Rechtlos und zu nichts verpflichtet - Kein Rahmen für Innovation

■ Zum Medienbeschluß der Volkskammer (Teil I)/„Öffentliche Aufgabe“ der Medien - was heißt das? Wie kann sich Meinungsvielfalt gegen gutorganisierte Unternehmen durchsetzen?

Während Journalisten über ethisch- moralische Arbeitsmaximen diskutieren, denen sie sich verpflichtet fühlen wollen, und die Parteien um Papierkontingente wetteifern, kündigen sich grundlegende Veränderungen im Bereich der Medien an. Da drängen Newcomer verschiedener Art auf den Markt, geistern Gerüchte über Beteiligungen ausländischer Geldgeber an gutgehenden Titeln durch die Redaktionsstuben, und die Medienkontrollkommission konnte gerade noch den großen Coup im Postministerium stoppen. Alles das geschieht, ohne daß der Rahmen für Innovationen im Medienwesen der DDR abgesteckt wäre und unter Aussparung der Frage, was Medien in diesem Land bewirken sollen.

Das von der Volkskammer verabschiedete Grundsatzpapier „über die Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit“ kennt zwar den verheißungsvollen Begriff „öffentliche Aufgabe“ der Medien, gibt aber kaum darüber Auskunft, was darunter verstanden werden soll. Der Grundsätze-Katalog bestimmt die Aufgaben der Medien lediglich indirekt und negativ.

Indirekt, indem er festlegt, daß der Bürger das Recht auf wahrhaftige, vielfältige und ausgewogene Information durch die Massenmedien hat. Ebenfalls indirekt werden Pflichten durch die Bestimmung umrissen, wonach allen staatlichen Organen, politischen Parteien sowie gesellschaftlichen Organisationen und Gruppen, den Kirchen und Religionsgemeinschaften, den Minderheiten das Recht zukommt, in den Medien angemessen dargestellt zu werden (in den Medien, nicht durch sie).

Durch das in den Grundsätzen formulierte Verbot, die Medien für Kriegshetze, Aufruf zur Gewalt usw. zu nutzen, sind ihnen wichtige, für den Erhalt einer humanistischen Ordnung notwendige Beschränkungen auferlegt. Es muß aber angemerkt werden, daß ein solcherart negativ formulierter Antrag an die Medien nicht zwingend den positiven Umkehrschluß beinhaltet, also die Verpflichtung, für den Frieden zu wirken, gegen Gewalt aufzutreten usw.

Alles in allem machen die Grundsätze der Volkskammer die Medien zu weitgehend rechtlosen Institutionen. Die Bürger, die Parteien, Organisationen, ja selbst der Staat mit seinen vielen Ämtern können bei ihnen Rechte einklagen. Dies kann die Medien um so mehr belasten, da sie fast keine Verpflichtungen haben, laut Text nicht einmal die Pflicht, den Rechten der anderen zu entsprechen. Schade, daß die Idee von den Medien als vierte Gewalt, die noch im November und Dezember in der Diskussion auftauchte, nun nicht mehr verhandelt wird.

Die Grundsätze geben den sich vollziehenden Veränderungen im Mediensystem der DDR keinen inhaltlichen Rahmen, der Ausgangspunkt jedweder Betrachtung der Medien und ihrer Veränderungen, die Bestimmung ihrer Rolle in der Gesellschaft, bleibt ungefunden.

Das Problem liegt m.E. darin, daß man die Frage nach dem Platz der Massenmedien in der Gesellschaft nicht beantworten kann, indem man lediglich von den Rechten der Mediennutzer und -benutzer ausgeht und diese geltend macht. Welches Bedürfnis der Gesellschaft kann nur von den Medien befriedigt werden? Wie müssen sie funktionieren, damit die ganze Gesellschaft funktioniert?

Zu Beginn der Umwälzung im Oktober ging es doch darum, dem Bürger, Räume und Garantien zu schaffen. Er braucht aber, um Gesellschaft eigenverantwortlich und wissend zu gestalten, Informationen über alle die Prozesse, die sein Leben in irgendeiner Weise berühren. Und er muß die Alternativen kennen, die Folgen, Risiken und Zusammenhänge. Hier ist m.E. der Auftrag der Medien zu suchen. Sie müssen zuerst Mittler sein zwischen jenen, die relevante Entscheidungen und Prozesse steuern usw., und den Bürgern. Indem sie Informationen sammeln, aufarbeiten und verbreiten. Zugleich sollten sie zur politischen Bildung der Bürger beitragen, indem sie zum kritischen Denken herausfordern, zur Wahl zwischen Alternativen befähigen und somit tatsächlich demokratische Willensbildung ermöglichen.

Eine solche Bestimmung wäre allerdings nur die der politischen Natur der Medien, sie sieht darüber hinweg, daß die Medien auch Unterhaltung, Kultur, Dienstleistungen und Bildung im weitesten Sinne liefern und daß sie - in unserer marktwirtschaftlichen Zukunft umso mehr - auch der Erwirtschaftung von Gewinn dienen.

Aber allein jene politische Bestimmung betrachtend, stellten sich genug Fragen nach den praktischen Möglichkeiten ihrer Umsetzung: Wer befindet nach welchen Kriterien, ob der gesellschaftspolitische Auftrag erfüllt wird? Wie kann sich Meinungsvielfalt, also auch die Meinung der kleinen, kapitalarmen Parteien, gegen gutorganisierte Gewinnunternehmen durchsetzen? Welche Souveränität haben Medien gegenüber Parteien oder vdem Staat? Wie sichert man das Recht eines jeden, Zeitungen herauszugeben, wenn das Startkapital unerschwinglich oder der Markt schon ausgefüllt ist?

Antworten werden vor dem 18. März nicht mehr gefunden werden. Aber Eile ist geboten, liegen doch die Westverlage auf der Lauer.

Claus Frank