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Knapp vorbeigesegelt an Klippe der Selbstauflösung

■ Zum Sonderkongreß des Film- und Fernsehverbandes am vergangenen Wochenende / Von 1.020 Verbandsmitgliedern nahm die Hälfte ein Mandat in Anspruch / 373 kamen /300 blieben

Kürzlich sei ihm beim Autofahren im Morgengrauen ein Bild in den Sinn gekommen, das ihn nicht mehr loslasse, erzählte der Schauspieler und Regisseur Rolf Römer auf dem Sonderkongresses des Film- und Fernsehverbandes, der am vergangenen Wochenende tagte. Auf einer Wiese am Straßenrand hockte ein Bussard und lauerte mit lüsternem Blick auf die um sich hackenden Nebelkrähen in seiner Nähe. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis sein Schnabel nach vorn schnellt?

Sorgen um die Zukunft einer eigenständigen Filmproduktion unter den Bedingungen heraufziehender Marktwirtschaft waren an den drei Kongreßtagen allenthalben zu hören. Zwar hatte Filmminister Pehnert gerade erst verlauten lassen, unter seiner Ägide werde es keinen Ausverkauf der DEFA geben, doch reicht ein Blick auf den Kalender, um die Haltlosigkeit dieser Garantie zu erkennen.

Noch vor dem 18. März die Weichen für ein Überleben des nationalen Filmschaffens zu stellen, war die essentielle Forderung des Kongresses. „Was wir hier haben, muß erhalten werden. Es ist nicht mehr viel Zeit!“, beschwor Heiner Carow das Plenum.

Den Verband als starken Interessenvertreter neu zu profilieren, waren Regisseure, Kameraleute, Autoren, Produzenten, Dramaturgen, Kritiker und andere mit den audio -visuellen Medien Verbundene zu ihrer Generalversammlung ins Kino „International“ gekommen. Wie groß der Vertrauensschwund an der Basis ist, zeigte ein Blick auf die Anwesenheitsliste. Von 1020 Verbandsmitgliedern nahm lediglich die Hälfte ein Kongreß-Mandat in Anspruch. Tatsächlich erschienen waren am ersten Tag gar nur 373 Interessierte. (Zum Schluß waren es noch rund 300.)

Die Erblast, mit der sich der Verband herumzuschlagen hat, wiegt schwer. 1967 war er auf Weisung der SED als Instrument der Kontrolle und Selbstdisziplinierung für die wachen und kritischen Filmemacher gegründet worden. Deren Blick auf die „real existierende“ sozialistische Wirklichkeit ging auch fürderhin immer weniger mit dem schablonierten Wunschbild der Bürokraten im Elfenbeinturm konform. Folge waren Restriktionen, Verbote, Zensur. Der VFF degenerierte zur Quasselbude, deren Entscheidungen weitgehend irrelevant blieben.

Genau das soll jetzt anders werden. Die Vorstellungen darüber, wie künftig der Einfluß auf Produktion, Verleih, Subventionierung, Auslandsrepräsentanz usw. zu realisieren sei, klafften freilich weit auseinander. „Vielleicht ist das die erste und letzte Chance, unseren Traum wahr zu machen und die Produktionsmittel in die eigenen Hände zu nehmen. Lassen wir sie uns nicht nehmen!“, forderte Helke Misselwitz. Die Dokumentaristin wußte sich in ihrem Ansinnen eins mit einer ganzen Reihe junger Filmemacher, die in der Vergangenheit oft genug reglementiert und ausgebootet worden waren (auch innerhalb ihres Verbandes) und jetzt selbstbewußt und voller Idealismus ihre Vorstellungen auf's Tapet brachten. Die Anträge auf Selbstverwaltung der Grundmittel und Subventionen fanden im Plenum keine Mehrheit - alt/neuer Konformismus oder Realitätsblick?

Einig war man sich, daß der Verband nur als Solidargemeinschaft und in enger Kooperation mit der Gewerkschaft Kunst und Medien eine Chance hat, die Belange seiner Mitglieder auch unter härteren sozialen Bedingungen zu vertreten. Wie weit die Solidarität tatsächlich reicht, wird sich herausstellen, wenn die Geldgeber ihr Säckel aufschnüren...

Von einem echten Miteinander scheint der Verband noch ein Stück entfernt zu sein. Das Kongreß-Klima war streckenweise recht rauh. Die alten Wunden vernarben langsam. Allzu schnell wurden Forderungen an andere delegiert, beleidigt der Saal verlassen. Sieghard Schneider, Szenarist von „Zwei schräge Vögel“ und Mastermind der Statutengruppe, brachte es auf den Punkt: „Der Verband kann sich nicht ändern, wenn sich seine Mitglieder nicht ändern. Demokratie bedeutet auch, zu akzeptieren, mit seiner Meinung in der Minderheit zu sein.“ Er selbst zog sich kurzzeitig schmollend aus dem Präsidium zurück.

An der Klippe der Selbstauflösung ist man haarscharf vorbeigesegelt. In aufreibender Prozedur wurde ein neues Statut verabschiedet, die Registrierung als gemeinnütziger Verein beantragt. Möglicherweise werden künftig die nationalen Festivals und die Leipziger Dokumentarfilmwoche in eigener Regie durchgeführt.

Nachdem einige renommierte Regisseure aus arbeitsökonomischen Gründen keine Bereitschaft für den Posten des neuen Vorsitzenden signalisiert hatten, fiel die Entscheidung kurz vor Mitternacht für den Dok-Filmer Joachim Tschirner, knapp vor Helke Misselwitz, nun seine Stellvertreterin. Weitere Stellvertreter sind Gerd Gehricke (Dramaturg) und Rolf Richter (Kritiker.) Respekt vor ihrem Mut, in diesen Zeiten an der Spitze des Verbandes zu wirken.

Frank Junghänel

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