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Drinnen ist es wurscht

■ Kommunalkino zur Literaturwoche: Filme zu „Deutschland im Herbst“: „Komplizinnen“ von Margit Czenki

Wenn bei einer Diskussionsrunde nach einem Kinofilm über fünfzig Menschen ihr Interesse an mehr Informationen bekunden, dann muß schon etwas dran sein. Es ging um einen Knastfilm. Komplizinnen von Margit Czenki spielt fast ausnahmslos in einem Frauengefängnis und hat im Grunde nicht einmal eine durchgängige Geschichte zu erzählen.

Eine Aneinanderreihung von Alltagsereignissen im Knast formt sich für NormalbürgerInnen von ganz allein zur Horrorstory. Da finden sich Frauen in den Mauern eines Justizbunkers wieder, U-Haft, Prozeß und Verbringung haben sie gerade hinter sich, und niemand erklärt ihnen, was da vor sich geht. „Wir haben Anweisung, Sie stündlich zu kontrollieren. Es ist doch nur zu Ihrem Besten.“ Wie einfach ist es doch, Menschen in Verzweiflung zu stürzen. Eine Tür, die sich jede Stunde öffnet, gleißendes Licht auf eine schlafende Person wirft und wieder zu geht. Die Frau auf der Pritsche ist erst einmal wach. Sie ist unruhig und verängstigt. Alle Stunde wieder.

Kamerafrau Hille Sagel hat die Hauptperson Barbara über weite Strecken schräg abgefilmt, das Bild ist gekippt. Unwillkürlich drängt sich der Eindruck auf, das Leben im Knast ist nicht gerade oder linear verlaufend, es scheint immer auf der Kippe. Kein Wunder also, daß es genügend Menschen in der Diskussionsrunde gab, die dieses Bild gern ein wenig zurechtrücken wollten, aus sozialen oder professionellen Be

rufungen heraus. Nur: das paßte der Regisseurin überhaupt nicht. Das ganze Sozialarbeitergedudel ging ihr offensichtlich auf die Nerven. Knäste sollten dem Erdboden gleichgemacht werden, ein Vollzugsreformismus diene nur dem Justizapparat und nicht den Häftlingen. Margit Czenki war fünf Jahre in einem Frauengefängnis inhaftiert. Gute Freundinnen habe sie zurückgelassen und ein Versprechen: so viel wie möglich über das Leben im Knast wollte sie verfilmen, genau so, wie sie es erlebt hatte.

Die schrägen Bilder bleiben haften, Pola Kinski als Barbara wirkt nach. Behutsam erkundet sie ihre Umgebung, lernt andere Frauen kennen und vor allem den unbarmherzigen Ablauf der Justizmaschinerie. Ruhe und Ordnung, die oberste Maxime einer jeden Verwahrungsanstalt werden in einem Frauenknast noch um die Komponente Erziehung erweitert. Wo bei Männern das Ruhigstellen ausreicht, muß Frauen ganz im patriarchalischen Sinne noch der Wunsch nach Solidarität, Nähe und Kommunikation ausgetrieben werden.

„Drin ist es wurscht“, antwortete Margit Czenki, nach den jeweiligen Delikten der inhaftierten Frauen befragt. Das Verhalten untereinander sei anders geprägt als bei Männern. Gewalt sei ein minderes Problem, Widerstand und Aufbegehren sind erst zu lernende Formen des Knastalltags.

So zeigt Die Komplizinnen mehr und explizit anderes als eine Verrohung der Frau Blum. Es gibt kaum Kameratotalen, der Bildausschnitt bleibt immer subjektiv. Ein Ohr oder die Beine einer Darstellerin reichen aus, um die erdrückende Enge des sträflichen Vollzugs zu vermitteln. Sprache hat einen besonderen Stellenwert in einem Mikrokosmos, in dem Worte gegenüber Wächterinnen ihren Sinn verlieren, weil sie abprallen wie hohle Bälle. Niemand will sie hören. So setzt sich die Regisseurin auch vehement für die Zusammenlegung aller politischen Gefangenen ein, als letzter Rettung für das Leben der Betroffenen. Ohne eine freie Wahl des Kontaktes innerhalb einer lebenslänglichen Verwahrung bleibt in der Konsequenz nur das Zurückschrumpfen in die Willenlosigkeit - oder der aktive Kampf. Margit Czenki zeigt im Film, was sie selbst tun mußte. Der Hungerstreik als einziges Mittel zur Durchsetzung minimalster existenzieller Forderungen. Sie hatte Erfolg. Und sie ist wieder daußen. Davon dürfen andere nicht einmal träumen.

Jürgen Francke

Heute, Cinema, 18.45. Mittwoch, BGH Vegesack, 19.30.

Lesung im Ambiente, heute 20 Uhr: Christiane Ensslin, Hannelies Taschau und Liz Wieskerstrauch.

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