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Archiv-Artikel

Bei Grufties zu Hause

NETSOAP „Engel mit nur einem Flügel“ ist eine computeranimierte Gothic-Trash-Seifenoper aus Bremen, deren Folgen monatlich ins Netz gestellt werden

Ein Vorbild von EMNEF ist natürlich die Serie „Addams Family“ von Charles Addams über das glückliche Familienleben von Horrorfiguren

VON WILFRIED HIPPEN

Der Horror ist rosa. Schön ist die neue Wohnung einer Wohngemeinschaft von fünf Grufties und einem Black Metaller (wobei die feinen Unterschiede für Nicht-Initiierte kaum zu erkennen sind) nur in völliger Dunkelheit. Auch wenn sie sich ständig an etwas oder jemandem stoßen, würden sie auf das Licht gerne verzichten, und als sie es dann doch anschalten, ist die Wand rosa gestrichen und die Freunde geraten in Panik. So beginnt die Animationsserie „Engel mit nur einem Flügel“, die Andreas Keil zusammen mit Kim Schirbke und ein paar Freunden geschrieben und am Computer animiert hat.

In dieser ersten Sequenz wird auch stilistisch eine Marke gesetzt, denn von den sechs Protagonisten sind im Dunkeln lange nur die Augen zu sehen. Bei Licht betrachtet wird dann schnell deutlich, dass diese Sparsamkeit auf der Bildebene Programm ist. Die Figuren werden so minimalistisch wie nur irgend möglich animiert. Wenn sie sprechen, wackeln jeweils halbwegs synchron ihre Köpfe mit, statt mit Beinen zu laufen haben sie die runden Sockel von Spielfiguren, mit deren zugartigen Bewegungen sie sich auf dem Schachbrettmuster des Fußbodens bewegen, und auf eine Mimik wurde ganz verzichtet. Die Gesichter bestehen fast vollständig aus Knollennasen – oder besser: einer Knollennase, denn alle Figuren haben identische Köpfe und die verschiedenen Persönlichkeiten werden durch unterschiedliche Frisuren und Kleidung deutlich. Wie jeder Minimalismus ist auch dieser den ärmlichen Produktionsbedingungen geschuldet. Aus einer Idee beim Bier in einer Viertelkneipe entwickelte der Comicmacher und Musiker Adrian Keil das Konzept einer Serie, mit der man sich im Stil einer Seifenoper über die Marotten der Gruftie-Community lustig machen konnte. Sein neues 3D-Animationsprogamm sollte ausprobiert werden, alle würden nebenbei in ihrer Freizeit mitarbeiten und man rechnete mit nicht mehr als 10 Monaten Produktionszeit. Es dauerte dann aber drei Jahre, und dabei wurde bald solch zeitaufwendiger Fitzelkram wie synchron sprechende Lippen oder laufende Füße durch stilistisch radikale Lösungen eingespart.

Da sie aber nicht kaschiert, sondern eher ausgestellt werden (wenn die Figuren sitzen, kippen ihre Beinsockel mit in die Schräge), steigern diese Beschränkungen eher noch den trashigen Reiz der Serie. Bei den Persönlichkeiten der Protagonisten wurden verschiedene Fraktionen der Gruftie-Szene und Eigenschaften von Freunden der Filmemacher verwurstet. So gibt es eine Nymphomanin, einen Schwulen, eine Depressive und einen Waffennarren. Während der Homosexuelle nur möglichst tuntig redet und sich ständig über die vermeintliche Schwulenfeindlichkeit der anderen beschwert, ist den Machern zu anderen Figuren mehr eingefallen. So erschießt der Waffennarr ständig andere Figuren, wodurch die Serie schnell entvölkert würde, wenn nicht seit der Folge „Frankensteins Monster“ die Toten mit Steckdose und Kabel wiedererweckt werden könnten. Ein versehentlich erschossener rosa Bademantel wird als Gespenst zum erstaunlich ungruseligen Mitbewohner der Wohngemeinschaft und als Running Gag der Serie gehen zwei immer auf die Toilette, „um sich zu ritzen“. In einer Folge stirbt ein Protagonist und trifft im Zwischenreich (das auch nicht viel anders als das WG-Wohnzimmer aussieht) auf den Tod, mit dem er ein Gespräch unter Kumpeln führt. In der besten Folge geht die versammelte WG einkaufen und veranstaltet dabei einen Amoklauf im „Bruttomarkt“ im Steintorviertel. Dieser wird dann zwar nur in den Fernsehnachrichten nacherzählt, ist aber als fast einziger lokaler Bezug der Serie willkommen und komisch.

Ein Vorbild von EMNEF ist natürlich die Serie „Addams Family“ von Charles Addams über das glückliche Familienleben von Horrorfiguren. Dessen Prinzip der spiegelverkehrten Normalität wird in der Dezember-Ausgabe der Serie am konsequentesten durchgespielt, wenn der Weihnachtsmann erlegt wird und auf dem Wunschzettel die Apokalypse steht.

Die zwölf Folgen der Serie werden monatlich auf der Website www.emnef.de ins Netz gestellt.