piwik no script img

EIFRIGER ZEITUNGSLESERJunge in Café

Als er lächelte, sah ich die Zahnspange in seinem Mund

In Cafés sitzen in der Regel erwachsene Menschen, die das machen, was erwachsene Menschen in Cafés so machen: Kaffee trinken, Kuchen essen, reden, Zeitung lesen. Kinder sieht man in Cafés natürlich auch – in Begleitung ihrer Erzeuger oder Erziehungsberechtigten. Ein Kind aber, das sich allein in einem Café vergnügt, habe ich noch nicht gesehen. Die Osterferien hatten schon begonnen, viele Eltern waren mit ihrem Nachwuchs weggefahren aus der Stadt. Aber nicht alle Schulpflichtigen hatten Berlin den Rücken gekehrt. Am frühen Nachmittag betrat ein etwa 12-jähriger Junge das Café in Friedrichshain, in dem ich arbeitete. Er nahm an einem der hohen Tische Platz, an denen man auf schwarzen Hockern sitzt, und bestellte einen frisch gepressten Orangensaft. Dann nahm er mit der größten Selbstverständlichkeit eine Berliner Tageszeitung und vertiefte sich in die Lektüre. Gründlich las er viele Seiten, alle Artikel von oben nach unten, Ausland, Inland und sogar den Wirtschaftsteil.

Ich konnte es kaum glauben und musste immer wieder hinschauen zu dem Jungen, der so tat, als sei es das Natürlichste der Welt, dass sich Kinder in diesem Alter auf diese Art informieren. Ab und an nur schaute er auf das Smartphone, das neben ihm lag. Meine Begeisterung war so groß, dass ich irgendwann nicht mehr an mich halten konnte und den Jungen ansprach. Ich fragte ihn, wie es komme, dass er so viel Freude am Zeitungslesen habe. Überrascht schaute er mich aus großen Augen unter seinen schön gescheitelten Haaren an und sagte, dass es an seiner Schule den Tagesspiegel kostenlos gebe. Hm, so richtig überzeugte mich das noch nicht. „Ach ja“, erwiderte ich. Als er lächelte, sah ich die Zahnspange in seinem Mund. Ich fragte ihn nach seinem Alter und erfuhr, dass der kleine Zeitungsleser 13 Jahre jung war und am liebsten die FAZ und den Spiegel liest. BARBARA BOLLWAHN

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen