Augen auf beim Drogenkauf

CHEMIE Kreative Dealer designen ständig neue Substanzen – die Regierung kommt mit dem Verbieten nicht hinterher

■ Der Termin: Im nächsten Jahr wird das Gutachten der Rechtsprofessoren Dieter Rössner und Wolfgang Voit vorliegen. Sie prüfen im Auftrag der Bundesregierung, ob sich nicht nur einzelne Substanzen, sondern gleich ganze Substanzklassen und damit auch bisher noch nicht zusammengebraute Designerdrogen verbieten lassen. Der Handel mit diesen neu entwickelten Drogen boomt nämlich. Vor einem Jahr zählte die EU noch 170 entsprechende Onlineshops, heute sind es um die 650.

VON PHILIPP BRANDSTÄDTER

Haben Sie sich für die Silvesterfeier schon mit dem nötigen Repertoire an Wachmachern, Knallzeug und Partyspaß eingedeckt? Der Drogenversand kurz vor Silvester ist ja bekanntermaßen hektisch. Die Nachfrage ist groß, die Regale sind geplündert, dann noch die längere Bearbeitungszeit wegen der Feiertage.

Früher war das mit einem Besuch beim Dealer viel schneller erledigt. Auch die Rechtslage war klar. Gras, Teile, Koks, alles verboten. Heute muss man den Katalog des Betäubungsmittelgesetzes wälzen. Welche Drogen sind erlaubt, welche nicht. Es könnte ja sein, dass die Regierung wieder irgendeine der vielen neuen Designerdrogen ins Programm der Illegalität genommen hat.

Beim Konsum legaler Drogen bleibt in Deutschland alles beim Alten. Jeder Vierte raucht, Alkohol trinkt immer noch fast jeder – auch wenn das Flatrate-Saufen und Binge-Drinking bei Jugendlichen nicht mehr ganz so sehr in Mode ist wie vor ein paar Jahren noch.

Wie viel die Bundesbürger jedoch kiffen und schlucken und durch die Nase ziehen, verraten sie den Statistikern eher ungern. Zwar sieht der Staat bei geringen Mengen von einer Strafverfolgung ab. Trotzdem bleiben Erwerb und Besitz von leichten und harten Drogen verboten. Die Zahlen zu illegalen Rauschmitteln variieren dementsprechend. Die Dunkelziffern sind hoch.

Billig und legal

Aus Berichten über beschlagnahmte Drogen des Bundeskriminalamtes und den Umfragen der EU-Drogenbeobachtungsstelle lässt sich jedoch herauslesen, dass die Zahl der Konsumenten von Ecstasy, Kokain und Opiaten rückläufig ist. Und zwar zugunsten von Designerdrogen, die zurzeit den Markt überfluten – synthetisch in Labors hergestellt und mit einer ähnlichen Wirkung. Nur billiger. Schlappe zwanzig bis vierzig Euro das Gramm. Und auch noch legal – zumindest, wenn sie nicht ausdrücklich zum Einnehmen verkauft werden, sondern als Kräutermischungen, Raumlufterfrischer oder Badesalze.

Im kommenden Jahr werden die Drogenkartelle ihren Stoff zu Dumpingpreisen verhökern müssen, weil ihnen der Markt abgegraben wird. Weil die erdrückende Konkurrenz der „Legal Highs“ und „Research Chemicals“ mit den Namen „Ikarus“, „Rush Hour“ und „Explosion“ aus dem Internet boomt wie nie zuvor. Die Clubgänger werden wochenends mit ihren Pülverchen auf der Tanzfläche herumwedeln und auf dem Parkplatz ihre Lines von den Motorhauben ziehen. Und den lahmenden Behörden bleiben die Hände gebunden.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die FDP-Politikerin Mechthild Dyckmans, hat Sorge, dass die Wirkung der Designerdrogen bagatellisiert wird, bloß weil man sie legal erwerben kann. „Viele Menschen sehen die synthetischen Substanzen als harmlose legale Alternative an“, sagt Dyckmans. „Das ist aber ein Irrtum.“

„Da die Mixturen aus Untergrundlaboren stammen, sind selbst bei gleicher Bezeichnung und Aufmachung der Produkte abweichende Mischungsverhältnisse möglich“, erklärt Ivo Habedank von der Berliner Polizei. „Die Folgen für den Konsumenten sind unberechenbar.“ Es muss etwas passieren. Doch es passiert nicht viel.

41 neu entwickelte psychoaktive Substanzen hat die Europäische Union im vergangenen Jahr registriert. Drei hat die Bundesregierung ins Betäubungsmittelgesetz aufgenommen: Mephedron, Tapentadol, Flunitrazepam. Zurzeit kommt etwa jede Woche eine neue Droge mit euphorisierender, sedierender oder halluzinogener Wirkung auf den Markt und wird dann bis zu ihrem eventuellen Verbot europaweit in über 600 Shops verkauft.

Der Grund dieser Entwicklung liegt in der Natur der Drogenpolitik selbst. Betäubungsmittel müssen erst entdeckt, analysiert und von Ausschüssen diskutiert werden, bevor sie schließlich auf die Verbotsliste kommen. Dieses Procedere kann sich bis zu einem Jahr hinziehen. Das fordert kreative Chemiker heraus: Nehmen sie minimale Änderungen in der Grundstruktur synthetischer Drogen vor, so entsteht eine neue Substanz – zwar noch nicht im Katalog, aber noch immer berauschend.

Vor allem in China und den USA produzieren Labore billige Designerdrogen und überrollen Europa mit einer Palette an Cannabinoiden, Piperazinen und Cathinonen. Das Konzept, die Bürger zu schützen, indem Drogen verboten werden, gerät ins Wanken. Denn die Gesetzgeber kommen mit dem Verbieten nicht mehr hinterher.

Mechthild Dyckmans will das ändern. Künftig möchte sie noch mehr noch schneller verbieten. Und zwar, indem das Betäubungsmittelgesetz ganze Substanzgruppen mit potenzieller Rauschwirkung auf einen Rutsch erfasst.

Jetzt liegt das Problem der Synthetikschwemme in der Obhut von Juristen. Zwei Professoren von der Uni Marburg sollen ein Gutachten ausarbeiten, ob ein solches Gruppenverbot verfassungsrechtlich überhaupt möglich ist. Ein Pauschalverbot von vielen Substanzen mit sämtlichen Derivaten wird die Regierung jedoch nicht durchsetzen können. Insbesondere die Pharmaindustrie würde sich gegen das Vorhaben stemmen, da es sowohl die Erforschung als auch die Herstellung von Medikamenten und anderen chemischen Erzeugnissen spürbar erschweren würde.

Dass die aktuelle Drogenpolitik ihrer Zeit hinterherhinkt, spielt der Opposition in die Hände. Die Grünen fordern einen Weg zwischen staatlich verordneter Abstinenz und Laissez-faire-Haltung gegen die Kriminalisierung der Konsumenten. Die Linkspartei setzt sich in ihrem Programm für den Cannabis-Verkauf in Coffeeshops und die langfristige Legalisierung aller Drogen ein. Die Piratenpartei will die uneingeschränkte Freigabe sofort. Und während Mechthild Dyckmans auf das Rechtsgutachten wartet, scheint es gar keine andere Möglichkeit zu geben, als auf die Mündigkeit der Bürger zu vertrauen.

2012 werden den Leuten noch mehr Drogen aus noch mehr Smartshops und Laboren angeboten. Die Bundesregierung wird noch geschätzte zwanzig neu entwickelte Substanzen brauchen, bis sie die Gesetzesänderung überprüft und konkrete Maßnahmen gegen die synthetische Flut eingeleitet hat.

Der Plan ist, den Umgang mit Designerdrogen dann zu verbieten, wenn sie bewusst als Betäubungsmittel angepriesen werden. Aber diese Klausel können die Händler lässig umgehen. Das beweisen Verkäufer des „Felgenreinigers“ GBL, der sich im Körper zum als „Liquid Ecstasy“ bekannten GHB verstoffwechselt. So entwischt die euphorisierend bis komatös rauschende Flüssigkeit genauso dem Gesetz wie das als Treibmittel für Sprühsahne verkaufte Lachgas. Die Drogenprävention durch das Verbot aller Betäubungsmittel: gescheitert. Den Internethändlern mit den Regalen voller Designerdrogen: Guten Rutsch.