: Gute Zeiten für deutsche Waffenschmieden?
■ Teil 7 der taz–Rüstungsserie: In den Vorstandsetagen der Rüstungsfirmen erhofft man sich von dem Mittelstreckenraketen–Abkommen einen neuen Auftragsboom für konventionelle Waffensysteme / Der bisherige Finanzrahmen für neue Rüstungsprojekte ist zu eng, um aufgebaute Kapazitäten voll auszulasten
Von Peter Wilke
Alle reden von Abrüstung. Manch einer sieht schon Rost auf den Pershing1a–Raketen. Aber ist das alles wirklich ernst zu nehmen? Zunächst einmal: Die politischen Widerstände gegen Vereinbarungen über eine nukleare Abrüstung in Europa sind gerade in der Bundesrepublik - wie man den Äußerungen führender konservativer Politiker entnehmen kann - vielfältig, und man darf skeptisch sein, ob es in diesem Jahrhundert überhaupt noch zu wirksamen Reduzierungen im nuklearen Bereich kommt. Aber selbst wenn dies geschehen sollte, so wird aller Voraussicht nach die nukleare Abrüstung von einer konventionellen Aufrüstung begleitet sein. Kein Wunder also, daß die Vertreter der Rüstungsindustrie noch nicht angefangen haben, Zeter und Mordio zu schreien. Im Gegenteil: In den Vorstandsetagen erhofft man sich von dem Abkommen letztlich eine Stärkung der politischen Fraktionen, die schon seit Jahren eine deutliche Aufrüstung mit neuen konventionellen Waffensystemen fordern. In der NATO sind die Verhand lungen über nukleare Abrüstung immer mit großem Mißtrauen beobachtet worden. Denn die NATO geht in ihren Bedrohungsanalysen nach wie vor davon aus, daß ein Übergewicht der Warschauer Vertragsstaaten im konventionellen Bereich existiert. Im Falle atomarer Abrüstung - so die offizielle Argumentation - muß bei den westlichen konventionellen Kräften kräftig zugelegt werden, um einen Ausgleich zu schaffen und eine ausreichende Abwehrkapazität zu erhalten. Die theoretisch ja denkbare Möglichkeit einer konventionellen Abrüstung oder (wie neuerdings in den programmatischen Vorstellungen der SPD) einer Umrüstung beider Seiten auf rein defensive Bewaffnungsstrukturen ist bisher allenfalls ein Thema für Sonntagsreden. Für konventionelle Verstärkung und eine Erweiterung der konventionellen Optionen der NATO und auch der Bundeswehr im Rahmen der NATO gibt es dagegen schon seit längerer Zeit konkrete Forderungen und Pläne. Air–Land–Battle Den Anfang haben die Amerikaner mit ihren Überlegungen zu einer integrierten konventionell– nuklearen Kriegsführung in Europa gemacht (in der Friedensbe wegung unter dem Begriff Air– Land–Battle bekannt geworden). Hierin enthalten waren Pläne für neue waffentechnische Möglichkeiten im konventionellen Bereich mit Raketenwerfern, Lenkwaffen etc. Da das Gesamtpaket den Europäern nicht recht schmackhaft gemacht werden konnte - wegen der aus europäischer Sicht problematischen Vermischung nuklearer und konventioneller Optionen -, propagierte der amerikanische Oberbefehlshaber der NATO in Europa, General Rogers, in Folge nur noch den konventionellen Teil dieser amerikanischen Initiative. Und hatte damit Erfolg! Teile seiner Forderungen wurden in waffentechnische Planungen und Beschaffungen z.B. bei der Bundeswehr übernommen. Und dem flotten Manfred Wörner, Verteidigungsminister und Pilot aus Leidenschaft, blieb es vorbehalten, die Planungsschraube noch eine Umdrehung härter anzuziehen: Seine der SDI– Idee nachempfundene Europäische Verteidigungsinitiative (EVI) - eine Art perfektionierte Luftabwehr - verlängert die Liste der konventionell möglichst zu beschaffenden Waffen um ein beachtliches Stück. Deutlich wird: Was immer bei den Verhandlungen über nukleare Abrüstung herauskommt, in den europäischen Staaten stehen die Zeichen auf verstärkte konventionelle Aufrüstung. Allerdings können diese Vorstellungen zumindest in der Bundesrepublik nicht ohne weiteres umgesetzt werden. Die in Bonn bisher für das Militär bewilligten Zuwächse im Rüstungshaushalt (inflationsbereinigt ein bis zwei Prozent) sind angesichts der stark ansteigenden Preise für Rüstungsprojekte zu gering und reichen nicht einmal, die in den letzten Jahrzehnten aufgebauten Kapazitäten der Rüstungsindustrie voll auszulasten. Der Rüstungsetat, der heute bei ca. 60 Mrd. DM im Jahr liegt (davon ca. 18 Mrd. DM für Waffenbeschaffungen etc.), müßte deutlich wachsen, um alle vorhandenen Pläne umzusetzen. Insofern bleiben alle Pläne konventioneller Aufrüstung bisher eher langfristig zu verwirklichende Vorhaben. Überkapazitäten Die bundesdeutsche Rüstungsindustrie sieht sich in einer widersprüchlichen Lage. Zwar ist der bundesdeutsche Beschaffungshaushalt relativ stabil, und die politische Bereitschaft ist erkennbar, neue Projekte aufzulegen, aber es wären noch weit mehr Aufträge nötig, um die Kapazitäten voll auszulasten und Produktivitätssteigerungen zu kompensieren. Denn in ganz Europa existieren in der Rüstungsindustrie Überkapazitäten über den nationalen Bedarf hinaus, und einige spektakuläre Großprojekte haben in ihrer Entstehung die altbekannten Schwierigkeiten mit der europäischen Kooperation im Rüstungsbereich (Jäger 90, Panzerabwehrhubschrauber 2). Auf dem Rüstungsexportmarkt sind die Bedingungen in den letzten Jahren aufgrund der Devisenprobleme vieler Dritte Welt Länder und einer wachsenden Anbieterzahl (Länder wie Brasilien, Israel etc.) zudem eher schwieriger geworden, so daß mit steigenden Exporten kaum zu rechnen ist. Folge war seit etwa 1984 ein wachsender lobbyistischer Druck von Teilen der Rüstungsindustrie auf die Regierung, zusätzliche konventionelle Beschaffungsprojekte aufzulegen, um die durch zyklischen Beschaffungsverlauf entstandenen Lücken in der Produktion zu schließen. Der Druck war erfolgreich - die Bestellung von zwei weiteren Fregatten 122, 150 Leopard 2–Panzern und 35 MRCA–Tornados zwischen 1984 und 1986 zeigt dies. Finanziell nutzte die Bundeswehr dabei die Gunst der Stunde: Sinkende Ölpreise und fallende Dollarkurse eröffneten einen kleinen Finanzspielraum, um diese weiteren Waffen bei der heimischen Industrie zu bestellen. Die strukturellen Probleme der deutschen Rüstungsindustrie sind auf solche Art allerdings kaum zu beheben. Ein Problem ist in zentralen Bereichen wie der Luft– und Raumfahrtindustrie die trotz erheblicher Firmenkonzentration nach wie vor im internationalen Vergleich geringe Größe und Finanzkraft deutscher Unternehmen. Zur Stärkung der internationalen Konkurrenzfähigkeit - sowohl in Europa als auch gegenüber den USA, die den europäischen Rüstungsmarkt dominieren - sympathisieren viele Verantwortliche in Wirtschaft und Politik mit der Idee weiterer Firmenzusammenschlüsse. Rüstungsgigant Daimler–Benz Erste Schritte hierzu sind in für die Rüstungsindustrie wichtigen Konzernen schon gemacht worden. So durch die faktische Übernahme von Krauss–Maffei durch Messerschmitt–Bölkow–Blohm (MBB) 1985 und die Kooperation mit Diehl, selber ein bedeutender Rüstungsanbieter, über die Raketentechnik–Gesellschaft. Vor allem aber auch durch die Übernahme von AEG und Dornier durch Daimler–Benz. Zwar war diese Transaktion nicht in erster Linie durch Interessen im Rüstungsbereich ausgelöst, aber in der Konsequenz ist gerade hier ein international wettbewerbsfähiger Komplex entstanden. Die Vorstellungen eines einheitlichen Industriekomplexes - vorerst national, aber in näherer Zukunft wohl auch europäisch - sind damit noch nicht am Ende. Zur Zeit kann man in der Bundesrepublik den Versuch beobachten, die Konkurrenzbedingungen für zentrale Teile der bundesdeutschen Rüstungsindustrie (für Kooperationsprojekte aber auch für Exporte) durch die Schaffung eines übergreifenden Luft–, Raumfahrt– und Rüstungskonzerns zu verbessern. Politiker wie Strauß und Bangemann befürworten mit Nachdruck die Übernahme von MBB durch Daimler–Benz. Im Luft– und Raumfahrtbereich wäre damit der Weg frei, Dornier mit dem siebenmal so großen Konkurrenten MBB zu verschmelzen. Eine gute nationale Ausgangsbasis, um bei weiterer europäischer Kooperation, die in militärischen (Jäger 90) und in zivilen Programmen (Airbus) ja schon vorstrukturiert ist, und beim Technologiewettlauf mit den USA und Japan zu profitieren und mitzuhalten. Ein solch einheitlicher Luft–, Raumfahrt– und Rüstungskonzern, geformt aus MBB und Daimler–Benz, erweitert durch bundeseigene Firmen wie DIAG, die nach Vorstellungen von Strauß an MBB verkauft werden sollte, würde es erlauben, staatliche Forschungsgelder aus zivilen und militärischen Töpfen zu zentrieren - immer in der Hoffnung auf internationale Positionsgewinne gegenüber Japan und den USA. Es ist noch längst nicht entschieden, ob solche Ideen auch umsetzbar sind. Sowohl national als auch europäisch gibt es in den beteiligten Firmen Widerstände. So sind z.B. die Manager von Daimler–Benz nur zu einer Übernahme von MBB bereit, wenn sie weitgehende Zusagen auf langfristige Auslastung der Kapazitäten u.a. durch Rüstungsaufträge bekommen, denn MBB wird aufgrund fallender Dollarkurse im Airbus–Geschäft Milliardenverluste hinnehmen müssen. Wie immer dieser Versuch zur Schaffung eines zusammenhängenden umfassenden Rüstungskomplexes ausgehen wird, er läßt erkennen, daß Abrüstung offensichtlich nicht auf der Tagesordnung für die Industrie steht. Vielmehr ist der Rüstungswettlauf Teil der internationalen Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Die militärischen Ausgaben werden für Industriepolitik eingesetzt. Insofern die alte Nachricht: Im Westen nichts Neues nicht.
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