: GENIALER SCHARLATAN
■ Julian Cope im Loft
Es gibt Musiker, die möchte man mit niemandem teilen. Ihre Platten versteckt zwischen belangloser Schrottmusik, damit keiner auf die Idee kommt, danach zu fragen. Man hört sie vornehmlich allein oder mit eingeweihten Freunden.
Julian Cope hat solche Platten gemacht. Irgendwann glaubt man, ihn persönlich zu kennen, halluziniert eine Beziehung zu ihm. Jede Textzeile wird zur intimen Nachricht, jede Melodielinie ein gut gehüteter Schatz, der einen über Jahre begleitet: „You may sit alone like me, but please don't be alone like me. My world's very beautiful today.“
Als 1984 seine zweite Soloplatte erscheint, macht sich der Fan langsam ernsthafte Sorgen um seinen Propheten. Cope kriecht, nackt und nur durch einen mannsgroßen Schildkrötenpanzer geschützt, einen Berg hoch, vor ihm liegt ein rostroter Spielzeuglaster mit der Aufschrift „Fried“. „Namdam am I, I'm a madman“, lautet die einzige Botschaft auf dem Cover. Im Wahn entstehen die größten Meisterwerke, es ist Copes schönste und romantischste Komposition seit den Tagen mit seiner vorherigen Band „Teardrop Explodes“. Bei einem der folgenden Konzerte schlitzt er sich mit einem Messer den Bauch auf. Er verschwindet für einige Monate von der Bildfläche, bis er unter der Devise „World Shut Your Mouth“ plötzlich gut gelaunt wieder auftaucht.
Seine Musik ist hektischer und unruhiger, er schreibt immer noch hinreißende Melodien, aber die Melancholie der Orgel und Oboenpassagen mußte der rockigen Gitarre weichen. Im Konzert stützt er sich auf einen schwenkbaren, stabilen Stahlrohr-Mikroständer. Er hat eingefallene Wangen unbd riesige Augen. Er scheint nicht wirklich ins Publikum zu blicken, sondern in einen imaginären Spiegel am Ende des Raums, um sich selbst anzustarren. Seine stimme kippt manchmal kaum merklich nach hinten weg, übertönt die laute Band, verfängt sich und steht doch wieder richtig. Ohne Unterbrechung werden die ersten Titel heruntergerissen, manchmal läßt sich Cope vom Roadie die zwölfsaitige Gitarre geben, ohne viel Schnörkel geht er vorwärts. Diese Musik ist „straight“ im besten Sinne.
Cope treibt sich seine eigene Geschichte aus dem Leib. Er windet seinen dürren ausgemergelten Drogenkörper, springt herum, klettert immer höher auf das Stahlrohrgerüst. „Und jetzt ein altes Stück“, seine Vergangenheit hat ihn eingeholt, er kämpft mit den Geistern, indem er sie herbeiruft. „Strasbourg. Allways fighting - allways fighting with yourself.„ Der Wahnsinn ist nicht zu begreifen, wenn man ihn nicht selbst erlebt hat. „Trampolene“, ein Frauenname und programmatischer Titel für Copes Psyche. Trampel auf mir rum, wenn du mich liebst, unterdrücke mich, damit ich dich lieben kann. Solcherlei Masochismen vertraute er einem verdutztem Radioreporter im SF-Beat an.
Er klettert noch höher, hängt sich an die Deckenkonstruktion des Loft, als würde er ausgepeitscht, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Seinen Oberkörper weit nach vorn gebeugt, den Kopf im Nacken scheint er sich genüßlich selbst zu malträtieren. Seine Stimme wird heftiger. „Charlotte Anne“, eine verschachtelte Melodie, Rhythmuswechsel, die sich im Ohr verhaken, und ein Wortspiel, der „Scharlatan“ lacht höhnisch über sich selbst. „Wenn ich meine Depressionen verlieren würde, meine gespaltene Natur, ich würde dich betrügen“. Cope zitiert einen New Yorker Psychoanalytiker und Nietzsche, ist er endgültig durchgeknallt oder auf dem Wege der Heilung?
Er starrt immer wieder unter die Decke, bis er die Hände ausstreckt und sein ganzes Gewicht den Verstrebungen anvertraut. Die Stangen biegen durch, eine Deckenplatte kracht und zerbricht, Cope stürzt mitsamt den Trümmern ins Publikum. Kurze Zeit ist er verschwunden, dann springt er wieder auf die Bühne, singt weiter, hängt sich wieder auf, Hände strecken sich ihm schützend entgegen, er stürzt wieder ab, diesmal mit weicher Landung. Er brüllt ins Mikro, klettert, fällt nach hinten, rappelt sich wieder.
Man hört die Musik nicht mehr bewußt, sie wird zum adäquaten Soundtrack einer genußvoll inszenierten Selbstkasteiung. Julian ist glücklich, lächelt das erste Mal, aber man bekommt Angst, er könne irgendwo in seiner Lederhose ein Klappmesser versteckt halten. Er zieht sein verschwitztes T-Shirt hoch, zeigt auf die Narben im Bauch und singt dazu die Geschichte vom Mann, der sich das Messer reinrammt. „Ich wollte mich wirklich nicht selber umbringen, aber es gab keinen anderen Weg.“ (Die beste Konzertbeschreibung, die ich seit langem gesäzzt habe; Kompliment!!!! - d.S.)
Andreas Becker
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