kunden verstanden wissen: „Außer Obst ist da nichts drin – weder Zucker noch Zusatzstoffe“, versichert er. Zunächst liefert man nur an eine Handvoll Biocafés, dann kommen Biosupermärkte hinzu. Mittlerweile werden ein Naturkost-Großhandel, Firmen, auch eine Handvoll herkömmliche Supermärkte in Berlin beliefert. Die kleine Küche am Landwehrkanal wird schnell zu eng: Heute sitzt das Unternehmen mit mittlerweile zehn Festangestellten in der Zossener Straße, die Produktion läuft auf 500 Quadratmetern. 500.000 Flaschen Smoothies habe man im laufenden Jahr verkauft, sagt Löhndorf. Tendenz für 2012: steigend.

Das kleine Gründermärchen passt perfekt zum rundum durchgestylten Produktkonzept, das der Betriebswirt Löhndorf und seine Co-Gründer Tom Wrobel und Jan Pilhofer Anfang 2009 auf den Markt gebracht haben. „Kreuzbeere“ oder „Grashüpfer“ heißen die Proviant Smoothies, „Liebesgruß“ oder „Bio-Treibstoff“, sie sind rot und grün, gelb und orange. Die Namen klingen, die Farben wirken und niedlich sehen sie auch aus, die knuffigen Flaschen mit dem Etikett im Retro-Design: „Handgemacht“ steht darauf in verschnörkelter Schreibschrift, ein Hausfrauen-Prototyp strahlt den Kunden mit Zahnpasta-Lächeln an. Das Biosiegel prangt gleich daneben.

Gestreckt wird in Maßen

Das Bild des Selbstgemacht-Natürlichen, „heimelig wie bei Mutti“, sei ihm wichtig, betont Löhndorf – auch wenn die Mutti-Rhetorik nicht bei allen gut ankommt: „Meine Eltern sind Alt-68er, die sind mir aufs Dach gestiegen, als sie die Etiketten gesehen haben.“ Doch bei der Post-68-Generation lässt sich mit Heile-Biowelt-Sehnsucht offenbar Geld verdienen. Rund 2,50 Euro pro 250 Milliliter-Flasche geben Löhndorfs Kunden für einen Pfirsich-Maracuja- oder Erdbeer-Bananen-Mix aus. Der Preis relativiere sich aber, so Löhndorf, wenn man mal einen Blick in die Supermarktregale werfe: „Die Biorohstoffe sind etwa 20 Prozent teurer als herkömmliche Ware. Trotzdem kostet unser Smoothie im Laden nicht mehr als ein Nicht-Bio-Produkt.“ Zudem strecke man die Smoothies nicht, bis alles nur noch nach Apfelmus oder Orangensaft schmecke: „Im Mango-Maracuja-Smoothie ist Mango tatsächlich auch die erste Zutat.“

Auf der Suche nach der „Proviant-Mutti“, wie Paul Löhndorf das adrette Label-Gesicht nennt, trifft man Gudrun. Die Frau, die bei Proviant Smoothies in der Küche steht und mit drei riesigen 220-Liter-Bottichen hantiert, hat allerdings weder Fönfrisur noch Zahnpastalächeln und ist auch keine Hausfrau, sondern Chemieingenieurin. Rund eine Tonne Obst verarbeitet sie jeden Tag an langen Edelstahltischen. An Gudruns Seite: Entsafter, Pürierstäbe, Rührwerke und ein Rechner, der ihr anhand von Excel-Tabellen vorgibt, wie viel von was in welchen Bottich kommt. Und die flotte Lotte. In dem Gerät mit dem sprechenden Namen wird etwa das Beerenobst passiert – heute waren es wohl vor allem Erdbeeren, der süßliche Duft hängt noch in der Küche.

Der Eindruck, den die Proviant-Website suggeriert, der Chef pule hier noch persönlich die Kerne aus den Kiwis, täuscht dann aber doch. Etwa die Hälfte des Obstes kommt bereits vorverarbeitet in der Smoothie-Manufaktur an. „Großer Berg Obst links, fertiger Smoothie rechts – bei der Größe, die wir mittlerweile haben, können wir das schlicht nicht mehr leisten“, sagt Löhndorf. Der Apfelsaft kommt nun aus einer Zossener Kelterei, auch der Orangensaft ist schon fertig. Bananen und Kiwis werden vorverarbeitet als tiefgefrorenes Püree angeliefert: „Da spielt aber weniger die Menge eine Rolle, als dass wir beim Rohprodukt weniger gut eine gleichbleibende Qualität gewährleisten können als beim fertigen Püree.“ Mal seien etwa die Bananen zu grün gewesen, dann wieder überreif.

Dass von der Zubereitung bis zur Etikettierung der Flaschen alles in der eigenen Produktion in der Zossener Straße passiert, darauf ist man bei Proviant stolz. Und auf die Transparenz, die man den Kunden mit einer sorgfältigen Einkaufspolitik verspricht: „Wir kennen alle Betriebe, die für unsere Zulieferer arbeiten. Anonyme Kontingentmengen kaufen wir nicht“, sagt Löhndorf. Was sich nun auch beim jüngsten Bioskandal um umdeklarierte italienische Ware als großer Vorteil erwies, sagt Matthias Pflug, bei Proviant für die Kundenbetreuung zuständig: „Der Naturkost-Großhändler, über den wir unsere Smoothies unter anderem vertreiben, wollte wissen, woher wir unsere Waren beziehen. Wir konnten ihm genau sagen, woher jeder Rohstoff kam.“

Die Produktion läuft bei Proviant Smoothies mittlerweile über zwei Stockwerke verteilt. Von der Küche geht es hoch in den fünften Stock, hier wird der rohe Fruchtbrei durch kurzes Erhitzen im Pasteur haltbar gemacht, dann auf Flaschen gezogen und schließlich in Kisten gepackt. Zwischen Kühllager und Euro-Paletten befindet sich das Reich von Manufakturleiter Marcus, Mitarbeiter David und Praktikant Mike. Sie bedienen auch die halbautomatische Abfüllanlage – nur noch der Deckel muss aufgelegt werden, alles andere macht die Maschine.

Da ist die Realität natürlich ein Stück weit weg von den romantischen Etiketten. Gleichzeitig verdeutlicht es die Crux des lukrativen Geschäfts mit Produkten, auf denen „handgemacht“ oder „Bio“ steht: Wer den Markt bedienen und wachsen will, greift irgendwann wieder auf effiziente Produktionsweisen zurück – und die sind industriell. Ein Weg, den Löhndorf mit seiner Firma nicht gehen will: „Die Treue zum Biofachhandel ist uns wichtig, die gleiche Marke billiger im Supermarkt anbieten wollen wir nicht.“

Deshalb wird aus dem Proviant Smoothie in den Regalen der wenigen traditionellen Supermärkte, die man in Berlin beliefert, auch „Fruchtwerk“. Der Name ist anders, das Etikett ein bisschen simpler, das Produkt ist das gleiche, der Preis in etwa auch. „Die Biomärkte sehen es nicht gerne, wenn eine Marke aus ihren Regalen auch in herkömmlichen Supermärkten angeboten wird“, erläutert Löhndorf. Und schon gar nicht zum günstigeren Preis. Das Biogeschäft lebt eben auch vor allem von den Assoziationen der Käufer mit der Marke Bio. Die darf man nicht verspielen. Werde dann in den Supermärkten das gleiche Produkt billiger als im Biomarkt verkauft, mache das den Biohandel kaputt, meint Löhndorf.

Etwas Exotik muss sein

Bioingwer von afrikanischen Plantagen, Südfrüchte aus Übersee – wäre es da nicht ökologisch konsequenter, ein paar konventionell produzierte Quitten aus dem nahen Brandenburg für den Liebesgruß-Smoothie oder das Kraftpaket zu verarbeiten? „Die saisonale Sortenvielfalt nutzen wir schon, wo es geht, und beziehen zum Beispiel Äpfel oder Erdbeeren von Lieferanten aus der Region“, sagt Matthias Pflug. Ganz auf Südfrüchte verzichten wolle man aber nicht, meint er. Denn dafür gebe das heimische Obstangebot zu wenig an Abwechslung her.

Löhndorf scheint die Geschmacksnerven seiner Kunden jedenfalls recht zuverlässig zu treffen. Die Liste der Unternehmen, Hotels oder Fachmessen, die die bunten Fläschchen für ihre Kantine ordern, ist lang. Sogar im Deutschen Bundestag gibt es das Flaschenobst aus Kreuzberg. Die Firmen bekämen auf Wunsch auch personalisierte Etiketten mit ihrem Firmenlogo darauf. Die Geschichte zum Produkt gehe dann in etwa „von der Smoothiemanufaktur in deine Hand“, sagt Löhndorf und lächelt. Es ist eine Geschichte, die offenbar ankommt.

www.echtesmoothies.de