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Gräber ohne Skepsis

■ Ein winterlicher Spaziergang - vor ein paar Jahren - auf dem britischen Soldatenfriedhof in West-Berlin

Peter Nierychlo

Der britische Soldatenfriedhof an der Heerstraße ist, wie bei solchen Stätten üblich, streng symmetrisch gegliedert. Über dreieinhalbtausend Tote liegen hier begraben Australier, Briten, Kanadier, Neuseeländer vor allem, Mitglieder der Air Force; von Norden her, von jenseits der Heerstraße, ragen die rechteckigen Klötze einiger Wohnmonster in den Blick, die Wohnungen der Lebenden; auf der anderen Seite des Friedhofs ein monumentaler Sendemast, dessen Statik schmerzhaft ins Gewölk hineinragt.

Den stets kurzgeschorenen Rasen zwischen den Grabsteinen bedeckt nun hoher Schnee. Von den Steinen sind zahllose mit einem knappen „Unknown“ gekennzeichnet. Wer dort liegt, von dem ist nicht viel übrig geblieben, ganz sicher nicht die Kenn-Nummer aus Aluminium, die vom Soldaten als Halsband getragen wurde. Auf den übrigen Steinen stehen die Namen der Toten und einige Daten: der militärische Rang, der Todestag, das Alter. Darunter eine Grabinschrift, die von Eltern oder Verwandten verfaßt beziehungsweise aus einem traditionellen Fundus ausgewählt wurde.

Häufig steht dort das lakonisch-militärische: „His duty nobly done.

Rest in peace“

-Seine Pflicht vortrefflich erfüllt.

Ruhe in Frieden

Die Pflicht spielt eine wichtige Rolle auf den Steinen, denn dieser Spruch erscheint in etlichen Abwandlungen, auch in Verbindung mit anderen Substantiven: „For love he lived,

for duty he died“

-Für die Liebe lebte er,

für die Pflicht starb er

Wenn man weitergeht, liest man mehr darüber, wie gestorben wurde, denn auch darüber geben die Grabinschriften Auskunft: „Gaily he lived,

gallantly he died“

-Fröhlich lebte er,

ritterlich starb er

„Staunch to the end

against odds uncounted

they fell with their faces to the foe“

-Standhaft bis zum Ende

gegen zahllose Widrigkeiten

fielen sie mit den Gesichtern zum Feind

Auf einem der Grabsteine kommt sogar gewissermaßen der Tote selbst noch einmal zu Wort, ein Bordschütze, dessen Leben nach vierundzwanzig Jahren gewaltsam beendet wurde: „I have faught a good fight

I have finished my course

I have kept my faith“

-Ich habe einen guten Kampf gefochten,

ich habe meinen Weg beendet,

ich habe meinen Glauben bewahrt

Begreiflich erscheint es mir, daß auf den Steinen nicht zu lesen ist, woran die Gefallenen gestorben sind - eine Grabinschrift ist etwas anderes als ein Totenschein. Außerdem würden Details über die ausnahmslos durch brachiale physikalische Prozesse zu Tode Gekommenen der Pietät gewiß Abbruch tun. Einige Inschriften deuten darauf hin, daß die Hinterbliebenen in ihrem Leid Zuflucht nehmen zu poetischen Wendungen, um sich so an den undelikaten Einzelheiten des Todes vorbeizumogeln. Ein ausgeprägtes Beispiel dafür ist der folgende Grabsteinspruch, der für einen 23jährigen Bordschützen aufgesetzt wurde: „He walked among the lilies

and the one He picked was ours“

-Er (Gott? Der Tod?, d. Übers.) wandelte zwischen den

Lilien,

und die, die Er pflückte, gehörte uns

Ähnlich verklärend wird die Poesie in einer anderen Inschrift eingesetzt: „His sweet young life could not be saved

he slumbers now in a hero's grave“

-Sein süßes junges Leben konnte nicht gerettet werden,

er schlummert nun in einem Heldengrab

Ich frage mich, ob das junge Leben nicht doch hätte gerettet werden können, und ob es dem Mann nicht besser gefallen hätte, wenn er heute irgendwo anders schlummern könnte als gerade hier. Und ich frage mich auch, ob all diese Inschriften als Ausdruck einer vielgepriesenen Elternliebe gewertet werden dürfen, und wenn ja, was es auf sich hat mit dieser Art von Liebe. Ein weiteres Beispiel: „In everloving memory

of my darling son

killed in action“

-In ewiger liebevoller Erinnerung

an meinen gefallenen Sohn

Die Übersetzung vermag nicht den sprachlichen Ductus wiederzugeben, der sich hier in der Wortwahl „killed in action“ ausdrückt. Die Trauer des Vaters (oder der Mutter) um den verlorenen Sohn, einen 21jährigen „air-gunner“, scheint sich bereits zu einem martialischen Zähneknirschen zu transformieren. Rambo kommt in Sicht.

Selbstverständlich werden auch religiöse Motive angesprochen, um den Schmerz um so viel veschwendetes Leben zu lindern: „In the solitude of flight

Thy beauty and greatness

were revealed“

-In der Einsamkeit des Fluges

wurden Deine Schönheit und Größe offenbart

„As He died to make men holy

so let us die to make men free“

-Da Er starb, damit die Menschen geheiligt würden

laßt uns sterben, um sie zu befreien

„Not given in vain

these gallant lives

not lost but living unto Thee“

-Nicht vergebens waren

diese tapferen Leben

und nicht verloren,

sondern sie leben Deinetwegen

Bei einigen Grabinschriften steht eine Art von Patriotismus im Vordergrund, die es mir schwer macht, an die Echtheit der Trauer bei den Hinterbliebenen zu glauben: „Faught and died for our noble country

and freedom for all - Praise be to the Lord“

-Er kämpfte und starb für unser edles Land

und für die Freiheit aller - Preis sei dem Herrn

Und noch ein wenig direkter: „A corner in a foreign field

that will be forever Scotland“

-Ein Winkel in einem Feld in der Fremde

der für immer zu Schottland gehören wird

Dreieinhalbtausend Gräber an der Heerstraße, in den meisten liegen Jugendliche und junge Männer, die nicht einmal fünfundzwanzig Jahre alt wurden, deren Leben gewaltsam endete. Viel Nachdenklichkeit haben die Menschenopfer des Zweiten Weltkrieges nicht ausgelöst, und noch weniger davon haben sie uns hinterlassen. Das muß skeptisch stimmen für die Zukunft. Nachdenklichkeit scheint gerade auf den „Heldenfriedhöfen“ nicht viel Raum zu finden. Eine Inschrift am Grab eines „air-observer“, der im Alter von einundzwanzig Jahren starb, unterschied sich nachgerade wohltuend vom üblichen, mit allzu viel Zuversicht durchsetzten Durchschnitt; sie drückte Skepsis aus: „Such a happy, good boy,

loved by all who knew him.

Was his life given in vain?“

-Solch ein froher, guter Junge,

geliebt von allen, die ihn kannten.

Wurde sein Leben vergebens geopfert?

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