PORTRÄT DER SAMMLERIN ALS ENGEL

■ Die Sammlung Sonnabend New York im Hamburger Bahnhof

Die Sammler kommen. Ihre Initiative tritt an die Stelle von Ausstellungskonzeptionen. Die Frage nach Relevanz und Legitimation eines Ausstellungsprojektes verschiebt sich: der Sammler wird zu einer personifizierten Instanz, die Ausstellern und Publikum die Entscheidung über das, was zu sehen jetzt bedeutend sein könnte, abnimmt. Mit einem Seufzer der Erleichterung schieben die Kunsthistoriker ihre Verantwortung ab: in der Intuition des Sammlers findet man endlich jenen lebendigen warmen Funken wieder, der den theoretischen Rechtfertigungen ungeliebter moderner Kunst mangelte. Der Streit um Bedeutungsverlust oder Sinnzuwachs der Kunst, wie ihn gerade Günther Kunert oder Wieland Schmied in der 'Zeit‘ ausbreiteten, entfällt. Wenn man schon nicht mehr ungezwungen von der göttlichen Eingebung des Künstlers reden kann, so doch vielleicht von der des Galeristen und Sammlers.

Zum Entwurf dieses etwas bösartigen Szenarios bieten momentane und geplante Großausstellungen in Berlin allen Anlaß. Es wird zur Zeit Vorarbeit geleistet für die Akzeptanz der Sammler und Mäzene, die die Rolle öffentlicher Institutionen zur Förderung und Vermittlung von Kunst noch weiter übernehmen sollen. Die bildende Kunst als wirtschaftlicher Faktor betrachtet, der die letzten Jahrzehnte erstaunliche Expansionsfähigkeiten aufwies, wird weiter privatisiert. Wenn es einerseits auch nicht auf einer Vereinbarung beruht, so wird es doch andererseits kein Zufall sein, daß die großen Berliner Institutionen im Moment mit Sammlern aufwarten. Die Freunde der Staatlichen Kunsthalle Berlin haben sich die Ausstellung „Von Raffael bis Goya. Meisterwerke aus dem Museu de arte de Sao Paulo“ eingeladen: die 43 Werke der europäischen Malerei von der italienischen Vorrenaissance bis zum 19.Jahrhundert wurden nach 1945 von Professor Bardi in Europa ausgesucht und von dem brasilianischen Zeitungszaren Assis Chateaubriand finanziert. Die vergnügliche Schau „Bilder aus der Neuen Welt“ in der Orangerie geht auf die Sammlung des Baron von Thyssen-Bornemezia zurück. Der Verein der Freunde der Nationalgalerie schätzt sich glücklich, zu Beginn des nächsten Jahres „60 Meisterwerke aus der Salomon R.Guggenheim Foundation in New York und Venedig“ zeigen zu können. Im Hamburger Bahnhof, der unter Umständen als ständiges Museum für die Bestände von Berliner Sammlern dienen soll, zeigt die „Zeitgeist„-Gesellschaft, eine Lobby der Sammler, ein „Museum der Avantgarde. Die Sammlung Sonnabend New York“.

Ileana Sonnabend eröffnete 1962 ihre erste Galerie in Paris und stellte dort mit Jasper Johns, Rauschenberg, Warhol und Oldenburg die amerikanische Popkunst das erste Mal in Europa vor. Ihre Sammlung entstand, weil sie einen Teil der für ihre Galerie erworbenen Arbeiten immer für sich behielt, auch dann noch, wenn Ruhm und Preise der Künstler gewachsen waren. Ab 1970 führt sie eine Galerie in New York, in der sie nun auch Europäer vorstellte. Im Katalog der jetzigen Ausstellung, der von Christos M.Joachimides herausgegeben wird, wird eine Hymne auf Ileana Sonnabend gesungen. Das Porträt der Galeristin und Sammlerin als Engel der Avantgarde scheint perfekt. Ihr wird bescheinigt (von Germano Celant), im Labyrinth der pluralistischen Kunstwirbel den Faden der Ariadne auszulegen. „Die Attitüde, künstlerische Versuche zu kosten, ihre Fülle und Sensualität, ihre Konsistenz und ihr Raffinement, ihre Unerbittlichkeit und ihre Gedanken zu wägen, hat - solange ich sie kenne - Ileanas Blick durchdrungen. Ein Blick, der sich von der Substanz der Ideen und Projekte nährte, deren Dichte zu Nahrung der Kunstgeschichte wurde... Ihr Blick hat somit die Kunst von Jahrzehnten durchquert und gekostet, hat sich mit ihr vereinigt, um sie zu genießen, beinahe als wolle er sie in der Intimität des Fleisches schmelzen. Den Blick in das Meer der ästhetischen Dinge zu tauchen, um eines davon, das geglückteste und seltenste, das ungewöhnlichste und entzückendste wahrzunehmen, bedeutet für Ileana zweifellos leben.“

Andere Autoren stilisieren sie als „großen Jäger“, getarnt mit „femininer Zärtlichkeit“ und als Pionierin, die Vorläufer dessen entdeckt, was im nachhinein als Bewegung der Kunst erkannt wird. Fast jeder der Autoren kultiviert seine Erinnerung an eine Begegnung mit Ileana Sonnabend.

Neben diesen zehn Strophen auf Ileana bildet der Katalog kommentarlos die Sammlung Sonnabend, entsprechend dem Aufbau im Hamburger Bahnhof, ab. So beschränkt sich paradoxerweise die Vermittlung von Kunst, als deren Heldin Frau Sonnabend gefeiert wird, auf das bloße Abbilden und Ausstellen. An die Stelle der Rede über den Kontext der Werke ist die Rede über den Sammler und Galeristen gerückt. Statt einer kritischen Reflexion von seiner unbestreitbar wichtigen Funktion begnügt man sich mit affirmativen Stimmungsbildern. Es geht nicht um Zweifel an den Verdiensten von Frau Sonnabend, sondern um die Veränderung kulturpolitischer Kategorien und Strategien, für die sie, in die Geste der Verehrung gepackt, vereinnahmt wird.

Der museale und gutsortierte Rückblick auf die letzten 30 Jahre moderner Kunst von den glatten Oberflächen der Popart bis zur aufgerauhten Malerei Kiefers, von den Ready-Mades zur Wiederbetonung der Handschrift, über eine spezielle und ausgedehnte Vorliebe für Neonskulpturen erweist sich dabei als erstaunlich dekorativ, als ein postmodernes Schaufenster. Der provokative und gegen Traditionen aufbegehrende Charakter etwa der Concept-Kunst, die noch einmal den monolithischen Werkcharakter aufknackt, oder der Arte Povera und ihrer Material-Sensualität scheint schnellere Verfallszeiten zu haben und sich widerstandsloser mit seiner Konsumierbarkeit zu arrangieren als die Avantgarde vom Anfang des Jahrhunderts. Die Einordnung der Objekte in eine kunstgeschichtliche Entwicklung entzieht ihnen die Widerständigkeit, die sie lebendig machte.

Katrin Bettina Müller

„Museum der Avantgarde. Die Sammlung Sonnabend New York“ im Hamburger Bahnhof bis zum 26.Februar, Di-So 10-19 Uhr, Fr 10 -22 Uhr, Eintritt 5 Mark (erm. 3 Mark), Katalog 30 Mark. Führungen täglich um 15 Uhr, Sonntag 12 + 15 Uhr.

Öffnungszeiten über die Feiertage: am 24. geschlossen, 25.: 14-19, 26.: 10-19 Uhr, 31. geschlossen, 1.Januar 14-19 Uhr.