Es ist nicht leicht, eine Feder zu werden

FILMREIHE Alfilm präsentiert neue und ältere Filme aus arabischen Ländern. Die Verwerfungen, die der Krieg in Syrien bedingt, spielen dabei immer wieder eine Rolle, besonders bei den Filmen aus dem Libanon

Die Prognosen von Vater und Tochter gehen weit auseinander. Hier Zuversicht, da Alarm

VON CAROLIN WEIDNER

Ein Dialog aus dem Dokumentarfilm „Home Sweet Home“ (Libanon/Frankreich 2014), er findet statt zwischen Nadine Naous, Regisseurin, und ihrem Vater, einem Schuldirektor in Beirut, dessen Schule vor dem Bankrott steht: „Hier im Libanon sind wir durch verschiedene Episoden gegangen, bestimmte Umstände mit bestimmten Menschen als Machthabern. Aber am Ende hat sich immer alles auf einem normalen Level eingependelt. Jetzt hoffe ich, dass sich die Dinge verbessern.“ – „Aber Vater, es wird doch immer schlimmer!“ – „Es dauert dieses Mal eben länger. Aber ich habe Hoffnung. Ich hoffe, dass sich die Dinge verändern und wieder normal werden.“

Nadine Naous macht das Reden ihres Vaters Mustapha ratlos, bisweilen auch wütend. Das Gespräch reißt trotzdem nicht ab. „Home Sweet Home“ erzählt von einer Filmemacherin, die in Paris lebt, aber aus dem Libanon stammt. „In Paris bin ich immer nostalgisch. In Beirut kann ich es nicht erwarten, wieder abzureisen“, sagt sie. „Home Sweet Home“ ist ein intimer Film, durchsetzt von empfindsamen, schwarzweißen Animationen. Natürlich ist dem privaten Gespräch auch eine Sachebene immanent. Sie beschreibt den Herzschlag eines Landes, das nicht zur Ruhe kommt. Die Prognosen von Vater und Tochter gehen dabei weit auseinander. Hier Zuversicht, da Alarm.

„Home Sweet Home“ ist nicht der einzige Film im Programm von Alfilm, dem Arabischen Filmfestival, das mit seiner 6. Ausgabe zwischen dem 8. und dem 15. April in Berlin läuft, in dem ein Blick von „außen“ ein diffuses „Innen“ offensichtlich macht, ein Innen, das chaotisch ist, bisweilen auch schrecklich und, wie in „Home Sweet Home“, dennoch hoffend. Möglich wird die Sichtbarmachung jener Perspektive unter anderem durch das Internet. Erwachsene Kinder, die im Ausland leben, halten mit ihren Eltern via Skype Kontakt.

Ein besonders eindringliches Beispiel hierfür ist der Dokumentarfilm „Haunted/Maskoon“ (Syrien 2014) von Liwaa Yazji. Dass es Yazjis erster Film ist, macht ihn umso bemerkenswerter. „Haunted“ ist eine lose Aneinanderreihung von Sequenzen äußerst diverser Qualität. Er eröffnet zum Beispiel mit Bildern einer Kamera, die wohl in einem Handy sitzt und die ein Wohnhaus bei Nacht abfährt. Einige Räume sind beleuchtet, andere nicht. Von diesen Bildern geht keine Ruhe aus, sondern Stress. Und Stress ist auch das Grundgefühl des Films. Ein existenzieller Stress. Denn „Haunted“ ist eine filmische Zusammenführung von Menschen, die kurz vor der Flucht aus Syrien stehen oder bereits geflüchtet sind. Menschen, die mittlerweile in Beirut „angekommen“ sind und nicht wissen, wie es nun weitergehen soll.

„Haunted“ liefert Zeugenschaft von zerstörten Häusern, zeigt Personen beim Packen von Kisten und hinter immerwährend heruntergelassenen Jalousien. Vieles von dem, was die Menschen berichten, ist schmerzlich. Berührend etwa die Aufnahme einer jungen Frau, die in einem provisorischen Zeltlager irgendwo zwischen Damaskus und Beirut festsitzt und über die hygienischen Verhältnisse klagt. Früher ging es ihnen gut, nun ist es, als seien sie „andere Menschen geworden“. Eine andere Frau sagt während eines Skype-Gesprächs: „Es ist nicht leicht, alles hinter sich zu lassen und eine Feder im Wind zu werden.“ Am anderen Ende der Leitung sitzt der Sohn oder die Tochter und filmt die bedrückende Konversation vom Bildschirm ab. Die Eltern scheinen eingekesselt im syrischen Krisengebiet, hadernd, ob sie flüchten sollen oder nicht.

Um die Beziehung zur eigenen Familie, die gleichzeitig eine Beobachtung aus einer anderen Welt ist, ging es auch in Sara Ishaqs Film „The Mulberry House“ von 2013. Hier machte sich Ishaq, die mit siebzehn Jahren nach Schottland ausgewandert war, um die Zeit des Arabischen Frühlings auf den Weg zu ihren Eltern in den Jemen. „The Mulberry House“ ist Dokument dieser Rückkehr. Die Regisseurin ist am Samstag, den 11. April, im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in einer Diskussion mit Mareike Transfeld und Beyhan Sentürk zu erleben.

Neben den Filmen der Regisseurinnen Naous und Yazji zeigt Alfilm auch eine Retrospektive, die eine Hommage an die ägyptische Schauspielerin Yousra ist. Seit 1977 hat diese in über achtzig Filmen mitgespielt, das Festivalprogramm nennt sie eine „Ikone des arabischen Kinos“. Insgesamt sieben Filme werden von Alfilm präsentiert. Die Auswahl konzentriert sich dabei auf Yousras Präsenz in eher progressiven Filmen, wie „Mercedes“ (Ägypten/Frankreich 1993) von Yousri Nasrallah, der die ägyptische Oberschicht porträtiert. In ihm ist Yousra mit einer Doppelrolle besetzt. Ein Zustand, den die Figur mit vielen jungen Frauen im Programm von Alfilm zu teilen scheint.

■ Alfilm. 6. Arabisches Filmfestival Berlin: 8.–15. April, verschiedene Kinos, Programm siehe www.alfilm.de/programm/