Revolutionäre Resolution

In Bremerhaven hatte das Jugendtheater Premiere mit Peter Turrinis Beaumarchais-Adaption „Der tollste Tag“: Peter Turrini zwingt den Witz raus, Regisseur Peter Koettlitz zwingt ihn wieder rein  ■  Von hans happel

Mit Nigel Williams‘ „Klassen Feind“ haben sie sich vor drei Jahren ins Rampenlicht gespielt und zuletzt von Edward Bonds „Gerettet“ eine diskutable Neuinterpretation vorgelegt. Jetzt wagen sie sich nach der Shakespeare-Travestie „Hamlet der Gaukler“ zum zweiten Mal an einen klassischen Komödienstoff: Die Jugendlichen in der Theatergruppe um den Bremerhavener Lehrer Peter Koettlitz haben rechtzeitig zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution Peter Turrinis Beaumarchais-Adaption „Der tollste Tag“ ausgegraben. Am Donnerstag abend war im Kleinen Haus des Bremerhavener Stadttheaters Premiere. Das Ergebnis: Zwei Stunden, die nicht lang wurden; einige Darsteller, die vergessen lassen, daß es sich um Laien handelt; eine Inszenierung, die auf Tempo, schrilles Spiel und Sprachartistik setzt.

Peter Turrini strafft den intrigenreichen Handlungsfaden der vorrevolutionären Beaumar chais-Komödie, entschlackt die Sprache, spitzt die Pointen zu, um dann - leider - am Schluß ganz plump und eindeutig die Lehre aus der Geschichte zu verkünden. Denn bei Peter Turrini darf partout nicht der Witz triumphieren, das wäre unvereinbar mit der Klassengesellschaft, deren Abschaffung schließlich keine Frage des besseren Witzes ist.

Peter Turrini bricht die Komödie zur Agit-Prop-Parabel um.

Aus dem turbulenten Treiben zweier Männer unterschiedlichen Standes - des Grafen Almaviva und seines Knechtes Figaro um die schöne Susanne, Figaros Braut, wird am Ende bitterer Ernst:

Der zornige Graf malträtiert Susanne, die sich ihm verweigert, mit der Peitsche, und wird von Figaro, der der Szene aus einem Käfig heraus zusehen muß,

erwürgt. Der Hofintrigant plündert die gräfliche Leiche und schreit im Brustton der Heuchelei nach Revolution.

Almavivas Frage an seine rebellische Dienerin: „Wo ist dein Witz geblieben?“, fällt auf Peter Turrini zurück.

Beaumarchais‘ zweihundertfünfzig-Jahre-alter Witz ist weitaus stärker als Peter Turrinis siebzehn-Jahre-alte sozialkritisch gewendete Neufassung mit dem erhobenen Zeigefinger.

Regisseur Peter Koettlitz tat gut daran, das Ende nicht überzubetonen. Er dreht es ins Absurde und legt im übrigen das Schwergewicht aufs Ausspielen des temporeichen Intrigenspiels.

Den Grafen steckt er in die Phantasie-Uniform eines lateinamerikanischen Operetten-Diktators, von Michael Rust als stolzer Gockel gespielt, der noch beim Poussieren die Beine zum Stechschritt hebt.

Jendrick Gamböck als Gegenspieler Figaro zeigt mit mario

nettenhaften Bewegungen an, daß andere seine Lebensfäden in der Hand haben.

Glänzende Spieler sind auch Jörg Goeddert mit einer Paradenummer als stocktrunkener Gärtner und Wolf Truhart, einer der wenigen Älteren im jungen Ensemble, in der Rolle des vergreisten gräflichen Herolds, der dem Grafen den Eimer hinhalten muß, wenn der sich im Gerichtssaal seiner Notdurft entledigt.

Zusammengehalten aber wird das Spiel von Sandra Fehmer, die als Susanne eine Idealbesetzung ist. Sie legt in ihre Figur jene Mischung aus kindlicher Anmut und unverfrorener Keckheit, die die Nachstellungen des Grafen glaubhaft machen.

Insgesamt ist die Gruppe weniger homogen als in den letzten Inszenierungen: Der Bruch zwischen langjährigen „Profis“ und neuen Mitgliedern ist noch sichtbar und kann andererseits kaum Anlaß zur Kritik geben, denn der pädagogische Anspruch dieses

im Feld Theater und Schule angesiedelten Projekts stellt sich professionellen Maßstäben gegenüber quer.

Bei allem Witz, der die Inszenierung als Ganzes und in vielen Details auszeichnet - darunter die Rokoko-Bühne von Wolfgang Cäsar, die dezente Tango-Musik auf dem Bandoneon von Oskar Piazolla und der fantastische Einfall, den ganzen „Figaro“ als Drei-Minuten-Slapstick dem Stück voranzustellen - das besondere Charisma, von dem die „Jugendstücke“ dieses Jugendtheaters lebten, muß bei Beaumarchais/Peter Turrini fehlen.

Vielleicht ist hier eine Grenze erreicht, aber an Grenzen zu stoßen und sie zu überschreiten, darin liegt eine besondere Lust für die Koettlitz-Truppe. Das Ergebnis ist in jedem Fall sehenswert.

Weitere Aufführungen:

Am 4., 7., 16., 18., 21. und 26. Februar, jeweils um 20 Uhr.