: Auf dem Kamm der Welle
GONZO-IKONE Er nahm jede Droge, stürzte ab, stand wieder auf. Seine kompromisslosen Texte stehen für eine ganz neue Form subjektiven Erzählens. Nun sind ein Comic und die Interviews mit Hunter S. Thompson erschienen
VON FRANK SCHÄFER
Ich hatte ein paar Augenblicke, in denen ich mir wünschte, ich hätte niemals angefangen, mich auf Drogen einzulassen, aber ich bereue es nicht. Ich hatte gelegentlich einige Schwierigkeiten damit, aber das ist unvermeidlich. So sehe ich das: Wenn es Gedrucktes hervorbringt, dann muss es richtig sein“, sagt Hunter S. Thompson (1937–2005) zwei Jahre vor seinem Selbstmord in einem Interview. „Es gibt Irrsinn, der funktioniert, und es gibt das Gegenteil davon.“
Die Droge war ihm nie mehr als ein Treibstoff, der die Imaginationsmaschine auf höhere Drehzahlen bringt, und in seinen besten Reportagen (auf deutsch in: „Die große Haifischjagd“) und in seinem Roman „Angst und Schrecken in Las Vegas“ erreicht sie beachtliche Umdrehungen. Zugleich hat er sich immer gegen die Selbsttäuschungen vieler Generationsgenossen verwahrt, die LSD als Religionsersatz betrachteten und annahmen, „für drei Dollar den Kick, Frieden und Verständnis kaufen zu können“. „Das war der fatale Fehler an Tim Learys Trip“, wettert er im „Vegas“-Roman. „Er tobte durch Amerika und verhökerte ‚Bewusstseinserweiterung‘, ohne je einen Gedanken an die grimmigen Fleischerhaken-Realitäten zu verschwenden, die auf alle Leute lauerten, die ihn zu ernst nahmen.“
Ein gutes Jahrzehnt hat solcherart Kreativdoping bei ihm grandios funktioniert, aber bereits in den späten Siebzigern wurde das Schreiben immer mehr zu einem zähen Ringen, mussten die Redakteure und Lektoren ihm längere Riemen geradezu abtrotzen oder selbst Hand mit anlegen, wie es Alan Ritzler moniert, in seinem beinahe schon ehrabschneidenden Vorwort zur gerade erschienenen „grafischen Biografie“.
Der Comic hangelt sich solide an Thompsons Vita entlang. Der frühe Tod des Vaters. Die ersten journalistischen Versuche als Reporter in der U.S. Army. Die Wanderjahre mit Zeitungsjobs in Puerto Rico, Kalifornien etc. Die Zeit als teilnehmender Beobachter der Hell’s Angel, die ihm seinen ersten Bestsellererfolg beschert, bei der ihm allerdings auch zum ersten Mal das heimelige Sixties-Gefühl abhanden kommt, Teil einer famosen Jugendbewegung zu sein, deren „Sieg über die Kräfte des Alten und Bösen“ unausweichlich ist.
Das hatte er dann später noch einige Male, etwa beim Parteikonvent der Demokraten in Chicago, August 1968, wo die Demonstranten durch das massive Aufgebot von Polizei und Nationalgarde zusammengeknüppelt wurden. Bei der Wahl Nixons, den er in seinem eigenen kleinen Privatkrieg immer wieder sehr einfallsreich durchbeleidigte. Und endgültig, als er sich mit dem Chicano-Anwalt Oscar Acosta nach Las Vegas begab auf die vergebliche Suche nach dem Amerikanischen Traum. Daraus ging das Buch „Fear and Loathing in Las Vegas“ hervor, das ihn berühmt machte und längst vom Underground-Klassiker zur Schullektüre avanciert ist. Auch weil es den oft konstatierten Paradigmenwechsel am Ende des Jahrzehnts auf den Punkt bringt: Es „herrschte dieses fantastische universale Gefühl, alles, was wir taten, sei richtig … Hinter uns stand die Naturgewalt; wir ritten auf dem Kamm einer wunderschönen Welle … Und jetzt, weniger als fünf Jahre später, kannst du auf einen steilen Hügel in Las Vegas klettern und nach Westen blicken, und wenn du die richtigen Augen hast, dann kannst du die Hochwassermarkierung fast sehen – die Stelle, wo sich die Welle schließlich brach und zurückrollte.“
Als letzte „irre Feier zum Gedenken an eine Ära“ hat er „Fear and Loathing in Las Vegas“ in einem Gespräch mit dem Magazin High Times bezeichnet. Das kann man nun nachlesen in einer instruktiven Auswahlausgabe seiner Interviews, „Kingdom of Gonzo“, die sich gut als Einführung eignet, weil sie Interviews von 1967 bis 2005 versammelt. Hier läuft er noch einmal zu großer Form auf, erklärt immer wieder seine Gonzo-Methode, immer etwas anders, schimpft und schneidet auf. Es ist die bekannte und liebenswerte verbale Kraftmeierei, der man zweierlei zumindest nicht vorwerfen kann – dass sie langweilig wäre.
Der Comic will zu viel, nämlich Zeitporträt, Schriftstellerbiografie und Werkinterpretation sein. So bekommt man von allem etwas zu wenig. Bingley und Hope-Smith sehen Thompson mit Recht als Phänotyp seiner Epoche und versuchen sein Leben einzubetten in den zeitgeschichtlichen Kontext, aber das wirkt wie Kulissenschieberei. Immerhin trifft Szenarist Bingley, der Thompson als Erzähler seines Lebens einführt, dessen Diktion meistens ganz gut.
■ Will Bingley, Anthony Hope-Smith: „Gonzo. Die grafische Biografie von Hunter S. Thompson“. Aus dem Englischen von Jan-Frederik Bandel. Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2011, 192 Seiten, 14,95 Euro
■ Hunter S. Thompson: „Kingdom of Gonzo. Interviews. Aus dem Amerikanischen von Carl-Ludwig Reichert. Edition Tiamat, Berlin 2011, 254 Seiten, 18 Euro