: Italien wegen Polizeigewalt verurteilt
MENSCHENRECHTE Gerichtshof stuft den Polizeieinsatz während des G-8-Gipfels 2001 in Genua als Folter ein
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am Dienstag wegen der Polizeiübergriffe während des G-8-Gipfels in Genua 2001 den italienischen Staat zur Schadenersatzzahlung von 45.000 Euro an ein Opfer verurteilt. Das Gericht stufte die Übergriffe als Folter ein.
Konkret ging es um den Sturm von 300 Polizisten auf die Scuola Diaz, eine Schule, in der damals mehrere Hundert Gipfelgegner nächtigten. Die Attacke bildete den blutigen Schlusspunkt der schon blutigen Gipfeltage, die mit dem von einem Carabiniere erschossenen Carlo Giuliani, mit Hunderten verletzten Demonstranten und Hunderten oft willkürlichen Festnahmen eine Orgie der Gewalt gegen die G-8-Kritiker gesehen hatten.
Vor dem EGMR in Straßburg hatte der damals 61-jährige Arnaldo Cestaro geklagt, der wie die meisten in der Schule einquartierten Protestierer im Schlaf überrascht und dann – so das Urteil – „grundlos“ zusammengeschlagen und -getreten wurde. Cestaro trug Knochenbrüche davon und leidet noch heute unter den Folgen.
Die Richter bemängeln, dass die uniformierten Täter nie identifiziert und zur Rechenschaft gezogen wurden. Der in Genua durchgeführte Prozess zum Sturm auf die Schule hatte nur gut 20 Beamte in höheren Positionen auf der Anlagebank gesehen, die zu meist milden Strafen verurteilt wurden und bis auf wenige ihre Polizeikarriere fortsetzen konnten. Zugleich hatte Italiens Polizei alles getan, um eine Identifizierung der Schläger zu verhindern – so wurden der Staatsanwaltschaft etwa 20 Jahre alte Dienstfotos der beteiligten Beamten übermittelt.
Der EGMR rügt, dass Italiens Strafrecht keine Handhabe bietet, um solche staatlichen Übergriffe als Folter zu verfolgen, sondern sie nur unter Körperverletzung klassifiziert. Im abgeurteilten Fall habe jedoch eindeutig ein Fall nach Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgelegen, in dem es heißt: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Diese Gesetzeslücke war auch schon den Genueser Richtern aufgefallen, die einen anderen Fall rund um den G-8-Gipfel zu beurteilen hatten: die unmenschliche Behandlung Festgenommener in einer Polizeikaserne. Nach dem EGMR-Urteil will Italiens Parlament jetzt die Beratungen über ein seit zwei Jahren vorliegendes Anti-Folter-Gesetz wieder aufnehmen.