: Revanchismus charmant
■ Die Deutschlandkarte im Flur des Bundeskanzlers /Kein Grund zur Beunruhigung in Bonn /Das Thema langweilt die Politiker
Vorsichtig, geschichtsbewußt und voller Verständnis für die Ängste der Polen vor einem neuen deutschen Revanchismus: Das ist Bundeskanzler Helmut Kohl. Oder doch nicht?
„Deutschland“ steht unter einer riesigen Karte, die im Vorraum der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Bonn hängt. Zu sehen ist Deutschland in den Grenzen von 1937, statt einer Westgrenze trennt darauf Polen von der angrenzenden DDR nur eine Linie winziger Pünktchen. Mit anderen Worten: Die heute polnischen Gebiete östlich von Oder und Lausitzer Neiße werden als deutsch dargestellt - und dies kommt heutzutage selbst in konservativen Geschichtslehrbüchern nur noch vereinzelt vor.
Den sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Freimut Duve hat diese Karte schon mehrmals zur Feder greifen lassen. „Ich bitte Sie, darauf hinzuwirken, daß diese eindeutige non-verbale Nichtanerkennung der Westgrenze Polens verschwindet“ schrieb er vor einiger Zeit etwa an die Bundestagspräsidentin. Seine Begründung: Es müsse für BesucherInnen befremdlich, für Polen schockierend sein zu sehen, „in welch eindrucksvoller Bildersprache in zentraler Stelle unserer Bundestagsflure die Existenz des polnischen Staates geleugnet wird“.
Rita Süssmuth ließ sich fast zwei Monate Zeit, bevor sie dem SPD-Mann kurz bescheiden ließ, daß sie in die Tätigkeiten der CDU/CSU-Fraktion nicht eingreifen dürfe. „Keine Veranlassung, die Deutschlandkarte abzuhängen“, sah auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Friedrich Bohl, in einem Brief an Duve. Schließlich, so Bohl lapidar, seien nur der korrekte Rechtszustand und die politischen Gegebenheiten in Deutschland nach 1945 dargestellt. Alle sachlich berechtigten Einwände gegen diese Argumentation stören Bohl nicht. „Ach, ich hab‘ gar keine Lust, mich darum zu streiten“, so der CDU-Mann zur taz. Außerdem solle Duve „seine Stänkereien woanders ablassen“, denn: „das Thema bewegt uns überhaupt nicht.“ Ob man denn nicht aus Rücksicht auf das polnische Volk diese Demonstration der Rechtslage unterlassen sollte? „Wissen Sie, wir könnten jetzt sehr charmant miteinander über andere Themen plaudern, das spüre ich... Aber dieses Thema ist doch langweilig, viel zu hoch gehängt, symbolisch völlig überfrachtet...“ Ob denn eine zukünftige, endgültige Anerkennung des Westgrenze Polens durch die Bundesrepublik oder ein Gesamtdeutschland die Fraktion bewegen würde, die Karte abzuhängen? „Nein. Das Ding hängt und dabei bleibt's auch.“
Ferdos Forudastan
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